Rayan - Sohn der Wüste. Indira Jackson

Rayan - Sohn der Wüste - Indira Jackson


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und zog ihn hoch, sodass der Anführer in dessen Gesicht blicken konnte.

      Es war Sedat nicht anzusehen, was er dachte oder empfand. Er bestätigte Scarface lediglich durch ein Nicken, dass es sich tatsächlich um den gesuchten Aufrührer handelte. Dann forderte er ihn auf, ihm die Details der Gefangennahme darzulegen.

      Ob bewusst oder unbewusst, aber als Rayan die Stimme seines Vaters hörte, regten sich die letzten Lebensgeister bei ihm. Er öffnete mühsam die Augen und versuchte seinem Vater in die Augen zu sehn.

      Kaum hörbar und mehr stöhnend als wirklich artikulierend stammelte er „Vater? Vater hilf mir – ich sterbe.“

      Scarface hieb ihm mit der anderen Hand, die nicht das Kinn festhielt ins Gesicht. Was für eine Dreistigkeit den Scheich so informell anzureden! Rayan sank in sich zusammen und tauchte in eine gnädige Bewusstlosigkeit ab.

      In Sedats Augen blitzte es unmerklich auf.

      Dann sagte er: „Ich werde Euch sagen, wie wir mit diesem Abschaum verfahren: Wir werden sie morgen bei Tagesanbruch alle aufhängen, schön der Reihe nach, einen nach dem anderen. Und mit ihm fangen wir an. Dann werden wir ja sehen, ob die anderen auf Dauer auch weiter schweigen wollen. Bindet ihn los und bringt ihn zu seinen Freunden. Und gebt ihm Wasser, wir wollen ja nicht, dass er stirbt, bevor wir ihn morgen hinrichten, nicht wahr?“

      Scarface lachte meckernd auf. Die Idee gefiel ihm ausgesprochen gut.

      2014 - Gefängnis von Dubai - Fluchtgedanken

      Ashraf stand Todesängste aus.

      Er wusste von Anfang an, dass der Job riskant war, jedoch hatte er der großen Summe, die man ihm angeboten hatte, einfach nicht widerstehen können.

      Er hatte kalkuliert, dass der Tod des Scheichs ein derart großes Chaos auslösen würde, in dem er problemlos verschwinden hätte können.

      Doch hatte er wohl den Colonel unterschätzt. Seine Leute hatten nicht mit der üblichen Lethargie reagiert, sondern sich sofort an seine Fersen geheftet. Obendrein hatte er seinem ‚Opfer‘ noch nicht einmal einen Kratzer zugefügt. Das würde seinen Auftraggeber nicht erfreuen, sodass auch hier keine Hilfe zu erwarten war. Er war auf sich gestellt.

      Er wusste genau, dass der Scheich mit seiner Drohung recht hatte: "Keine Mauer ist dick genug und du wirst sehr langsam sterben. Das ist ein Versprechen." Wenn er daran dachte und an den eisigen Blick aus diesen Augen ohne Mitleid, rannte es ihm noch immer kalt den Rücken hinunter. Der Scheich war dafür bekannt, sein Wort hundertprozentig zu halten. Er saß wirklich tief im Schlamassel.

      Die Leute des Colonels verhörten ihn schon seit Stunden, aber das machte ihm keine Angst. Ab und zu rutschte einem der Beamten die Hand aus, sie konnten Ashraf jedoch nicht einschüchtern, er war kein Weichling, sonst hätte er den Job nicht bekommen.

      Er hatte schon einen Plan, dafür mussten ihn die Leute des Colonels aber erstmal in seine Zelle bringen. Er hatte ja, Allah sei Dank, vorgesorgt. Immer mit allem rechnen war das Motto, das ihn bisher durchs Leben begleitet und so manche haarige Situation hatte überstehen lassen.

      Sein Vetter Ali würde hoffentlich bereitstehen, um ihm rauszuhelfen. Er war ein trotteliger Kerl, aber für seinen Ausbruch würde er, wie vorab für den Fall der Fälle ausgemacht, allemal sorgen können.

      Nur ein bisschen Geduld noch.

      2014 - Hotelzimmer in Dubai - Wüstenwind

      Carina saß auf dem Bett ihres Hotelzimmers. Ihr mageres Budget hatte es ihr lediglich erlaubt, ein 3-Sterne-Hotel zu buchen, doch trotz der Schlichtheit der Zimmer war es sauber und freundlich eingerichtet, mit farbigen Teppichen auf dem Boden und an den Wänden. Das Bett war ebenfalls frisch bezogen, sie hatte in anderen arabischen Ländern schon schlechte Erfahrungen machen müssen. Vor allem aber war das angrenzende Badezimmer sauber und bot alle notwendigen Annehmlichkeiten.

