INGRATUS - Das Unerwünschte in uns. Tabea Thomson
kann sie gerade noch die Duftrichtungen bestimmen. In ihrem Fall riecht es nach getrocknetem Gras und Sommer schweren Lavendel.« Melina musste sich eingestehen: »Das Riechwasser gefällt Adrian und mir. Es umschmeichelt auf angenehmerweise unsere Geruchszellen.«
Neugierig, ob es sich bei dem Besuch tatsächlich um Marte handelt, recherchierte sie im Dienstplan der Studenten. Laut diesem sollte Marte, ab null Uhr, im ruhenden Bereitschaftsstatus sein. Auf ihr baldiges Erscheinen hoffend stierte sie, in Lauerhaltung, auf das Echtzeit Szenario. Nach einigen Sekunden spöttelte sie in Gedanken: »Na wo bleibt sie denn? – Sie muss sich wohl noch extra hübsch machen ...« Ihr lästern beförderte einen lang ersehnten Wunsch herauf: »Ich müsste in Adrians Geist lesen können.«
Der Wunsch war noch nicht ganz zu Ende gedacht, da hörte sie ein Wispern. Es geschah so unverhofft, dass sie nicht mal imstande war Adrians Wörter zu verstehen. Er wiederum sperrte den ungebetenen Eindringling sofort aus. Im gleichen Gedankenzug schaute er auf die I P S. Die Empörung lag in seiner Mimik. Davon unbeirrt versuchte es Melina nochmals. Doch es blieb still. Zerknirscht blickend wandte sie sich vom Indy ab. Dabei sah sie, aus dem Augenwinkel heraus, wie die Belegzellen Tür auffuhr. Selbst im faden Korridor Gegenlicht erkannte sie auf Anhieb die eintretende Silhouette.
Melina klatschte Beifall und dazu gluckste sie: »Haha! Volltreffer!«
Die gefühlvollen Umarmungen zur Begrüßung bestätigten es.
»Na sieh mal an!«, gluckste Melina, »Die spröde Schwedin will ja doch einer haben ...« Ein Audiosignal vom Bereitschaftsraum Interface beendete ihren Anflug von Begeisterung. Wie bei jeden Nachtdienst wurde sie von einem nervenden Heiler Koordinator belästigt: »... nicht vergessen in fünf Minuten sollen die Heiler Aiws ihren Dienst übernehmen …«
Ohne den restlichen Satz abzuwarten, kappte Melina die Verbindung. »Verdammt ja, das werden sie«, blubberte sie genervt. In Gedanken sprach sie verärgert: »Ständig wird einem hinterhergeschnüffelt, das ist hier noch schlimmer als während meiner Studentenzeit. Sicherlich führen die Heiler-Techniker auch noch Strichlisten, worauf alles aufgeführt ist, was ich wann erledigte. Idioten die sollen sich mal lieber um die nicht funktionierende Technik kümmern. Aber nein!, stattdessen belästigen die mich mit einer Kontrollmitteilung. Die ist ja viel wichtiger ...«
Bei den ungehaltenen Worten aktivierte sie die Aiws Lab und Par. Sie werden wie immer ihren restlichen Nachtdienst übernehmen und die Heilerin soll in ihren Ruheraum schlafen gehen. Bevor sie diese Anweisung befolgt, übergab sie noch das PAD mit dem Dienstprotokoll an die Aiws.
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In dem zarten grün gehaltenen Ruheraum gab es neben einen Wandtisch mit Stuhl nur noch ein winziges Waschbecken sowie eine bequeme Liege. Die erinnerte sie an eine Relaxliege bei ihrer alten Arbeitsstätte, auf dem Planeten Polaris. Melina hatte dort ebenfalls an einer Sternen Kinder Universität als Ausbilderin für Gattenheiler gearbeitet. Die Erinnerungen an die abwechslungsreiche Arbeit ließen Melina sehnsuchtsvoll innehalten. Mit Wehmut dachte sie an die fünf Tage Arbeitswoche. Ihr Dienst begann stets acht Uhr früh und endete um vier am Nachmittag. Langeweile kannte sie an der Universität nicht. Die ganze Sache hatte nur einen entscheidenden Nachteil, sie wurde mehr als lausig bezahlt. Nun hatte sie hier den überaus gut bezahlten, aber öden Job auf der Concordia. Außer Bagatellfällen gab es kaum was für sie zu tun. Sie selber fragte sich oftmals: »Warum bezahlen sie mich so üppig fürs Nichts machen.«
Andere dachten ebenso. Sie berichteten bei geselligen Abenden: ›Die Concordia hängt mit Mann und Maus bereits seit vielen Jahren im Trockendock herum. Und alle schweren Reparaturarbeiten sowie Modernisierungen werden von Aiws ausgeführt.‹
Einige Crewman vertraten eine unumstößliche Meinung: ›Die Aufgaben der Aiws bestehen nur darin das Reparierte, sofort wieder kaputt zu reparieren.‹
Mit anderen Worten sie werden weiterhin nichts Spektakuläres erleben. So auch in dieser Nacht, außer einer chirurgischen Geburtshilfe und einem arg verstimmten Magen gab es nichts. Das es nur ein paar Meter von ihrem Ruheraum ganz anders aussah, ahnte sie nicht mal ansatzweise.
