Teilzeitküsse. Nancy Salchow
„ich muss morgen nach der Arbeit noch meinen Anzug aus der Reinigung holen. Macht es dir was aus, Katja aufzumachen, wenn sie Neo holen kommt? Nur falls ich noch nicht da sein sollte.“
Wie schnell man doch von Wolke sieben auf dem harten Boden der Realität landen kann.
„Klar.“ Ich kämpfe mir ein Lächeln ab. „Kein Problem.“
Kapitel 3
Wenn man sich zwischen einer blauen Bluse und einem schwarzen Top entscheiden muss und letztendlich ein rotes, enganliegendes Shirt wählt, kann es nur bedeuten, dass das Shirt so umwerfend ist, dass man keine andere Wahl hatte – erst recht nicht, wenn es perfekt zu dem schwarzen Bleistiftrock und den roten Pumps passt.
Diese Feststellung überkommt mich, als ich meine hinreißende Silhouette vor dem Schlafzimmerspiegel betrachte. So selten es vorkommt, dass ich zufrieden mit meinem Spiegelbild bin, so entzückt bin ich an diesem Abend von dem Ergebnis meines einstündigen Styling-Marathons.
Meine Smokey Eyes sorgen für eine dramatisch-weibliche Ausstrahlung, meine roten Locken fallen wie gemalt auf den weichen Stoff des Shirts und mein neuer BH zaubert ein Dekolleté, das genau die richtige Mischung aus Sexappeal und Seriosität darstellt.
Zufrieden senke ich meinen Blick auf Neo, der neben meinen Füßen auf dem Kunstfell vor dem Bett liegt.
„Was ist, Neo? Hast du Lust auf einen kleinen Snack?“
Neo hebt den Kopf und spitzt die Ohren, als hätte er jedes Wort ganz genau verstanden.
„Braver Kerl.“ Ich bücke mich und nehme sein Gesicht in meine Hände. „Was darf es denn sein? Kaustange oder Leckerli?“
Neo steht auf und folgt mir schwanzwedelnd zur Speisekammer neben der Küche, als das Klingeln an der Tür unseren Plan durchkreuzt.
„Tut mir leid, Süßer, nur aufgeschoben, nicht aufgehoben, okay?“
Als ich zur Tür eile, fange ich erneut meine Umrisse im Spiegel der Flurgarderobe ein. Jan und ich werden das Traumpaar dieses Abends sein, und zwar nicht nur optisch.
Doch meine Euphorie bekommt Risse, als ich eine Stunde früher als erwartet in das Gesicht einer makellos schönen Blondine starre.
„Katja!“ Ich knipse mein Alles-ist-gut-Lächeln an.
„Anna, hi.“
Ich hasse es, wenn sie „Hi“ sagt. Sie sagt immer „Hi“, fast so, als kosteten sie die zwei Silben von „Hallo“ zu viel Atem.
„Ich dachte, du kommst erst gegen halb sieben“, sage ich.
„Ja, sorry.“ Sie betritt den Flur und streichelt Neo, der ihr Auftauchen überglücklich zur Kenntnis nimmt. „Hey, Großer. Warst du schön brav?“
Ich stehe noch immer in der offenen Tür. Irgendetwas hält mich davon ab, sie zu schließen, solange diese Frau in der Wohnung ist.
Katja zieht Neos Leine von der Garderobe, was ihn dazu bringt, sich wie wild im Kreis zu drehen und jaulend auf und ab zu springen.
„Ich habe nachher noch einen Termin.“ Sie klemmt die Leine an sein Halsband. „Deshalb bin ich schon ein bisschen früher hier.“
Kein Problem. So ein Stündchen ist ja nicht der Rede wert.
„Wer ist mein Bester?“ Sie fährt mit den Händen durch sein Nackenfell. „Du bist mein Bester!“
Mit Neo an der Leine bleibt sie schließlich in der offenen Tür stehen und gibt den Blick auf ihren perfekten Jeansknackarsch frei.
„Ist Jan noch gar nicht da?“ Sie streicht sich eine Strähne aus dem perfekt geschminkten Gesicht.
