Narrativierung. Bernd Floßmann
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Erzähl mir vom Tod dieses Fuchses. Aber wie? Welches war sein Weg, der zu diesem Punkt geführt hat?
The White Rabbit put on his spectacles. ›Where shall I begin, please your Majesty?‹ he asked. ›Begin at the beginning,‹ the King said gravely, ›and go on till you come to the end: then stop.‹ (Alice’s Adventures in Wonderland. Chapter XII)
Diese Variante der Aristotelischen Theorie von der Erzählung, Anfang – Mitte – Ende, welche der König dem Kaninchen als Erzählstruktur vorschlägt, ist zwar die einfachste, aber auch die von der Wirklichkeit am weitesten entfernteste, also abstrakteste Form der Erzählung von Welt. So führt diese Erzählung auch in Alices Welt zu nichts, das Kaninchen liest ein Nonsense-Gedicht vor, welches der König als Evidence verwenden will, aber nicht kann, weil Alice, die erzählte Erzählerin des Textes genau jetzt aus dem Text herauswächst und schliesslich aufwacht und ihn als Traum erzählt. Doch auch Träume stoßen zu. Schon Aristoteles hat zwischen einfacher (etwas geschieht in einer logischen, erwartbaren, zeitlichen Reihenfolge) und komplizierter Erzählung (etwas Überraschendes, das Gegenteil des Erwarteten geschieht), unterschieden. Von den Schicksalen der Menschen zu erzählen, den eigenen und den fremden, den fiktionalen und den wahren, heisst für die Schriftstellerin, den Schriftsteller, für ihren Text die Rolle und die Verantwortung eines Gottes einzunehmen.
Denn Gott ist die Spur und die Erzählung von der Spur, vom rechten Weg – Logos (λογοσ), Dao(道)
Das Schicksal, Los, Fatum, Kismet, Moira wird beim Schreiben durch die Schriftstellerin, den Schriftsteller repräsentiert. Es heißt, sie entscheiden nach allgemein weit verbreiteter Auffassung nach eigenem Gutdünken über Wohl und Wehe, Tod und Leben ihrer Welten und Geschöpfe.
Doch alle, die schreiben, erfahren etwas anderes.
Die Erzähler schöpfen zwar aus unendlichen Möglichkeiten (Omnipotentia) und sind gleichzeitig in unendlich vielen Welten präsent, diese müssen je für sich selbst wiederum aber logisch sein.
Die Erzähl-Götter sind dazu immer wieder mit der Aktivität, dem freien Willen ihrer Kreationen konfrontiert. Sie sind damit selbst auch nicht völlig frei. Selbst in der Traumwelt von Alice im Wunderland oder in der Science Fiction kann sich nicht völlig und ungestraft und immer über Naturgesetze, Raum- und Zeitdimensionen hinweggesetzt werden. Auch Erzählgötter sind Beschränkungen unterworfen.
Gewissermaßen ist die Welt der Bücher die objektive Realisierung jener unendlichen Vielfalt von Quantenwelten, welche die Physiker gerade zu beschreiben versuchen.
Nur so ist die Anwesenheit von Bösem, der Sieg von Vernunft über Unvernunft auf lange Zeit und der Unvernunft (Barbarei) über die Vernunft (Zivilisation) auf kurze Zeitdistanz zu erklären und zu beschreiben.
Wenn Sie als Erzähler jetzt diese Götter, also sich selbst sprechen lassen wollen, müssen Sie sich im Klaren sein, welche Art Göttin, Gott Sie sein wollen. Zur Auswahl stehen unter vielen Anderen:
Der Jagd- und Rachegott Jahwe (oder Diana), der eingreift und gerne mal daneben schiesst (vgl. den Isaak Mythos),
einer der vielen gleichgültigen Götter der Inder, (beratend tätig, aber ständig mit sich und seinen Inkarnationen beschäftigt, am Besten ist, wenn man von diesen Göttern und Dämonen nicht bemerkt wird),
der Vernunftgott des Logos, des rechten Weges, von Lao Tsi, Heraklit und dem Evangelisten Johannes, der als Naturgesetz wirkt und die waltende Vernunft in der Natur, die durch die Menschen hinhörend angewandt werden kann, repräsentiert,
der unglückliche Vernunftgott der Juden, der unter der Sündhaftigkeit (der Unvernunft) der Menschen leidet, weil er sie liebt, und dessen Handeln rätselhaft ist,
der Vatergott des Konfuzius, dem man nur gehorchen muss, um glücklich zu werden,
Den Händlergöttern des Mönches Tetzel, welche je nach Opferbereitschaft der Gläubigen strafen oder belohnen, verhandelbar, Krämer, die Seligkeit gegen Ablasszettel und Spenden verkaufen,
…
Den einzig wahren Gott gibt es nur aus markttechnischen Gründen: »Du sollst kein Buch kaufen ausser meinem! » Mit den Schriftstellern hat das nichts mehr zu tun, das ist eine Sache des Vertriebs, so wie die Kirche die Vertriebsorganisation der Gottesideen ist, von den Straßenhändlern der Zeugen Jehovas bis hin zu den Einkaufs-Palästen der Weltreligionen.
