Pferdesoldaten 4 - Das Fort der Verlorenen. Michael Schenk
dann machte er sich endgültig auf den Heimweg zum Stammeslager. Es würden interessante Neuigkeiten sein, die er Häuptling Long Tree überbrachte.
Kapitel 2 Neue Befehle
Fort Winnebago bestand aus einer lockeren Ansammlung überwiegend kleiner Gebäude, die von keiner Befestigung umgeben waren. Die Seiten der Hauswände waren in graublau gestrichen, die stützenden senkrechten Balken in reinem Weiß. Alles vermittelte einen neuen Eindruck, der allerdings täuschte, denn die Glanzzeit des Forts war längst vorbei. Im Jahr 1828 war es errichtet worden und lag auf einem Hügel zwischen dem Fox River und dem Wisconsin River. Damals sollte die Besatzung den Frieden zwischen weißen Siedlern und den ansässigen Indianerstämmen gewährleisten, denn im Jahr zuvor hatte es einen Aufstand der Winnebagos gegeben. Inzwischen war der kriegerische Stamm geteilt und umgesiedelt worden, und die Bedeutung des Forts war gesunken. Vor drei Jahren vernichtete dann ein verheerender Brand die meisten Gebäude und die Armee verzichtete auf den Wiederaufbau. Sie verkaufte die Anlage an einen privaten Besitzer. Jetzt, im Jahre 1861, gewann der Stützpunkt unerwartet wieder an Bedeutung, wenn auch überwiegend als Umschlagplatz für Versorgungsgüter und Soldaten, die auf dem Weg zu ihren neuen Dienstorten waren. Der Privatbesitzer war keineswegs unglücklich das reaktivierte Fort vorübergehend an die Armee verpachten zu können.
Major Matt Dunhill und sein Freund Captain Thomas Deggar waren nach Winnebago befohlen, um dort zwei Kompanien der Iowa Volunteer Cavalry zu übernehmen und ihrem eigenen Regiment zuzuführen. Die beiden Offiziere dienten in der 2nd U.S.-Cavalry und sollten die ausgebildeten Volunteers in das reguläre Regiment übernehmen. In den vergangenen Jahren hatten die Reiterregimenter im Kampf gegen Indianer immer wieder Verluste hinnehmen müssen und erreichten, trotz neuer Rekrutierungen, nie ihre Sollstärken. Im Kampf gegen Indianer waren berittene Truppen aufgrund ihrer Beweglichkeit der Schlüssel und manche Staaten der Union rekrutierten eigene Freiwilligenregimenter, um so für die Sicherheit ihrer Bürger zu sorgen. Meist wurden solche Truppen nur aufgestellt wenn es galt einen Indianeraufstand zu bekämpfen, wobei man durchaus großzügig mit dem Begriff „Aufstand“ und „Befriedung“ umging, da solche Aktionen oft mit Territorialgewinn verbunden waren.
Matt und Thomas hielten, wie die meisten regulären Soldaten, nicht viel von solchen Volunteers. Meist schlecht ausgebildet und geführt nutzten sie oft jeden Vorwand um gegen Indianer vorzugehen, was wiederum zu weiterer Gegenwehr der indianischen Stämme und schließlich den Einsatz der ohnehin überlasteten regulären Truppen führte.
Im vergangenen Jahr entstanden immer mehr Freiwilligeneinheiten. Überall in der Union, ob im Norden oder im Süden, sprach man über einen drohenden Krieg zwischen den Staaten und von der Notwendigkeit, die jeweilige Heimat selbst schützen zu müssen. Manche Volunteers wurden zu Guerillagruppen, welche die Sympathisanten der jeweils anderen Seite drangsalierten oder sogar ermordeten. Jetzt drohte sich der Konflikt zu verschärfen und alles blickte nach Washington, wo der republikanische Präsident Abraham Lincoln ins Weiße Haus eingezogen war. Seine Präsidentschaft galt für den Süden als untragbar, der inzwischen unverhohlen mit Abspaltung von der Republik drohte.
Wie sehr der drohende Konflikt die Herzen der Menschen berührte, das musste Matt Dunhill an seinem Freund Thomas Deggar feststellen. Obwohl sie nun schon viele Jahre gemeinsam dienten und ebenso lange befreundet waren, führten die Diskrepanzen zwischen Norden und Süden immer wieder zu Unmut und sogar Streitgesprächen zwischen den beiden.
Vielleicht war es Matt auf der langen Reise so auffällig geworden, weil er von seiner Frau Mary-Anne und seinem 12-jährigen Sohn Mark getrennt war. Vor allem Mary-Anne, die selbst aus dem Süden stammte, hatte stets eine beschwichtigende Wirkung auf Thomas ausgeübt. Doch die Familie nutzte die Dienstreise von Matt, um ein paar Wochen Urlaub bei Mary-Annes Vater John Jay Jones zu verbringen.
