Blitz. Tom Gris
Sofort.“
Mit zitternden Fingern schiebt der Hotelmensch die Schlüsselkarte in den Türschlitz.
„Treten sie zurück, ich gehe allein rein“, sagt Theo im besten Behördentonfall.
Er schlüpft ins Zimmer und macht die Tür hinter sich zu.
Theo riecht es, bevor er es sieht.
Blut. Überall Blut. Am Boden, auf den Wänden, auf den Möbeln, an der Decke, einfach überall. Es sieht aus wie in einem Schlachthaus. In der größten Blutlache am Boden liegt der Kobold.
Das heißt sein Körper, der Kopf fehlt. Der liegt daneben auf dem Bett, wie hingeschleudert, die toten Augen schauen Theo fassungslos an.
Theo beugt sich hinunter, der Kopf ist mit einem einzigen, sauberen Schnitt vom Körper getrennt worden, die Ränder ganz glatt, überhaupt nicht ausgefranst. Da muss eine ungeheure Kraft dahinter gesteckt haben, denkt Theo. Wie bei einer Guillotine. Aber eine Guillotine steht hier nicht.
Egal. Theo hat genug gesehen, er muss machen, dass er wegkommt. Aber es ist schon zu spät. Vor der Tür entsteht ein Tumult.
„Kollege? Was für ein Kollege?“ hört Theo eine Stimme schreien, die er nur allzu gut kennt.
Mir bleibt auch nichts erspart, denkt er und wappnet sich innerlich für die nun unvermeidbar bevorstehende Begegnung mit der Staatsmacht.
Als Kriminalhauptkommissar Hans Baer wie eine Furie ins Zimmer stürmt, hat Theo schon sein unschuldigstes Ministrantenlächeln aufgesetzt.
5
Baer steht da wie angenagelt. Sein Blick wandert zwischen dem Tatort und Theo hin und her.
„Servus Hans“, sagt Theo und grinst, als wäre es das Normalste von der Welt, sich genau zu dieser Zeit an genau diesem Ort aufzuhalten. Baer fängt sich schnell. Zu schnell, findet Theo unbehaglich. Das verheißt nichts Gutes.
„Der liebe Theo“, sagt Baer mit zuckersüßer, vor falscher Freundlichkeit triefender Stimme. „Wieso wundert es mich eigentlich nicht, dich an jedem Ort, an dem sich irgendeine Sauerei ereignet hat, anzutreffen? An jedem Ort, wo du eigentlich nichts verloren hast? Warum wundert mich das nicht?“
Theo weiß, wann er besser den Mund hält und antwortet lieber nichts.
„Weißt du noch“, fährt Baer maliziös fort, „ wann ich dich das das letzte Mal getroffen habe? Das war kurz nachdem du mitsamt dem Haus von diesem Professor Lindholz in die Luft geflogen bist. Wo du auch nur zufällig anwesend warst. Und weißt du noch, was ich damals zu dir gesagt habe?“
Baer wird jetzt immer lauter, der Ausbruch des Vulkans kann nicht mehr weit sein. Theo ergibt sich in sein Schicksal. Hat eh keinen Sinn mehr.
„Ich habe gesagt“, schreit Baer „Theo, hab ich gesagt, Theo, ich bin allmählich zu alt für deine Faxen, ich hoffe, dich in der nächsten Zeit nicht mehr zu sehen, und was ist? Was ist?“
Baer tritt zur Seite. Erst jetzt erkennt Theo, dass sich hinter dem massigen Baer die zierliche Gestalt von Oberkommissarin Valerie Bierbichler verbirgt.
Die liebe Valerie, seine tapfere Kampfgefährtin im Fall Strelic. Valerie lächelt verkniffen und winkt Theo vorsichtig zu. Dann schaut sie auf Baer und zieht resigniert die Mundwinkel nach unten. Soll heißen: Da musst du jetzt durch, Theo.
Baer hat nunmehr den Höhepunkt seines Wutausbruchs erreicht.
„Schneider, Eckert“ schreit er.
Zwei Uniformierte schieben sich ins Bild.
„Legt diesem Tatverdächtigen“, - er zeigt auf Theo- „Handschellen an und bringt ihn ins Präsidium. Dort sperrt ihr ihn in eine Zelle, bis ich wiederkomme. Und jetzt weg mit ihm.“ Theo lässt sich wortlos abführen. Er kennt Baer gut genug. Der regt sich schon wieder ab. Im Vorbeigehen zwinkert er Valerie zu. Sie zwinkert zurück.
