Rayan - Sohn der Wüste. Indira Jackson

Rayan - Sohn der Wüste - Indira Jackson


Скачать книгу
und ein Stand reihte sich an den anderen. Gerüche von Gewürzen, Kräutern und vielen Speisen vermischte sich mit dem Geruch nach Tieren und vielen Menschen. Teppiche, Lampen und Gewänder wurden genauso feilgeboten wie Hühner, Kamele und Schmuck.

      Wer nicht um den besten Preis feilschte, war selber schuld, wenn er übers Ohr gehauen wurde.

      Auch die Geräusche waren typisch, es herrschte ein heilloses Durcheinander aus den Schreien der Händler, die ihre Waren anboten und ihre Nachbarn zu übertrumpfen suchten und der Tierlaute, sowie hupende Autos, die sich trotz eigentlichem Verbot immer wieder ihren Weg durch den Markt zu bahnen versuchten. Besucher kamen zu Fuß, manche mit klapprigen Autos von weit her, aber auch wie in alten Tagen zu Pferd oder Esel.

      Rayan saß auf dem Brunnenrand. Er hatte bereits den Markt durchstöbert und die unterschiedlichen Waren bewundert. Er liebte diese Art von Trubel. Obwohl er sonst die Stille der Wüste bevorzugte, gefiel ihm das bunte Treiben, das ihn in vielen Dingen an die Märkte in den Oasen erinnerte. Es erinnerte ihn an seine Erlebnisse, als er damals als Kind mit den Händlern aus Zarifa mitgegangen war.

      Das etwa nur zwei Meter große Becken des Brunnens fügte sich im Halbkreis direkt an die Hauswand an, weshalb der Brunnen auch im Schatten lag. Rayan betrachtete kurz das Mosaik der Fliesen, aber wenn er ehrlich war, sagte es ihm nicht viel. Clara war diejenige, die ihn stets auf derartige kleine Schätze aufmerksam machte und zog ihn dann immer auf, dass er „ein typischer Mann sei“, wenn er sich von den bunten Mustern wenig beeindruckt zeigte.

      Er streckte gerade spielerisch eine Hand ins Wasser, als eine Explosion den Marktplatz erzittern ließ. Die Druckwelle war so stark, dass er rückwärts vom Brunnenrand auf den Boden gerissen wurde. Als er sich aufrichtete, musste er mehrfach den Kopf schütteln, um die Benommenheit, die ihn erfasst hatte, einigermaßen loszuwerden.

      In den Ohren pfiff es, doch das Geräusch ließ bereits nach einigen Sekunden nach, offenbar war er weit genug weg gewesen.

      Er versuchte zu verstehen, aus welcher Richtung die Explosion gekommen war. Allah sei Dank, war offenbar nicht der Markt selbst das Ziel gewesen, denn überall begannen sich die Menschen wieder aufzurappeln, die entweder durch die Druckwelle zu Boden gerissen worden waren, oder sich erschreckt zu Boden geworfen hatten.

      Es herrschte Chaos. Durchgegangene Pferde rannten um die Stände herum, Hühner und anderes Federvieh flatterten aufgeregt umher. Vereinzelt konnte er Schreie hören, wusste aber nicht genau, aus welcher Richtung sie kamen. Er vermutete, dass einige der Menschen lediglich ihrem Erschrecken Luft machten, ohne wirklich getroffen worden zu sein.

      Als Rayan sich umdrehte und die Straße direkt hinter ihm hinunterblickte, sah er ca. 100m entfernt die brennenden Überreste eines Autos.

      Voller Entsetzen wurde ihm klar, dass dies die Straße war, die zur Kaserne führte. Die Straße, auf der die amerikanischen Soldaten nach der Messe zum Markt kommen würden. Die Straße auf der auch Clara kommen musste.

      Die Angst schnürte ihm die Kehle zu und er begann, auf die Stelle zuzulaufen.

      Schon von Weitem konnte er sehen, dass der Anschlag einer Gruppe von Amerikanern gegolten hatte. Mehrere Verletzte wälzten sich stöhnend am Boden, einige rührten sich nicht mehr.

      Einige Meter vom Autowrack entfernt fand er Clara. Offenbar hatte der Körper eines ihrer persönlichen Posten sie teilweise vor der Explosion geschützt. Der Mann hatte einen eher untersetzten Körperbau und seine Haare waren wohl rot gewesen, soweit das noch erkennbar war. Er musste sofort tot gewesen sein.

      Rayan kniete sich hin und nahm ihren Kopf in seinen Schoß. Er versuchte das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken und ihr beruhigend zuzusprechen, doch er hatte sofort erkannt, dass kein Arzt ihr mehr helfen konnte.

      Sie versuchte zu sprechen und er beugte sich zu ihr hinab. „Yasin- ich liebe dich … das habe ich vom ersten Moment an getan“, flüsterte sie ihm stockend ins Ohr. Er rang sich ein gequältes Lächeln ab. „Ich weiß! Ich wusste es vom ersten Moment an.“ Sie versuchte zu lächeln, doch ein letzter Krampf ging durch ihren Körper, dann lag sie still.