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Die drei Stufen der Mitteilung von Wissen
Diejenigen, welche etwas erfahren haben, können auf etwas (ver-) weisen, weil sie etwas wissen, Weisheit, Augenzeugenschaft besitzen. Diese Möglichkeit möchte Wirklichkeit werden. Das Wirken von Erfahrung auf Andere ist Kommunikation. Erfahrung, Wissen, Ereignisse sollen kommun werden, möglichst Vielen gemeinsam (Gemeinsames Sein).
Die Weisen also möchten Andere auf Ihre Weisheit hinweisen, diese Weisheit Anderen mitteilen, kommunizieren. Dafür sprechen und schreiben sie in der Sprache, die sie jeweils selbst verstehen. Deshalb besteht oft der größte Teil des Aufwandes, einen Schriftsteller zu verstehen, darin, seine Sprache zu lernen. Dabei ist nicht nur Englisch oder Chinesisch gemeint, sondern auch Fachchinesisch, eine spezifische Wortwahl, eine besondere Art und Weise der Konstruktion von Sätzen.
Der intellektuelle Aufwand für dieses Erkennen, dieses Verstehen, das Lernen der Fachsprache, das Studieren des Kontextes, das Hinterfragen der Botschaft (›intellectus‹ als lateinischer Versuch, das griechische nous νους zu übersetzen, kann auch gelesen werden als: ›Diejenigen welche sich mit dem Verstehen und der Mitteilung von Weisheit beschäftigen‹) schreckt viele ab. Viele Menschen werden damit von der Kommunikation ausgeschlossen oder schließen sich selbst aus der Kommunikation aus (vom »Ich verstehe das nicht« bis zum »Ich will das gar nicht wissen«). Damit sind diese Menschen auch vom Wissen ausgeschlossen, sie bleiben unwissend, unaufgeklärt, sind auf den Glauben im Sinne von Für-wahr-halten angewiesen.
Die Aufklärung, die Verständlichmachung, die Weitergabe von Wissen ist daher der praktische Teil der Wissensmanagements: »Wie sag ich‘s meinem Kinde?«
Das, was ich teilen, mitteilen will, das worauf ich zeige (bezeuge), weise, sind zunächst Sachverhalte, Zahlen, Daten, Fakten, etwas, das der Fall ist, Tatsachen.[Wittgenstein, vgl.: 1, 1.1, 1.11 und 1.12]
Doch beim Mitteilen dieser Fakten, beim Das, Da, Jetzt (Name, Ort, Zeit) bleibt es nicht. Das genügt nicht. Ein Begehren entsteht, das Begehren nach Verständnis dessen, was ich gesehen, erfahren habe, auf was ich hingewiesen werde, was mir gezeigt wird. Denken und Sprache stellen sofort Zusammenhänge zwischen den Tatsachen her. Nicht nur das Was, sondern auch das Warum, Woher, Wieso wird zum Bestandteil unseres gemeinsamen Seins, unseres Inter–Esses, dem Ort, wo die Mit–Teilung stattfindet. Diese Teilung ist so in Wirklichkeit nie ein Teilen im Sinne von Trennen, sondern ein Teilen im Sinne von Verdoppeln. Glück und Erfahrungen verdoppeln sich wenn man sie teilt.
Aus dem Aufzählen von Ereignissen (Und dann, und dann, und dann . . . ) wird das Erzählen von Wissen, Wissen wird narrativiert, aus der Story, dem Bericht, er historischen Abfolge der Ereignisse, welche berichtet werden:
A 1. Paul geht zum Café
B 2. dann holt sich Paul einen Kaffee
C 3. dann stößt Ilse mit ihm zusammen
D 4. dann fällt die Tasse