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Melina lehnte an der Wand neben dem Waschbecken und schwelgte in den Erinnerungen an jenem geselligen Abend. Unvermittelt gähnte sie und reflexhaft wischte sie mehrmals übers Gesicht. Es bewirkte nicht viel. An ihrer Mimik sah man, dass sie solch schläfrig machende Dienste ganz und gar nicht mochte. Zumal Melina sich zur Dienstübergabe stets wie gerädert fühlte. Schuld daran war: »Der lauschende Schlaf«, wie sie es nannte. Jedoch seitdem Adrian ebenfalls auf Station lag, dankte Melina für jede Minute, in der sie Einsatz frei blieb.
Gedankenversunken knüpfte sie die Dienstjacke auf. Als sie sich der Jacke entledigte, spürte sie mental, dass ihr Bruder von einem weiteren Anfall heimgesucht wurde. Seine heftigen Schmerzen vertrieben auf der Stelle ihre Müdigkeit. Die mentale Verbindung zu blockieren gelang ihr jedoch nur mühsam. Gerade als es erträglicher wurde, meldete das schrille Indy Signal einen Notfall. Synchron dazu erfuhr sie vom am Pulli Kragenrand angebrachten Hemdknopf großen Interfacechip, den Einsatzort. Die Belegzellennummer gehörte ihrem Bruder.
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Übereilt, noch im Jacke anziehen, verließ sie den Ruheraum. Ihr wachsames Unterbewusstsein schickte sie in den Medikamentenraum. Als sie dann im Kühlschrank nach Adrians Amphispray griff, war ihre Hand so unruhig wie die eines Alkoholikers.
»Süßer hoffentlich hilft dir das«, ihre Lippen sprachen unwillkürlich das aus, was sie dachte.
Zu ihren Worten überprüfte sie mit aufgeregten Händen, am Labor Terminal, den Inhalt der bereitgelegten Ampulle. Danach verließ sie mit schnellen Schritten den Raum. … Sekunden später erreichte sie Adrians Belegzelle. Erschöpft, wie nach einem langen Marathonlauf holte sie mehrmals kräftig Luft. Nur so gelang es ihr, Adrians mentale Schmerzübertragung abzublocken. Sein bemitleidenswertes Wimmern konnte sie jedoch nicht aus dem Kopf verbannen.
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Entgegen ihrer Art, sie klopfte sonst immer erst an, öffnete sie sofort die Tür. Beim Eintreten streifte ihr flüchtiger Blick die wachende Sartor. Am vorwurfsvollen Gesichtsausdruck der Pflegerin las Melina ab, dass ihr Adrians Schmerz nahe ging. Das Verhalten war für eine ihres Standes, sehr ungewöhnlich. Und dann!, während Melina sich um den Pati Passio – leidenden – kümmerte, stierte die Sartor verlegen auf ihre Schuhspitzen. Das taten diese Wesen nur, wenn sie versuchten, etwas zu vertuschen. Aber das entging Melinas Aufmerksamkeit, sie stellte in dem Moment mit entsetzen fest: »Adrian ist wieder im Wehen artigen Schmerz gefangen.«
Seine zierlichen Finger, sie krallten in den weichen Griffen des Biobettes, untermauerten ihre Worte.
Bekümmert blickend strich die Sartor über Adrians Hand.
Bei jeder Berührung spürte Melina, die beauftragte Sartor hat kein reines Gewissen.
Die folgende Geste, sie tupfte ohne Unterlass Tränen und Schweiß des Patienten ab, vertiefte noch ihren Verdacht.
Adrian fühlte sich nicht imstande, gegen dieses aufdringliche Gehabe vorzugehen. Er zog es stattdessen vor, all seine Pein ungefiltert über die fiebrigen Lippen zu entlassen.
Melina hingegen beschäftigte: »Was löste seine Kolik aus.« Adrians wehklagen vereitelte ein Hinterfragen.
Beherzt, aber dennoch sehr behutsam, drehte sie Adrian auf die Seite. Im nächsten Moment ertastete Melina zielgenau, an Adrians Nacken, einige neurologische Punkte. So wie sie diese aktivierte entspannte sich augenblicklich sein zerbrochen wirkender Leib. Für Sekunden blieb er zum Kraftschöpfen regungslos liegen, danach drehte er sich langsam um.
»Lass es nicht wieder kommen«, bat er mit flehender Stimme.
Wie gern hätte Melina das bestätigt, aber stattdessen konnte sie ihm nur mitfühlend über die Tränen nassen Wangen streichen.
Wenige Streicheleinheiten später zeigten Adrians zusammengepressten Lippen, dass jene Blockade aufbrach. Sofort verabreichte Melina den mitgebrachten Amphispray, mit einer Schmerz