      Eine Dusche und ein anständiges Abendessen hatten ihr geholfen, ihre Benommenheit abzuschütteln. Was machte sie eigentlich hier? Shit - sie hasste es, in einem Hotel alleine zu Abend zu essen. Daher hatte sie beschlossen, ihren Wein mit aufs Zimmer zu nehmen. Das war ohnehin besser, denn Alkohol war hier nicht gerne gesehen und wurde überwiegend für Touristen angeboten.

      Ihr war der Brief, den sie von der Stewardess bekommen hatte, wieder eingefallen. Im Wirbel der Ereignisse hatte sie den total vergessen.

      In der einen Hand drehte sie gedankenverloren das Amulett an ihrem Hals, in der anderen Hand hielt sie den Brief.

      Mit einer überraschend schönen, jedoch energischen Handschrift stand dort „Für Frau Carina“ – worauf wartete sie noch? Eine Einladung, ihn in Zarifa zu besuchen, würde es bestimmt nicht sein. Sie nahm noch einen kräftigen Schluck Wein und riss den Brief dann auf.

      Er enthielt ein sehr teures Briefpapier, auf dem oben im Kopf das Emblem des Scheichs in schwarzweiß abgedruckt war; das gleiche, welches sich auch auf der Kette befand.

      „Liebe Carina,

       ich hoffe, Sie sind nicht allzu böse auf mich wegen des kleinen Täuschungsmanövers. Aber als ich Sie derart vertieft in den Artikel sah, konnte ich einfach nicht widerstehen. Als kleine Wiedergutmachung gebe ich Ihnen die Adresse meines Anwalts in der Stadt. Wenn Sie ihm diesen Brief zeigen, wird er Ihnen einige Fragen beantworten.

       Wenn Allah es will, werden sich unsere Wege eines Tages wieder kreuzen. Möge er Sie stets auf all Ihren Wegen begleiten.

       Rayan“

      Weiter unten stand in Arabisch noch ein Satz, den sie nicht lesen konnte. Sie sprach ein paar Brocken, meist Höflichkeitsfloskeln, aber lesen konnte sie es nicht.

      Vermutlich war der für den Anwalt gedacht.

      Ein Anwalt! Ausgerechnet. Aber was hatte sie erwartet? Sie beschloss, für heute erst einmal zu schlafen und sich am nächsten Morgen Gedanken über ihre weiteren Schritte zu machen.

      Nach dem anstrengenden, ereignisreichen Tag fiel sie rasch in einen tiefen Schlaf. Sie träumte vom Wüstenwind, Oasen und den faszinierendsten blauen Augen, die sie je gesehen hatte …

      1989 – Zarifa - Das Entkommen

      Die Gruppe der jungen Leute hatte sich eng zusammengekauert, um Rayan herum. Er war so tapfer gewesen, und wofür? Es ging ihm schlecht. Sie hatten Wasser und eine Decke erhalten. Sachra flößte ihm in kleinsten Portionen Wasser ein. Sie war die einzige Frau der Gruppe, klein, zierlich und hatte ihre Haare so kurz wie die Männer geschnitten.

      „Wenn er jetzt noch Wundbrand bekommt, übersteht er die Nacht nicht. Ich verstehe das nicht, sein eigener Vater … was für ein Monster.“ Tränen schimmerten in ihren braunen Augen. Ihr Freund Ibrahim entgegnete leise: „Vielleicht ist er ja besser dran so. Nicht mehr aufwachen, meine ich. Dann muss er das Schauspiel morgen nicht miterleben.“ Sachra starrte ihn wortlos an, was hätte sie auch sagen sollen?

      Etwa eine Stunde vor Mitternacht wurde sie wach, weil Ibrahim sie am Arm schüttelte. „Ich habe einen offenen Riegel gefunden. Mensch, das könnte unsere Rettung sein.“ Sachra überlegte einen Moment lang: „Es könnte aber genauso eine Falle sein.“ Doch Ibrahim weckte schon die anderen: „Leise, wir müssen leise sein.“ Und zu Sachra gewandt sagte er: „Und? Was soll‘s? Morgen sind wir tot. Da nehme ich es eher jetzt noch mit der Falle auf, dann sterben wir wenigstens kämpfend.“

      Sie dachten darüber nach, was sie mit Rayan machen sollten. Zurücklassen kam nicht in Frage. „Ich weiß, was wir tun können“, sagte Sachra, „nicht weit von hier wohnt seine Großmutter, da bringen wir ihn hin. Dort hat er die besten Überlebenschancen. Selbst wenn er dort gefunden wird, vielleicht kann seine Großmutter ihn vor dem Scheich, der ja immerhin ihr Schwiegersohn ist, beschützen.“ Ibrahim überlegte einige Sekunden, dann nickte er „Gute Idee“.

      Leise


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