„Er ist noch zur Reinigung. Wir gehen nachher noch aus und er braucht seinen Anzug dafür.“
„Verstehe.“ Sie neigt den Kopf zur Seite und mustert mich mit aufmerksamen Blick. „Na, dann will ich mal nicht weiter stören. Du musst dich ja noch umziehen und alles.“
Ich schaue auf mein Outfit herab. „Ähm …“
„Mach’s gut, Anna“, flötet sie, bevor ich etwas sagen kann. „Ich bringe Neo morgen Nachmittag wieder.“
Ich möchte etwas antworten, doch ehe ich meine Stimme wiedergefunden habe, sehe ich sie schon über den Asphalt in Richtung Parkplatz stolzieren, als hätte man ihr soeben die Gewinnerschärpe einer Miss-Wahl umgehängt.
„Blöde Kuh“, murmele ich, während ich ihr einen Moment zu lang hinterherschaue.
*
„Frau Abner, das muss heute noch fertig werden. Ein neuer Kunde.“
Eine Spannmappe mit einem Stapel handgeschriebener Notizen landet mit Schwung auf meinem Schreibtisch direkt neben der Tastatur.
Arthur, der mir gegenüber sitzt, tauscht einen vielsagenden Blick mit mir. Die Art von Blick, wie wir sie uns immer zuwerfen, wenn Herr Köster wieder mal vergisst, dass wir Menschen sind und keine Maschinen.
„Was hat der denn für eine Laune?“ Arthur schaut Köster nach, der seine Bürotür zuwirft. „Wieder mal Zoff mit Ehefrau Nummer drei?“
„Nummer vier“, flüstere ich ihm kichernd zu. „Bist du etwa nicht auf dem Laufenden?“
„Vorhin hat er mir drei jeweils einstündige Audiodateien geschickt. Diktiert von so einem sterbenslangweiligen Sachbuchautor. Heute Abend auf meinem Tisch, hat er mir zugerufen.“
„Nimm’s gelassen, Schätzchen, wenn es einer schafft, dann wir beide.“
Arthur ist das, was man ruhigen Gewissens einen prima Kerl nennen darf. Als wir beide damals fast zeitgleich in dem Schreibbüro von Köster anfingen, hatten wir denselben Plan: Das hier ist nur zur Überbrückung, bis wir wieder in unseren richtigen Jobs arbeiten – er als Telekommunikationskaufmann, ich als Bürokauffrau.
Drei Jahre ist das her und immer wieder ertappe ich mich bei der Erkenntnis, dass ich mir keinen Kollegen wünschen könnte, mit dem das Lästern über den Job mehr Spaß machen würde.
Ob ich deshalb noch immer hier bin? Oder liegt es daran, dass Arthur schwul ist, im selben Alter wie ich und der einzige Kerl, mit dem ich auch Frauenprobleme besprechen kann, ohne Angst vor einem Po-Grabscher haben zu müssen?
Arthurs Finger rattern wie Maschinengewehre über die Tasten, bis er sich für einen kurzen Moment grinsend zurücklehnt und die Hände auf seinen fülligen Bauch legt.
„Was ist?“ Meine Finger rasen fröhlich weiter über die Tastatur, während ich ihm einen fragenden Blick über unseren Doppelschreibtisch zuwerfe.
„Was hast du mit deinen Haaren gemacht?“ Er macht eine kreisende Bewegung mit seinem Zeigefinger.
„Es ist nicht zu fassen.“ Nun lehne auch ich mich zurück. „Du merkst aber auch wirklich alles.“
„Du warst beim Friseur, richtig?“
„Nein nein, das war mein eigenes Werk.“ Ich wickele stolz eine Locke um meinen Finger. „Mein neuer Lockenstab ist der Hammer, oder? Man sieht die Locken selbst zwei Tage später noch, wenn man sie fixiert und gut behandelt.“
„Entzückend. Und was war der Anlass? Ein romantisches Dinner mit Mister Sixpack?“
„Jan und ich“, antworte ich mit verklärtem Lächeln, „wir waren wirklich aus. Stell dir vor, er hat mich zum ersten Mal zu einem Abendessen mit seinen Kollegen mitgenommen. Offizieller geht es doch nun wirklich nicht, oder?“
„Klingt toll.“
Ich nicke grinsend. „Er war so süß zu mir. Na ja, eigentlich ist er das ja immer.“
„Und was ist das dann für ein Schatten auf deinem Gesicht?“
„Schatten?“