Rayan - Sohn der Wüste. Indira Jackson
Männer eingebuchtet. Da war er sich sicher.
Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass er mit den drei Tagen goldrichtig geschätzt hatte, jedoch hatte er sich die Umstände des Wiedersehens ganz anders vorgestellt.
Als man am Nachmittag Ali mit durchschnittener Kehle fand, begann der Colonel zu ahnen, dass bei dem Ausbruch etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war.
1989 – Zerstörte Zukunft
Scheich Sedat Suekran war den Spuren bis zum Haus von Eleonora und Youssef gefolgt.
Es war seine Idee gewesen, das Gatter der Rebellen zu öffnen. So konnten sie hoffentlich unblutig doch noch die Rebellensiedlung finden. Und sein Plan war aufgegangen. Der drohende Galgen hatte die sieben Menschen so kopflos werden lassen, dass sie auf direktem Weg dorthin geeilt waren. Er und seine Männer mussten lediglich bis zum Morgen warten und dann den nur sehr spärlich verwischten Spuren folgen.
Erst war er überrascht, Rayan nicht ebenfalls dort anzutreffen, doch dann fiel ihm ein, dass der Weg zu Fuß zu weit war, um einen Bewusstlosen zu tragen.
Schnell kam er auf die richtige Idee.
Obwohl die Rebellen völlig überrascht waren, hatte das Ausheben des Rebellenstandorts Zeit erfordert und so war es fast Abend, als er bei dem Haus ankam.
Er fand Eleonora, in Tränen aufgelöst, am Tisch sitzen. „Ich habe alles probiert, aber es war zu spät.“
Und dann sprang sie auf, streckte ihren mageren Zeigefinger in seine Richtung „und du hast ihn umgebracht, schäm dich – du, du Monster, du Mörder!“ Es dauerte ein paar Sekunden, bevor er begriff – dann eilte er nach draußen.
Dort war Youssef gerade fertig, die letzten Reste Erde auf ein frisches Grab zu werfen, liebevoll richtete er einige Blumen darauf an. Auch ihm liefen die Tränen übers Gesicht.
Als Sedat beim Grab ankam, blickte Youssef ihn mit Verzweiflung an: „Ich hoffe, er hat jetzt Frieden gefunden, neben seiner Mutter“, und er deutete auf das Grab nebenan.
Doch der Erinnerung hätte Sedat nicht bedurft. Ihm war nur zu deutlich bewusst, dass hier seine Frau Miriam, die Mutter von Rayan lag, die bei der Geburt seines zweiten Sohnes Daoud im Alter von gerade einmal 32 Jahren gestorben war. Die Geburt war kompliziert gewesen und Daoud hatte eine Weile keinen Sauerstoff bekommen, weshalb er geistig zurückgeblieben war.
Somit hatten all seine Hoffnungen auf seinem erstgeborenen Sohn Rayan gelegen, und der war nun tot. Genau wie seine Zukunft.
Schluchzend sank er vor dem frischen Grab in die Knie.
2014 - Dubai – Die Fährte aufgenommen
Carina ahnte nichts von den Ereignissen der Nacht im Gefängnis von Dubai.
Sie war noch einen Moment lang ihren Träumen nachgehangen und hatte dann energisch beschlossen, dem Herrn Anwalt doch einen Besuch abzustatten. Was konnte der mehr tun als sie rauswerfen? In ihren schlimmsten Phantasien sah sie einen wütenden Anwalt ihren Chef in München anrufen, oder gar den Verlag verklagen. Aber diese Ideen verwarf sie wieder, obwohl ein kleiner Zweifel blieb.
Das Hotel, in dem sie untergebracht war, lag zentral in der Nähe des Gewürzmarktes. Sie beschloss also erst einmal, zu Fuß loszugehen.
Wie immer stürzte sie sich voller Begeisterung in das Getümmel der arabischen Welt. Diese vielen Gerüche und Farben, die Stände der Händler. Die exotischen Früchte und Speisen, das alles hatte sie schon immer fasziniert, seit sie als Kind mit ihren Eltern zum ersten Mal in einem arabischen Land gewesen war.
So oft es ihr möglich war, machte sie auf der arabischen Halbinsel Urlaub. Ein paar Brocken Arabisch konnte sie voller Stolz auch aufweisen, jedoch längst keine Konversation betreiben.
Selbst an die Aufdringlichkeit der arabischen Männer, die eine gutaussehende blonde Frau mit grünen Augen nur zu gerne ansprachen und zu allerlei Dingen einluden, hatte sie sich inzwischen gewöhnt. Freundliches, konsequentes Ablehnen und im schlimmsten Fall ein „Ehering“, den sie bei diesen Gelegenheiten immer trug, wirkten Wunder.