Theo muss lange warten, bis er aus der Zelle geholt und in Baers Büro gebracht wird. Baer sitzt hinter seinem Schreibtisch, hat sein Gesicht in den Händen vergraben und reibt sich die Augen. Dann lässt er die Hände sinken und schaut Theo an. Er sieht fürchterlich mitgenommen aus.
„Setz dich, Theo“ sagt er müde. „Theo, ich hab mir die halbe Nacht und den ganzen Tag um die Ohren gehaut. Ich werde alt, ich steck das nicht mehr so weg wie früher. Ich sollte nach Haus, schlafen, damit ich die Bilder von diesem Tatort aus dem Kopf kriege. Und das wird nicht leicht werden. So was hab selbst ich noch nicht gesehen.“
Ich auch nicht, denkt Theo, sagt aber nichts.
„Kurzum, Theo“, redet Baer weiter „ich hab jetzt keinen Nerv mehr für irgendwelchen Scheiß. Sag mir einfach, warum du in diesem Hotelzimmer warst. Aber flott.“
Theo sieht keinen Grund, warum er Baer irgendwas verschweigen sollte. So erzählt er alles der Reihe nach bis zu dem Moment, wo er Baer begegnet ist. Nur die hinterlegte Festplatte erwähnt er nicht. Warum, kann er nicht sagen, es ist einfach so eine momentane Eingabe. Was er damit auslöst, wird er erst viel später merken.
„Also gut“, sagt Baer „die Sache mit der Amtsanmaßung wollen wir mal vergessen. So wie ich das sehe, ist mit Strohmanns Tod auch dein Auftrag beendet. Oder etwa nicht?“ Lauernder Unterton. Vorsicht, Theo.
„Klar doch“ sagt Theo ungerührt und denkt: Für´s erste. Baer scheint zufrieden.
„Dann gehst du jetzt raus und gibst das, was du mir gerade erzählt hast, zu Protokoll. Dann kannst du heimgehen. Aber eins sag´ ich dir: Versuch ja nicht, diesen Mord selber aufzuklären. Lass dich nicht erwischen. Das ist Sache der Polizei. Du willst nicht wissen, was dir blüht, wenn du dich nicht dran hältst. Kapiert?“
Theo nickt beflissen.
„Servus Hans“.
Dann geht er. Draußen ruft er noch kurz in seinem Büro an und sagt seiner Sekretärin Olga, dass er erst morgen wieder kommt. Eine Stunde später schläft er in seinem Wohnzimmer auf dem Sofa ein. Ohne Navy CIS.
6
Am nächsten Tag erzählt Theo der darüber sichtlich erschrockenen Olga die letzten Ereignisse. Dann geht er in sein Büro, schenkt sich einen doppelten Mendoza ein und öffnet das Lederfutteral, das der Kobold bei ihm hinterlegt hat.
Es enthält, wie angekündigt, eine externe Festplatte, ein schwarzes, flaches Plastikdings, das wie ein Buch ausschaut. Theo betrachtet das Ding von allen Seiten, nichts Auffälliges zu finden, er legt es vor sich auf den Schreibtisch und starrt es an.
Was ist da drauf, dass der Kobold die Festplatte nicht bei sich behalten, sondern hinterlegen wollte? Offenbar ist jemand hinter der Festplatte her. Offenbar hat dieser jemand gestern die Festplatte bei dem Kobold gesucht, aber nicht gefunden.
Dies bedeutet, dass dieser jemand nicht weiß, dass Theo die Platte hat.
Nur- wie lange wird es noch dauern, bis er draufkommt? Gibt es Spuren, die man zurückverfolgen kann? Weiß jemand außer Mieze, dass Strohmann bei Theo war? Hat Strohmann vor seinem Tod verraten, wo die Platte ist? Oh-Oh, denkt Theo, vielleicht hätte ich die Platte doch lieber Baer überlassen sollen.
Oder zurückgeben, aber wem? Den Erben? Eigentlich gehört die Platte zum Nachlass. Theo reißt sich aus diesen Überlegungen, ruft Olga herein und drückt ihr die Festplatte in die Hand.
„Kannst du mal rauskriegen, was da drauf ist?“
Olga schaut ihn an, als ob er sie gefragt hätte, ob sie einem Baby den Schnuller wegnehmen kann. Sie würdigt ihn keiner Antwort und rauscht aus dem Zimmer.
Zehn Minuten später ist sie wieder da. Sie knallt die Festplatte auf den Schreibtisch und sagt:
„Da ist nichts weiter drauf als ein Entschlüsselungsprogramm.“
„Was?“
„Ein Entschlüsselungsprogramm, Chef. Das braucht