Vor vier Jahren waren die Freunde mit Robert E. Lees 2nd U.S.-Cavalry gegen die Comanchen geritten und hatten bei der Gelegenheit auch den heißblütigen Lieutenant J.E.B. Stuart kennengelernt. Stuart war ein fanatischer Gegner des roten Mannes und glühender Anhänger des Südens. Er hatte oft mit Thomas gesprochen und Matt fand, dass Stuart dabei keinen guten Einfluss ausgeübt hatte.
In und um Fort Winnebago herrschte reger Betrieb. Grund hierfür waren, neben den Truppen der drei Waffengattungen Infanterie, Artillerie und Kavallerie, vor allem die zahlreichen Händler, denn der Stützpunkt bildete einen wichtigen Knotenpunkt an den Wasserwegen des Fox und des Wisconsin River, zwischen den großen Seen und dem Mississippi.
Die Wache am Tor wies Matt und Thomas den Weg zur Kommandantur.
„Hast du dich eigentlich gefragt, warum wir ausgerechnet Freiwillige aus Iowa für unser Regiment übernehmen sollen?“, fragte Thomas, während sie zur Kommandantur trabten.
„Um unsere Verluste rasch auszugleichen“, antwortete Matt mechanisch.
„Bist du wirklich so naiv?“ Thomas lachte leise. „In unserem Regiment dienen Männer aus dem Norden und dem Süden. Die Leute aus Iowa sind alle aus dem Norden.“
„Worauf willst du hinaus?“ Matt ahnte es eigentlich schon.
„Die Regierung in Washington will die Unionstruppen mit zuverlässigen Nordstaatlern auffüllen.“
„Thomas, verdammt. Wir alle gehören zur Union und tragen ihr Blau.”
Sein Freund grinste. „Natürlich. Gar keine Frage.”
Matt war verärgert, da sein Freund es wieder einmal geschafft hatte, Missstimmung zwischen ihnen aufzubringen.
Sie erreichten das Gebäude, an dem ein Schild auf den kommandierenden Offizier hinwies. Es gab keinen Vorbau mit Veranda, lediglich einen kleinen Überbau des Eingangs und zwei Stufen, die zur offenen Tür des zweigeschossigen Hauses hinauf führten. Zwei Infanteristen hielten Wache und ein Dritter kam heraus und nahm die Zügel der Pferde entgegen, um die Tiere zu einem Stall zu bringen.
Hier oben auf dem Hügel blies ein steifer Wind. Die große Fahne der Union knatterte am Mast und Matt schlug die klammen Hände zusammen, als sie das Gebäude betraten.
In einem kleinen Vorraum saß ein Sergeant in der kurzen und gelb besetzten Dienstjacke der Kavallerie. An jeder Seite des steifen Stehkragens befand sich nur eine einzelne Litzenschlaufe, welche die Zugehörigkeit zu einer Freiwilligeneinheit auswies.
„Sergeant Koslov, Sir“, stellte der Mann sich vor, erhob sich und salutierte. „Was kann ich für Sie tun, Gentlemen?“
„Major Dunhill und Captain Deggar von der 2nd U.S.-Cavalry.“ Matt langte in die Innentasche seines langen Uniformrocks, der, im Gegensatz zu dem des Freundes, als Batallions-Dienstgrad zweireihig geknöpft war. Er zog das Dokument mit den Befehlen heraus und reichte es dem Unteroffizier. „Wir haben Order zwei Kompanien für unser Regiment zu übernehmen.“
Der Sergeant berührte die Befehle kurz, reichte sie aber sofort an Matt zurück. „Sie wollen zum Colonel, Sir?“
Matt nickte und der Sergeant ging zu einer geschlossenen Tür an der Rückseite des Raumes, klopfte an und öffnete. „Major Dunhill und Captain Deggar von der Zweiten, Sir.“
„Sollen reinkommen“, erwiderte eine sonore Altstimme.
Colonel Hillerman war Infanterist, wie Matt bedauernd feststellte. Er hatte immer wieder erlebt, dass Infanteristen es an Verständnis für die Bedürfnisse der Kavallerie fehlen ließen fehlen ließen, was sicherlich auf Gegenseitigkeit beruhte. Hillerman war klein, schlank und glattrasiert, was eher ungewöhnlich war. Die Dienstvorschriften erlaubten das Tragen eines Bartes, sofern dieses „gefällig“ gestutzt und sauber geschnitten wurde. Die meisten Soldaten trugen Bart, vor allem jetzt im Winter, in dem diese Haartracht zum Wärmen des Gesichtes beitrug. Matt bevorzugte ein bescheidenes Dragonerbärtchen, während Thomas einen dicht gewachsenen Vollbart sein eigen nannte. Wenigstens gehörte Hillerman zu den regulären Truppen, was bedeutete, dass er einen Abschluss und das Patent der Offiziersakademie in West Point besaß. Matt hatte die Erfahrung gemacht, dass sich die militärische Kompetenz von Freiwilligen-Offizieren meist in beschaulichen Grenzen bewegte.