Narrativierung. Bernd Floßmann

Narrativierung - Bernd Floßmann


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      F 6. dann verliebt sich Paul in Ilse

      G 7. dann leben Sie zusammen bis ans Ihr Ende

      wird der Plot, Die logische Präsentation der Ereignisse in einer dramatischen Abfolge.

      Mit Hilfe von Schlussfolgerungen, Bindewörtern, Bewertungen, Zusammenhängen, »weil« und »deswegen«, werden Verbindungen zwischen den Fakten konstruiert, welche insgesamt eine andere Art des Berichtes, nämlich eine logisch möglichst stimmige Erzählung formen, bei der die Ereignisse nicht mehr einfach aufeinander folgen (post hoc) sondern auseinander hervorgehen (propter hoc):

      A 7. Paul und Ilse leben zusammen, wahrscheinlich auch noch bis ans Ihr Ende

      B 3. weil er mit ihr zusammengestoßen ist

      C 4. und die Tasse auf den Boden gefallen ist

      D 2. mit dem Kaffee den er sich geholt hatte

      E 1. aus dem Café an der Ecke

      F 5. und Ilse tröstete Paul so nett

      G 6. daraufhin verliebte sich Paul in Ilse und Ilse in Paul.

      Für diese neue Form des Teilens von Wissen, Erfahrungen und Erlebnissen mit Anderen, gibt es drei Stufen. Diese drei Stufen korrelieren mit den drei philosophischen Grundfragen Kants und den drei Grundfragen der Macht:

      Abduktion ist die erste Stufe der Erzählung von Wissen. Etwas ist geschehen und diese Erfahrung, dieses Ereignis, dieses Erlebnis weicht von der bisherigen Erfahrung ab. Dieses Wissen wird als Fakt erzählt (»Es regnet!«) und gleichzeitig werden Vermutungen ausgesprochen, wie dieser Fakt mit den bisherigen Erfahrungen, Erlebnissen und Ereignissen in Zusammenhang stehen könnte.

      Bei dieser Erzähltechnik entstehen also in verschiedenen Stufen der Retroduktion nach einer Störung von Erfahrungswissen durch konstruktives Verbinden von Ereignissen Hypothesen.

      Die Abduktion, welche bei Aristoteles Apagoge (απαγογε) heißt, geht von einem überraschenden Ereignis aus, bei dem neue Beobachtungen und Erlebnisse zum Bedürfnis der Mitteilung an andere, einem Bericht, Report, führen.

      The surprising fact, C, is observed; But if A were true, C would be a matter of course, Hence, there is reason to suspect that A is true. Thus, A cannot be abductively inferred, or if you prefer the expression, cannot be abductively conjectured until its entire content is already present in the premiss, »If A were true, C would be a matter of course.«

      Peirce: Collected Papers (CP 5.189)

      Neue Regeln einzuführen, weil die Beobachtung nicht mit den Annahmen übereinstimmt, erinnert sehr stark an die Falsifikationstechnik von Popper, bei der die Richtigkeit aller Behauptungen zunächst angenommen wird und die wissenschaftliche Tätigkeit darin besteht, Falschheit nachzuweisen.

      Abduktion eröffnet daher eine Möglichkeit, die Welt anders zu sehen als bisher, nachdem man durch eine Beobachtung oder Erkenntnis in seinem Vertrauen auf die Richtigkeit eigener Vorstellungen gestört worden ist. Bisherige Regeln gelten nicht mehr, neue Erklärweisen müssen entdeckt werden. Aus der Beobachtung entstehen erklärende Hypothesen, Mythen, Märchen, Reiseberichte.

      „Deduction proves that something must be; Induction shows that something actually is operative; Abduction merely suggests that something may be.“ Diese Stufe entspricht Kants Frage »Was kann ich hoffen?« und ist utopisch und praktisch, sie ist religiös.

      Peirce: Collected Papers (CP 5.171)

      Abduktion ist daher eine Methode, welche dem naiven Storytelling, insbesondere in der Form der Heldenstory sehr nahe steht.

      Bei dieser Sonderform der Abduktion geschieht nämlich etwas Wunderliches. Der Hörer bekommt gar keine Antwort auf seine Frage geboten, sondern einen anderen, ähnlichen Fall geschildert. Aus diesem Fall, der bunt und anschaulich beschrieben wird, kann der Hörer sich ein eigenes Bild für den erfragten Sachverhalt schaffen.

      Je nach Qualität der Erzählung ist genug Platz, eigene Bilder und Erinnerungen einströmen zu lassen und den Wegen und Wegpunkten Ähnlichkeit mit etwas zu verleihen, was man als Hörer schon weiß, was bereits meins ist.

      Weil es als eigene Geschichte nacherlebt wird, wird die Information auch als eigene Geschichte erinnert. Die Hürde des Fremden entsteht gar nicht erst.

      Induktion ist die zweite Stufe. Der Autor weiß etwas, was du nicht weißt, er ist in einer Gegend, einem Fachgebiet zu Hause. Der Erzähler kann sich mitunter gar nicht vorstellen, dass jemand Anderes das, was für ihn selbstverständlich ist, nicht wissen kann. Deswegen erzählt er das gar nicht. Er geht von dem aus, das er genauer weiß als andere, beginnt bei seinem besonderen Einzelfall, zeichnet den Weg nach, den er gegangen ist oder gehen würde.

      Man erlebt das mitunter, wenn man irgendwo nach dem Weg fragt: Die Gefragten fallen in eine Art Trance, aus der heraus sie ihre inneren Bilder vom Weg beschreiben. Bezugspunkte werden oft weggelassen oder unklar formuliert, Namen werden als selbstverständlich vorausgesetzt, denn der Erzähler kennt die Namen, sie sind für ihn nichts Neues. Ganze Wegstücke werden weggelassen, weil sie dem Erzähler selbst gerade nicht erinnerlich waren, Schwierigkeiten werden aufgebauscht, wenn sie dem Erzähler zu groß, oder abgeschwächt, wenn sie dem Erzähler zu gering schienen. Hürden, so sie der Erzähler überwunden hat, werden nicht erwähnt.

      Die induktive Methode folgt der Erinnerung der eigenen Entdeckung, des eigenen Weges.

      Diese Stufe entspricht Kants Frage »Was kann ich wissen?« und ist analytisch und empirisch, sie ist wissenschaftlicher Bericht, denn sie schafft Wissen und hält sich auch nur an das was gewusst wird, für Spekulationen ist hier kein Platz.

      Deduktion ist die dritte Stufe, oft die des Lehrers. Die Erzähler sind meist gebildet, haben eine Vorstellung vom Hörer und gehen einen Weg vom Allgemeinen zum Einzelnen. Sie versuchen, jeden Namen, jeden Begriff erst zu erläutern, bevor sie ihn verwenden und geraten dabei manchmal vom Hundertsten ins Tausendste, kommen vom Weg ab und verlieren sich in Erklärungen, von denen dem Hörer nicht immer klar ist, warum er das wissen muss.

      Sie versuchen exakt und genau zu sein, sie beginnen beim Urschleim oder beim »cogito ergo sum«, bei »Die Welt ist alles, was der Fall ist.« (Wittgenstein)

      Jedenfalls beginnen sie mit etwas, wovon sie hoffen, dass es für alle Beteiligten unbezweifelbar, einsichtig, axiomatisch ist. Sie vergessen deshalb nicht, der letzten Ursache aller Dinge oder Erscheinungen auf den Grund zu gehen. Es braucht seine Zeit, bis sie »ordine geometrico« nach der Ordnung der Geometrie, welche der exakten Wissenschaft Vorbild ist, bei dem Niveau angelangt sind, wo die unmittelbare Betroffenheit das Interesse der Hörer weckt.

      Allerdings gibt es ein Problem: Wenn ich nach dem Weg frage, erwarte ich keinen Vortrag über den Straßenbau oder über das Zeigen an sich oder gar über die Unmöglichkeit, den rechten Weg zu finden.

      Diese Stufe entspricht Kants Frage »Was soll ich tun?« und ist synthetisch und theoretisch, sie ist didaktische Narration.

      Jeder dieser Stufen entsprechen bestimmte Erzählweisen, Weisen der Narration. Jeder dieser Stufen entsprechen auch bestimmte bevorzugte Nutzungsfelder für die Erzählung.

      Das Historische hat sich in das Logische verwandelt und der Text wird nun immer zwischen der historischen und der logischen Dimension oszillieren.

      Aus dem Erlebten wird der Mythos, aus dem Mythos


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