Begnadet - Buch 1-2. Sophie Lang

Begnadet - Buch 1-2 - Sophie Lang


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sich keine fünf Meter hinter dem Eichentisch und wird bewacht von je zwei mächtigen Bücherregalen zur Linken und zur Rechten.

      Ich sehe mich noch einmal um. Kyalas und mein Blick treffen sich und sie nickt mir aufmunternd zu.

      Wärme strömt von ihr zu mir und ich fühle mich sofort etwas besser. Ich glaube, sie mag mich vom ersten Moment an, obwohl ich noch nicht einmal weiß, ob sie überhaupt meine Sprache spricht. Vigor ertappe ich auch dabei, wie er mir hinterhersieht. Das macht ihn aber weder sympathischer, noch verliere ich vor ihm meine Angst, die instinktiv, ganz tief aus meinem Innern, zu kommen scheint.

      »Kommen Sie nur, kommen Sie nur, Aeia. Ich beiße nicht«, höre ich die angeraute Stimme Meusburgers. Er steht in der geöffneten Tür und winkt mich zu sich. Zögernd, mit langsamen Schritten, befehle ich meinen Körper in sein Büro. Das Sonnenlicht kriecht durch zwei farbige Kirchenfenster, malt ein atemberaubend schönes Mosaik auf das Parkett und den Schreibtisch, den zwei grinsende Totenschädel an jedem Tischbein zieren.

      Mein Chef setzt sich hinter seinen antiken Totenschädelschreibtisch in einen braunen, vom Alter gezeichneten, Ledersessel. Mit einem belanglosen Wink gibt er mir zu verstehen, in dem nicht weniger alten, aber wesentlich unbequemeren, Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen.

      »Frau Engel«, fängt er mit aufgesetzt mysteriöser Stimme an. »Es gibt hier bei TREECSS wenige, aber dafür außerordentlich ernst zu nehmende, Prinzipien. Es ist meine Pflicht, Sie über die Inhalte und die Konsequenzen bei Zuwiderhandlung aufzuklären.

      Mit der Unterzeichnung des Vertrages haben Sie diesen ja bereits zugestimmt.« Er tippt mit seinem Zeigefinger dreimal auf ein Dokument, das auf seinem Schreibtisch liegt. Es handelt sich um die zweite Ausführung meines Vertrags.

      »Die Regeln sind einfach und kristallklar«, fährt Meusburger fort.

      Ich sehe unbewusst auf die zwei Kirchenfenster und bekomme ein komisches Gefühl in meiner Magengegend.

      »Loyalität, Aufrichtigkeit, Tradition«, sagt Ronan Meusburger. »Sei loyal in all deinem Handeln. Spreche mit keiner fremden Seele über deine Taten oder die des Instituts. Sei aufrichtig in all deinen Gedanken. Sage nie die Unwahrheit. Sei ein Teil der alten Tradition. Lass uns alle an deinem einzigartigen Wesen teilhaben.«

      Er macht eine Pause.

      »LOYALITÄT«, er schließt seine Hand.

      »AUFRICHTIGKEIT«, sagt er mit geöffneter Hand.

      »TRADITION«, seine Hand schließt sich wieder.

      Die Worte klingen wie ein Gebet, die drei Prinzipien wie der Vater, der Sohn und der Heilige Geist in meinen Ohren nach. Ich bekomme eine Gänsehaut.

      »Ich verstehe jetzt, warum Sie vorhin von einem Test gesprochen haben. Ehrlichkeit ist eins der drei Prinzipien«, überlege ich laut. Mein Chef nickt anerkennend. Irgendwie tut dieses unausgesprochene Lob gut. »Sie sprachen auch von anderen Tests. Gibt es da noch weitere?« Er sieht jetzt wieder ganz aus wie ein verwirrter Professor. Kratzt sich am Schädel, bevor er spricht.

      »Durchaus, durchaus. Jeder hier im Institut ist begabt. Begabt auf eine ganz besondere, einzigartige Art und Weise. Das gehört sozusagen zum Stammbaum unserer Familie.« Ich erinnere mich nicht daran, in den Bewerbungsunterlagen etwas Derartiges gelesen zu haben. Weiß nicht, von was er spricht. Was oder wen er mit Familie meint. Tatsächlich wusste ich bis vor wenigen Wochen noch nicht einmal von der Existenz dieses Instituts.

      Ich habe schon von Kommilitonen auf der Uni gehört, dass große und einflussreiche Firmen die Studenten noch vor ihrem Abschluss akquirieren. Oft bekommen Psychologen Jobs in Personalabteilungen in der Industrie oder in Beratungsunternehmen. Gute Nachwuchskräfte sind gefragt und der Markt um junges Blut ist heiß umkämpft. Aber das trifft auf die wirklich guten Studenten zu, zu denen ich mich nie zählen durfte.

      Ich war also erstaunt, als ich einen vorgefertigten Vertrag in meinem Briefkasten fand. TREECSS liegt in der Nähe Freiburgs und interessant klang die Aufgabe auch. Forschung, Projektmanagement und Feldversuche. Auslandsaufenthalte nicht ausgeschlossen. Und zudem die Möglichkeit, mein Studium parallel zur Arbeit abzuschließen.

      Plötzlich höre ich Meusburger weitersprechen.

      »Wir beobachten unsere Kandidaten lange, wirklich lange, bevor sie selbst überhaupt auf den Gedanken kommen, sich bei uns zu melden. Aeia, sagen Sie mir, warum haben Sie den Vertrag unterschrieben?«

      »Weil ich glaube, das Richtige zu tun. Und weil ich stolz bin und mich geehrt fühle, so wie die Besten auf der Uni angesprochen zu werden«, sage ich aufrichtig.

      »Ihr Notendurchschnitt ist beschissen. Weit unter dem Durchschnitt.«

      »Das wussten Sie, nehme ich an, bevor Sie mir einen Vertrag zugeschickt haben«, erwidere ich trotzig.

      »Richtig. Aeia, selbst wenn Sie die Schlechteste wären, dann würden wir Sie trotzdem in unserer Familie aufnehmen wollen.«

      Ich atme tief durch. Er spricht von Familie. Schon wieder. Ich bin ein Adoptivkind, kann mich an das Gesicht meiner Mutter nicht erinnern. Es wird mir warm ums Herz und ich weiß nicht, ob dieses Gefühl hierher passt.

      »Aeia, die Tests, die wir an Ihnen durchführen, werden nur das bestätigen, was wir schon lange vermuten. Ihre besonderen Fähigkeiten sind für uns von allerhöchstem Wert. Sie sind für uns von allerhöchstem Wert. Sie werden hier nicht nur einen guten Abschluss hinlegen, eine Arbeit finden, die Sie erfüllen wird, Sie werden auch endlich das Gefühl haben, angekommen zu sein.«

      »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, flüstere ich und ich habe Mühe, die Tränen, die mein Gesicht überfluten wollen, zurückzuhalten. Dieser Mann und seine Worte bewegen mein Inneres und ich habe dafür keine Erklärung und keinen Schutzschild, den ich hochfahren könnte, um meine Gefühle zu verbergen.

      »Sie haben kein Zuhause. Die Menschen finden sie seltsam. Sie haben in Ihrer Kindheit viel Schlimmes erlebt.« Ich streiche eine Strähne über die Narbe in meinem Gesicht.

      »Aeia, Sie sind eine nette Person, hübsch dazu. Warum glauben Sie, haben Sie nie Anschluss gefunden?«

      »Meine Adoptivmutter hat mich geliebt und ich habe seit einem Jahr einen festen Freund. Wir wohnen zusammen«, sage ich zu meiner Verteidigung.

      Meusburger runzelt seine Stirn.

      »Aeia, die Menschen haben Angst vor dem Unbekannten. Merken Sie sich das, dann werden Sie Erklärungen finden. Aber nichts desto trotz finde ich es schön für Sie, dass Sie in einer festen Beziehung leben. Lassen Sie mich noch etwas in Ihrer Vergangenheit graben. Hatten Sie als Jugendliche oder junge Erwachsene nie den Wunsch zu erfahren, worin der Sinn des Lebens besteht? Was Ihre Lebensaufgabe ist? Wer Sie wirklich sind? Warum Sie hier auf diesem Planeten sind? Was Ihre ureigenen Talente sind? Warum Ihnen das alles widerfahren ist?«

      Ich schlucke. Mein Schutzwall funktioniert. Meine Erinnerungen bleiben in ihrem Gefängnis in meinem Kopf.

      »Das ist eine rhetorische Frage. Jeder wird mit einem Talent geboren, aber nur wenige entdecken es rechtzeitig in ihrem Leben, um den richtigen Beruf zu erlernen oder noch genügend Zeit zu haben, es zu vervollkommnen«, sage ich.

      »Das ist sehr weise, Aeia. Sie kennen Mozart?« Das ist keine weitere Frage sondern nur die Einleitung zu seinen nächsten Ausführungen, deshalb schweige ich und lausche seinen Worten. »Mozart war ein Wunderkind. Ein Genie. Glauben Sie, er hat das erlernt, oder glauben Sie es gibt in dieser Welt mehr, als wir mit der modernen Wissenschaft beweisen können?« Ich klebe an seinen Lippen. Worauf will Meusburger hinaus?

      »Aeia, Sie werden schon sehr bald Ihr wahres, in die Wiege gelegtes, Talent kennenlernen. Sie werden sich fühlen wie Mozart.«

      »Aber ich weiß, worin ich talentiert bin«, rutschen die Worte aus meinem Mund heraus. »Ich bin ganz gut in Organisationspsychologie und mir erschließt sich die komplexe Welt der Wechselwirkung von Individuen und Organisation.«

      »Aeia, Aeia, aber das ist doch kein Talent. Das studieren Sie und Sie sind nicht


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