Begnadet - Buch 1-2. Sophie Lang

Begnadet - Buch 1-2 - Sophie Lang


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      »Nein, war ein Scherz. Schneller als Lichtgeschwindigkeit geht nicht.«

      Ich verziehe amüsiert meine Mundwinkel. Sie bringt mich zum Kichern.

      »Eve, ich benötige deine Hilfe.«

      »Ein großer Teil meiner Kapazitäten steht allein dir zur Verfügung.«

      Das ist interessant. Über so etwas habe ich noch gar nicht nachgedacht. Eve wird gleichzeitig vom ganzen Institut in Anspruch genommen. Jetzt ist es spät und weniger Kollegen benötigen die KIF für Antworten und Rechenoperationen.

      »Eve, ich möchte wissen, wo mein Firmenauto steht.«

      »Du enttäuschst mich.«

      »Was? Wieso das denn?«

      »Ich dachte, es wäre eine etwas schwierigere Aufgabe.«

      »Das nächste Mal fordere ich dich richtig heraus«, verspreche ich, während Eve schon die Wegbeschreibung auf den Monitor wirft.

      Ich muss zur Tiefgarage.

      Also doch.

      Meusburger hatte richtig vermutet.

      Na super. Sofort sammeln sich alle Ängste. Alle Erinnerungen an meine Kindheit und alle Bilder von Mallekis gehäutetem Körper. Es gelingt mir nur halbwegs, meine Schutzwand hochzufahren. Ich bemerke, wie sich meine Knie in Gummi verwandeln.

      »Ich mache dir alle Lichter an«, vernehme ich Eves natürliche Stimme. Ich bin überrascht. Wusste nicht, dass Eve schon auf Gedankenlesen programmiert ist?

      Bevor ich gehe, fällt mir noch etwas anderes ein.

      »Eve, kannst du mir auf einer Karte zeigen, wo das Artefaktenarchiv liegt?«

      Eve zeigt es mir und ich präge mir den Standort ein. Der Weg scheint, von unserem Gate aus, einfach zu finden zu sein. Irgendwann werde ich den vermeintlichen Tatort besuchen müssen. Aber ganz bestimmt nicht heute Nacht.

      »Falls du beabsichtigst, das Artefaktenarchiv aufzusuchen, muss ich dich leider enttäuschen. Es gibt 17 Sicherheitsschleusen, zu denen du Zugang benötigst.«

      »Keine Sorge, ich habe nicht vor, das Sicherheitssystem zu knacken. Ich wollte nur wissen, wo es genau liegt.«

      Die Unterhaltung ist beendet und ich mache mich auf den Weg nach Hause.

       Vigor - Zweikomponentenkleber

      Vigor liegt unter dem samtroten 911 Porsche und leuchtet mit der Taschenlampe auf die Stelle, auf die er vor Sekunden den Kontaktkleber aufgetragen hat.

      Plötzlich geht das Licht in der Tiefgarage an. Er ist darüber nicht überrascht. Zuckt nicht einmal mit der Wimper. Vigor spürt, dass es Zeit ist. Aeia ist auf dem Weg. Er muss sich beeilen. Beeilen heißt für ihn, keine Pausen zu machen. Nicht etwa schneller oder hastig zu arbeiten. Er würde sich keinen Fehler erlauben.

      Der Zweikomponentenkleber hat jetzt die richtige Konsistenz. Vigor bringt den kleinen schwarzen Kasten direkt vor der Abgasanlage am Fahrzeugboden an.

       Aeia - Tiefgarage

      Trotz Lichtermeer bin ich ein einziges Nervenbündel. Ich muss mich durch verlassene Korridore bewegen. Schatten, beängstigende Stille und meine eigene Fantasie überstehen. Aber es kommt noch schlimmer. Die letzten zwei Etagen muss ich mit dem Fahrstuhl nach unten fahren. Am liebsten würde ich den Notausschalter drücken und Levi anrufen, damit er kommt und mich abholt.

      Stattdessen lehne ich mit dem Rücken an der kalten Metallkabine und lausche nervös dem Kurbeln und Zischen der Mechanik.

      Der Fahrstuhl bremst langsam ab.

      Kommt zum Stehen.

      Es fühlt sich an, als würde ich schweben. Ich hoffe, Eve hat auch das Licht in der Tiefgarage angeschaltet.

      Die Fahrstuhltüren öffnen sich.

      Gott.

      Mir rutscht das Herz in die Hose.

      Ich bin hier unten nicht allein.

      Ich kann mich nicht davon abhalten, vor Schreck zu kreischen.

      Will mit der Fahrstuhlkabine verschmelzen. Unsichtbar sein.

      Vigor steht vor mir. Ich sehe ihn voller Entsetzen an und schreie so laut ich kann.

      Er macht einen Schritt und ist direkt vor mir. Ich schreie immer noch. Vigor drückt meinen verängstigten, hilflosen Körper gegen das Metall und legt seine riesige Hand auf meine Lippen, bis ich verstumme. Er ist so groß, so kräftig und ich habe nicht die geringste Chance. Ich wimmere und Tränen laufen sofort in Strömen aus meinen Augen.

      »Scht«, zischt er. »Halt die Klappe oder ich dreh dir den Hals um! Verstanden?«

      Ich weine. Was für ein Alptraum.

      Er sieht böse aus.

      Presst meinen Mund zu. Hält mich fest.

      Und ich?

      Ich?

      Ich spüre instinktiv, dass er nicht die Wahrheit sagt. Er würde mir niemals etwas antun. Ganz im Gegenteil.

      »Ich nehme jetzt meine Hand weg und wehe du schreist wieder.« Ich nicke, so gut es geht, und dann nimmt er seine Hand tatsächlich weg. Ich schnappe nach Luft und sehe zu ihm hoch. Er sieht immer noch verdammt sauer aus.

      »Verdammt, warum schreist du denn so?«, fragt er.

      »Ich suche mein Auto«, sage ich leise, weinerlich, um ihm keinen Grund zu geben, mir wieder die Hand auf meinen Mund zu pressen. Ich wische mir mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht.

      Er trägt andere Klamotten als heute Mittag. Freizeitkleidung. Und ein kleiner schwarzer Rucksack hängt über seiner breiten Schulter. Er hört sich netter an, als er aussieht. Trotzdem! Er macht mir Angst. Ich kann den Moment, als ich zu Meusburger ins Büro lief und er mir auf den Hintern guckte, nicht aus meinen Kopf verbannen.

      »Du zitterst wie Espenlaub«, stellt er fest und macht einen Schritt von mir weg. Das stimmt. Ich wische wieder alle Tränen fort und brauche alle Willenskraft, um nicht gleich wieder loszuheulen.

      »Hast du etwa Angst vor mir?« Ich verbiete es mir zu nicken und schlucke stattdessen die Dornen, die in meinem Hals stecken, hinunter.

      »Du hast mich erschreckt. Ich bin sehr schreckhaft.«

      »Ich habe lediglich auf den Fahrstuhl gewartet und als er aufging, hast du mich angeschrien«, sagt er ruhig.

      »Was machst du hier unten um diese Zeit?«

      »Was ich um diese Zeit hier mache? Tja, ich wohne hier.«

      »In der Tiefgarage?«, flüstere ich.

      »Natürlich nicht. Ich wohne im Institut.« So wie Malleki, kombiniere ich.

      »Schon lange?«

      »Wird das jetzt ein Verhör?«

      »Nein, sorry. Ich brauche nur Informationen, um mich zu beruhigen.«

      Wir stehen uns gegenüber - ich mit dem Rücken an der Fahrstuhlkabine. Er versperrt mir mit seinem Körper den Ausgang. Wir sehen uns ein paar Sekunden wortlos an.

      »Darf ich gehen?«, frage ich leise.

      Vigor kommt zurück zu mir in die Kabine. