Waldesruh. Christoph Wagner

Waldesruh - Christoph Wagner


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langsam mit gesenktem Kopf wieder nach oben. Travniczek hatte den Eindruck, dass er weinte.

      „Weiß der Junge, was hier passiert ist?“

      „Keine Ahnung. Wahrscheinlich schon. Es hat sich ja wie ein Lauffeuer im Dorf rumgesprochen.“

      „Für Kinder ist so etwas immer sehr schwer zu verkraften. Ich würde ihn da an Ihrer Stelle nicht so hart anfassen.“

      Schittenhelms Gesicht verhärtete sich und sein Ton wurde frostig.

      „Ich glaube, ich weiß selbst, wie ich meine Kinder zu erziehen habe. Da brauche ich keinen Rat von der Kriminalpolizei.“

      Das ist nicht nur Überheblichkeit, dachte Travniczek, da ist auch Trotz oder Abwehr, vielleicht von Schuldgefühlen, in seinem Blick. Er versuchte es noch einmal.

      „Ich will Sie ja keinesfalls belehren. Aber wissen Sie, wenn ich ermittle, habe ich auch immer wieder mit Kindern zu tun. Zu sehen, zu welch fürchterlichen Verletzungen, seelischen Verletzungen, meine ich, es da oft kommt, ist nur schwer zu ertragen. Da kann man nur mit sehr, sehr viel Zuwendung helfen.“

      Schittenhelm antwortete nicht, verspannte sich aber zunehmend. Da auch die Kommissare nichts sagten, blieb es länger still.

      „Ich glaube nicht, dass Sie hergekommen sind, um mit mir über Kindererziehung zu diskutieren“, brach schließlich Schittenhelm das Schweigen. Er gab sich Mühe, wieder höflich und souverän zu erscheinen. „Kommen wir doch zum Grund Ihres Besuchs. Ich möchte mich zunächst in aller Form für mein Verhalten und das meiner Mitbürger vorhin in der Jägerstube entschuldigen. Wir waren alle sehr nervös und einige, einschließlich meiner Person, haben da etwas überreagiert.“

      „Die Entschuldigung ist angenommen. Es freut mich, dass wir so schnell auf eine konstruktive Gesprächsebene kommen. Dann sagen Sie mir bitte, wie sich der Anschlag auf Dieter Maurischat aus Ihrer Sicht darstellt.“

      „Ich und selbstverständlich auch alle meine Mitbürger sind entsetzt darüber“, sagte Schittenhelm, ohne überlegen zu müssen.

      „Weil Sie den Falschen getroffen haben?“, versuchte jetzt Brombach, ihn zu provozieren.

      „Nein, natürlich nicht. Gewalt, das wollen wir in unserem schönen Dorf überhaupt nicht haben.“

      „Das verstehe ich jetzt nicht“, legte Brombach nach. „Sie haben doch vorher diesen Drohbrief geschrieben. Der Anschlag war doch nur die logische Fortsetzung.“

      „Nein, so sehe ich das nicht.“ Schittenhelm hatte jetzt einen Distanz schaffenden, quasi amtlichen Ton gefunden. „Sicher, die überwältigende Mehrheit aller Einwohner von Waldesruh, und dazu rechne ich mich auch, wollen auf keinen Fall, dass Wolfgang Maurischat wieder hier wohnt. Und ich denke, das ist verständlich.“

      „Lassen Sie uns darüber etwas später reden“, meinte jetzt wieder Travniczek. „Noch mal die Frage: Wie erklären Sie sich diesen Anschlag? Es muss ja einen Täter geben.“

      „Zunächst einmal möchte ich ausdrücklich betonen: Dieser Vorfall ist eine Diskreditierung unseres berechtigten Anliegens. Ich würde daher ausschließen, dass es jemand von den Dorfbewohnern war. So dumm ist hier niemand.“

      „Kommen Sie uns jetzt aber bitte nicht mit dem großen Unbekannten“, brauste Brombach auf. „Waldesruh war zur Zeit des Anschlags nahezu von der Außenwelt abgeschnitten.“

      „Nein, nicht der große Unbekannte“, fuhr Schittenhelm unbeirrt fort. „Wir sind froh, dass wir einen ehemaligen Kollegen von Ihnen, Herrn Sigismund Mampel, unter unseren Mitbürgern haben. Der hat auf der Grundlage seiner langjährigen Berufserfahrung ein, wie ich finde, sehr überzeugendes Szenario entwickelt: Die Maurischats haben die ganze Sache selbst inszeniert, um uns ins Unrecht zu setzen.“

      Er schwieg und sah die Kommissare herausfordernd an.

      „Also, Sie machen das Opfer zum Täter?“, fuhr Brombach ihn aufgebracht an. Travniczek gab ihm einen kaum sichtbaren Wink, Ruhe zu bewahren.