Allerdings wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass sie noch nie ganz alleine unterwegs gewesen war. Es war meist entweder ihr Freund oder eine Freundin mit dabei gewesen. Na das konnte ja heiter werden.
Einen kurzen Moment hing sie dem Gedanken an ihren Freund Stephan nach, der ebenfalls in München wohnte. Oder vielmehr Ex-Freund. Er hatte keinerlei Verständnis für ihre Reise aufgebracht und ihr höhnisch prophezeit, dass sie nach spätestens einer Woche reuevoll wieder zu ihm zurückgekrochen kommen würde. Na dem würde sie schon helfen. Was für ein arroganter, selbstverliebter Egozentriker! Offenbar kannte er sie nach zwei Jahren noch immer nicht gut genug. Denn selbst wenn die Reise schief gehen würde, war Carina viel zu stolz, um ausgerechnet zu Stephan zurückzugehen. Da ging sie lieber zum Betteln auf die Straße. Sie beglückwünschte sich selbst, dass sie seinem Drängen, bei ihm einzuziehen nie nachgegeben hatte. So hatte sie ihre kleine Wohnung in München und somit ihr eigenes Reich und war unabhängig.
Sie riss sich los von dem Gedanken, sie war in Dubai – mitten im Abenteuer und München so weit weg!
Und so widmete sie sich lieber den Waren, die die Händler lautstark um sie herum anboten. Langsam schlenderte sie durch die engen Zeilen zwischen den Ständen. Eigenartigerweise wurde sie weniger angesprochen und belästigt als sonst. Naja, vielleicht bin ich ja mittlerweile über das interessante Alter hinaus? Mit einem kritischen Blick auf sich selbst blieb sie vor einem Spiegel im Bazar stehen. Obwohl sie keineswegs eitel war, war sie doch mit dem Ergebnis zufrieden:
Ihr dunkelblondes, langes Haar im Nacken locker zu einem Zopf gebunden und ein leichtes, weißes Leinentuch auf dem Kopf, dazu die dunkelgrüne Leinenbluse, die ihre Augenfarbe so schön zur Geltung brachte. Mit 1,65 Metern war sie eher klein, aber das war bisher von ihren arabischen Verehrern immer als Vorteil gesehen worden.
Dazu hatte sie eine helle Leinenhose ausgewählt, knöchellang, und passende Sandaletten. Die Kleidung umschmiegte sanft ihren Körper und betonte nicht zu sehr ihre schlanke, sportliche Figur.
In arabischen Ländern war es besser, lieber mehr bekleidet zu sein, als zu viel Haut zu zeigen. Zur eigenen Sicherheit. Den Männern gefiel die wenige Kleidung (und bloße Haut) sicherlich, die so manche Touristin zur Schau stellte, jedoch verstanden sie dies sofort als Einladung. Das konnte zunächst aufregend sein, wurde bald aber lästig.
Aber im Vergleich dazu erheblich schlimmer waren die arabischen Frauen. Vor allem die Älteren. Die warfen einem Blicke zu, die töten konnten. Das hatte sie schon vor Jahren gelernt, als sie naiv mit kurzer Hose und Spaghetti-Trägershirt über einen Basar in Ägypten gegangen war. Nach wenigen Minuten hatte sie sich wie beim Spießroutenlauf gefühlt. Seitdem achtete sie auf ihre Kleidung.
Sie dachte an den Scheich. Warum hatte er sie einfach so angesprochen? Wirklich nur wegen des Artikels? Sie rief sich sein Äußeres wieder in Erinnerung. Sie schätzte ihn auf fast 1,90 Meter. Dazu war seine Figur umwerfend gewesen - diese Muskeln! Und natürlich kamen ihr wieder diese intensiven, dunkelblauen Augen in den Sinn, deren Intensität sie nicht mehr losließ.
Wieso hat ein Araberscheich eigentlich blaue Augen? Er musste ausländische Vorfahren haben, das ist die einzige logische Erklärung. Der schwarze Rollkragen-Pulli hatte hervorragend zu dem dunklen Jackett gepasst und ahnen lassen, dass sich ein durchtrainierter, muskulöser Oberkörper darunter verbarg.
Jemand rempelte sie im Gewühle des Marktes von hinten an und holte sie so in die Realität zurück. Sie konzentrierte sich mehr auf ihre Umgebung, schließlich gab es auf jedem großen Bazar auch eine Anzahl Diebe. Vorsicht war also geboten.
Als sie deshalb die sie umgebenden Menschen besser beobachtete, fiel Carina auf, dass diese zwar öfter ansetzten, sie in der so typischen Art anzusprechen, sich jedoch meist dann schnell abwendeten, um sich anderen Dingen zuzuwenden.
Erst am Ende des Bazars