Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff
Burg ein und fragten,
was das für ein Land sei, und man sagte ihnen, es sei
das Land des Königs von Torelore. Aucassin fragte,
welch ein Mann das sei und ob er Krieg führe. »Ja,
einen großen Krieg.« Da nahm er Abschied von den
Kauffahrern, und diese befahlen ihn Gott. Er stieg auf
sein Roß, sein Schwert umgegürtet und sein Liebchen
vor sich, und ritt, bis er in die Burg kam. Er fragte
nach dem König, und man sagte ihm, er liege im
Kindbett. »Und wo ist denn seine Frau?« Man erwiderte,
sie sei auf der Heerfahrt und mit ihr alle Leute
des Landes. Als Aucassin das hörte, verwunderte er
sich gar sehr. Er kam in den Palast und stieg ab, sowohl
er als sein Liebchen. Sie hielt sein Roß; er aber
stieg in den Palast hinauf, das Schwert umgegürtet,
und kam in das Zimmer, wo der König lag. Aucassin
war ganz allein; / in die Kammer drang er ein / und
gelangte bis zur Stätte, / wo der König lag im Bette. /
Er blieb stehn, als er ihn sah: / »Sag, du Narr, was
machst du da?« / Nun vernehmt, was der gesprochen:
/ »Herr, ich liege in den Wochen! / Wenn mein Monat
ist dahin / und ich ganz genesen bin, / werd' ich in die
Messe gehn, / wie's von altersher geschehn. / Aber
dann mit großem Schall / schlag ich meine Gegner all,
/ lasse nicht vom Kriege.« Als Aucassin den König
also reden hörte, nahm er alle Decken, die auf ihm
lagen, und schüttelte sie auf den Boden. Er sah hinter
sich einen Stock, ergriff ihn und schlug damit so auf
den König los, daß er ihn fast umbrachte. »Ach, lieber
Herr,« rief der König, »was wollt Ihr von mir?
Seid Ihr verrückt, daß Ihr mich in meinem eigenen
Hause schlagt?« »Beim Herzen Gottes,« sprach Au-
cassin, »armseliger Wicht, ich schlage Euch tot, wenn
Ihr mir nicht gelobt, daß in Eurem Lande kein Mann
mehr im Kindbett liegen soll!« Er gelobte es ihm, und
als dies abgetan war, sagte Aucassin: »Herr, nun führt
mich zu Eurer Frau ins Heer!« »Gerne Herr,« sprach
der König. Er stieg auf ein Roß und Aucassin auf das
seine und Nicolette blieb in den Gemächern der Königin.
Der König und Aucassin ritten zur Königin ins
Feld, wo eben mit gerösteten Holzäpfeln, Eiern und
frischen Käsen eine Schlacht geliefert wurde. Aucassin
schaute das mit an und verwunderte sich höchlichst.
Auf dem Sattel vorgeneigt, / hält der Jungherr,
staunt und schweigt. / Vor ihm wogte weit und breit /
dieser Heere heißer Streit, / die mit Äpfeln, mürbgekochten
/ und mit frischen Käsen fochten. / Durch die
Luft in hohem Bogen / große Wiesenschwämme flogen.
/ Wer mit Lärm am lautsten tobt, / wird als erster
Held gelobt. / Aucassin, der tapfre Mann / sah die
seltne Schlacht mit an / und begann zu lachen. Als
Aucassin dieses wunderliche Schauspiel sah, ging er
zum König und redete ihn an: »Herr, sind das Eure
Feinde?« »Ja, Herr!« sagte der König. »Und wollt Ihr,
daß ich Euch an ihnen rächen soll?« »Ja,« sprach
jener, »gerne!« Da legte Aucassin Hand ans Schwert,
stürzte sich mitten unter sie, begann nach rechts und
links um sich zu hauen und tötete viele. Doch als der
König sah, daß er sie totschlug, fiel er ihm in den
Zügel und rief: »Ach, lieber Herr, tötet sie mir nicht
so ohne weiteres!« »Wie?« sprach Aucassin, »wollt
Ihr denn nicht, daß ich Euch räche?« »Herr,« sprach
der König, »das habt Ihr schon zuviel getan. Es ist
unter uns nicht Brauch, daß wir einander totschlagen.
« Die Feinde wandten sich zur Flucht, und der
König kehrte mit Aucassin ins Schloß Torelore zurück.
Die Leute des Landes aber rieten dem König, Aucassin
aus seinem Reiche zu jagen und Nicolette für
seinen Sohn zurückzubehalten; denn sie scheine eine
Frau von hohem Stande. Als Nicolette das hörte, war
sie nicht sehr froh darüber und sprach: »Komm ich,
Herr von Torelor, / Eurem Volk so närrisch vor, / daß
ich solche Wünsche hätte?« / sprach die holde Nicolette.
/ »Wenn, von meinem Reiz beglückt, / mich
mein Liebster an sich drückt, / nenn' ich alle Wonnen
mein. / Ball und Tanz und Ringelreihn, / Fiedel, Geig'
und Harfenspiel, / und was sonst der Welt gefiel, / gilt
mir nichts dagegen.«
Aucassin lebte auf der Burg Torelore herrlich und
in Freuden; denn er hatte Nicolette, sein süßes Liebchen,
bei sich. Doch als er in diesen Wonnen
schwamm, kam ein Schiffsheer Sarazenen übers Meer
daher, lief die Burg an und nahm sie im Sturm. Sie
raubten das Gut und schleppten Männer und Weiber
gefangen fort. Auch Nicolette und Aucassin ergriffen
sie, banden dem Jungherrn Hände und Füße und warfen
ihn in ein Schiff und Nicolette in ein anderes. Da
erhob sich ein Sturm über dem Meere, der sie trennte.
Aucassin landete beim Schloß Beaucaire und erfuhr,
daß seine Eltern, während er in Torelore war, gestorben
seien. Die Bürger führten ihn in sein Schloß und
huldigten ihm, und er hielt sein Land im Frieden. Das
Schiff aber, darin Nicolette war, gehörte dem König
von Karthago, und der war ihr Vater. Sie wurde also
mit großer Freude im Sarazenenlande aufgenommen
und sollte einem Heidenkönig zur Frau gegeben werden;
aber sie hatte keine Lust, sich zu vermählen. Sie
verlangte eine Fiedel und lernte darauf spielen, und
als man sie eines Tages einem mächtigen Sarazenenfürsten
vermählen wollte, schlich sie in der Nacht
davon, färbte sich Haupt und Antlitz, daß sie ganz
dunkel wurde, ließ sich Rock und Mantel, Hemd und
Hosen machen und kleidete sich so in die Tracht eines
Spielmanns.