      „Ihre Hypothese entbehrt nicht einer gewissen Logik“, sagte er dann ganz ruhig, „und wir werden sicher auch in diese Richtung ermitteln. – Wichtiger ist mir jetzt aber Ihr Brief. Für Sie als Beamter kann das sehr unangenehm werden. Es muss Ihnen doch klar sein, dass es sich hierbei um einen schweren Fall von Nötigung handelt. Wie ist das Pamphlet eigentlich entstanden? Haben Sie das geschrieben und sind dann damit durch das Dorf gelaufen, um die Unterschriften einzusammeln oder wie habe ich mir das vorzustellen?“

      Travniczek sah deutliche Unruhe in seinen Augen. Schittenhelm verlor jetzt seine Beamtendistanz und sprach zunehmend hektisch.

      „Nein, natürlich nicht. Wir haben hier jeden Sonntagmorgen unseren wöchentlichen Frühschoppen. Da haben wir beim letzten Mal erfahren, dass Wolfgang Maurischat aus der Haft entlassen wird und wieder hier zu wohnen gedenkt. Das hat uns alle sehr schockiert, da niemand damit gerechnet hatte. Wir dachten alle, der traut sich nie mehr hierher. Natürlich will niemand mit diesem Mörder hier zusammenleben. Wir haben dann eben überlegt, was wir dagegen tun können. Da hat unser Dorfmaler, der Pietro Mostacci, plötzlich dieses Bild präsentiert, das er wohl schon vor einiger Zeit gemalt hatte. Wir waren alle sehr davon beeindruckt, um nicht zu sagen, begeistert und es kam die Idee auf mit dem Begrüßungsgeschenk, und da musste natürlich auch ein Brief dazu. Im Übrigen waren wir auch alle zu diesem Zeitpunkt schon sehr angeheitert.“

      „Also eigentlich ganz harmlos?“

      „Natürlich.“

      „Das kann ich nicht so sehen. Für mich sind alle, die diesen Brief unterschrieben haben, in Bezug auf den Anschlag tatverdächtig. Ich werde dem Staatsanwalt vorschlagen, entsprechende Ermittlungsverfahren einzuleiten.“

      „Sie können doch nicht ein ganzes Dorf kriminalisieren!“

      „Wieso ich? Es handelt sich um eine kollektive Straftat. Da müssen Sie jetzt die Konsequenzen tragen.“

      Tagebuch - 15.2.

      Seit einer Woche bin ich wieder ganz gesund. Vater hat mich, seit ich krank war, noch nicht einmal geschlagen. Aber das macht es nicht besser. Denn stattdessen schlägt er Mama, weil sie mir helfen wollte. Sie ist zur Polizei gegangen und wollte Vater anzeigen. Aber die Polizei hat ihr nicht geglaubt. Die haben Vater angerufen. Mama mußte auf der Polizei bleiben, bis er sie abgeholt hat. Jetzt höre ich nachts Vaters Schläge und ihre Schreie. Gestern Morgen hatte sie ein ganz blaues Auge. Ich glaube, sie konnte nicht mehr richtig sehen.

      14

      Nach Adalbert Schittenhelm besuchten die beiden Kommissare dessen Cousin Waldemar. Sie erlebten ihn als aalglatt und völlig selbstbeherrscht. Seine Aussage war mit der seines Cou­sins nahezu deckungsgleich. Die Absprache war offensichtlich.

      Danach wollten sie auch noch Ansgar Schittenhelm, dem Dorfpatriarchen, einen Besuch abstatten. Der hatte zwar den Drohbrief nicht unterschrieben, nahm aber in Waldesruh offenbar eine herausragende Position ein. So musste er von der Aktion wissen, wenn er sie nicht sogar selbst initiiert hatte.

      Sein Anwesen lag gut hundert Höhenmeter über dem Dorf und war über eine enge Serpentinenstraße zu erreichen. Es war hier wohl länger niemand mehr hochgefahren, denn hohe Schneeverwehungen erschwerten den Aufstieg und sie hatten nasse Füße, lange bevor sie oben ankamen. Die Betonmauer um das Areal war sicher gut drei Meter hoch, auf der Mauerkrone mit spitzen Glasscherben versehen. Durch ein breites, zweiflügliges Tor aus massivem Stahl konnte man ins Innere gelangen. Grellrote Scheinwerfer gaben Tor und Mauern ein martialisches Gepräge.

      Brombach und Travniczek sahen sich kopfschüttelnd an.

      „Hast du so etwas schon mal gesehen?“, fragte Brombach.

      „Nicht bei einem Wohnhaus.“

      „Wenn das hier dem Charakter des Hausherrn entspricht, können wir uns auf was gefasst machen.“

      Travniczek


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