      Wie betäubt nahm er wahr, dass Hilfskräfte rund um ihn herum eintrafen, die begannen das Feuer zu löschen und sich um die Verletzten zu kümmern. Jemand schrie nach einem Sanitäter.

      Rayan nahm alles nur durch einen Schleier wahr. Nicht einmal beim Tod seiner Mutter hatte er geweint, doch nun schluchzte er hilflos wie ein kleines Kind, als würden alle Dämme brechen. Zum ersten Mal ließ er seinen Tränen freien Lauf und er weinte für Clara, seine Mutter und sein verdammtes Leben.

      2014 – Rub’al Khali, Oase Wahi – Don’t shoot the messenger

      Hanif schlüpfte in Rayans Zelt. Er konnte es noch immer nicht fassen! Dass dieser verfluchte Händler sich von einem Weib hatte bequatschen lassen. Er hatte keine Ahnung, wie er dem Scheich dies beibringen sollte, ohne dass dieser sie alle zu Tode prügeln lassen würde.

      „Was ist los? Ich habe doch gesagt, dass ich nicht gestört werden will?!“ Rayans Stimme klang gereizt, er war sichtlich schlecht gelaunt.

      Kein Wunder angesichts der Tatsache, dass er Pläne für einen Angriff machte. Die Informationen, die ihnen der Attentäter Ashraf schließlich verraten hatte, deuteten auf eine Verschwörung eines der kleineren Fürsten hin. Sein Name war Khalid Raisuli und er lebte in einer Oase etwa drei Tagesritte nördlich von Alessia. Die Tarmanen mussten auf den Anschlag antworten, sonst verlor ihr Scheich sein Gesicht.

      Er hasste all diese Politik, aber sie gehörte zum Spiel dazu. Daher versuchte er einen Weg zu finden, um möglichst wenige Männer beim Angriff zu verlieren. Keine leichte Aufgabe.

      Und er war noch immer wütend, dass dieser - Allah sei Dank - erfolglose Anschlag auf sein Leben seinem Freund Ibrahim das Leben gekostet hatte. Er würde ihn vermissen.

      Schon der technische Defekt seines Learjets war ein schlechtes Omen gewesen. Und überhaupt diese Rückreise zurück nach Alessia zu Pferde. Mit dem Jet wäre er so viel schneller gewesen. Doch hatte er sich mit Hanif und den Reitern vor Dubai verabredet, denn Hanif hatte in seinem Namen einem der Beduinenfürsten ein Pferd aus seiner Zucht in Zarifa gebracht. Ein überaus wertvolles Geschenk zur Geburt seines ersten Sohnes. Nachdem der Rückweg nahe an Dubai vorbei führte, hatten sie ausgemacht, sich dort zu treffen und gemeinsam den Weg nach Zarifa zurückzureiten.

      „Verzeiht die Störung Herr, ich habe eine Angelegenheit, über die Ihr unbedingt Bescheid wissen müsst.“

      Rayan horchte auf. Er hatte Hanif in den letzten 13 Jahren sehr gut kennen und schätzen gelernt und wusste, wenn dieser es so dringend machte, gab es Ärger.

      Diese Aussicht trug nicht dazu bei, seine Stimmung zu heben. Im Gegenteil, er verspürte ein Brodeln von Wut in sich, wie schon lange nicht mehr.

      „Sprich!“, fuhr er daher Hanif an.

      Hanif atmete tief durch. Er kannte seinen Herrn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass dieser in einer gefährlichen Stimmung war. Mit Galgenhumor dachte er: „Wie sagt man so schön? Don’t shoot the messenger?“, und er hoffte inständig, dass er Rayan würde beruhigen können. Vielleicht erheiterte ihn die ganze Geschichte ja? Doch Hanif wusste genau, dass dies nicht sehr wahrscheinlich war.

      Und so erzählte er in wenigen Sätzen, dass die Frau hier sei, die ihm das Leben gerettet hatte. Dass sie einen Händler, mit dem sie in Dubai Geschäfte machten, einem ihrer Verbündeten, dazu gebracht hatte, sie hierher zu begleiten. Das Problem war, dass die Karawane morgen weiterziehen würde, tiefer in die Wüste hinein. Alleine zurück konnten die beiden natürlich auch nicht.

      Als er geendet hatte, war es still, beide Männer schwiegen.

      Da Rayan eine Lampe entzündet hatte, um im Dunkel des Zeltes genügend Licht für seine Planungen zu haben, war es hell genug, dass Hanif erkennen konnte, dass der Scheich blass geworden war. Seine Augen waren so dunkel geworden, dass sie fast schwarz erschienen.

      Hanif kannte diese Anzeichen und wusste, dass Rayan


Скачать книгу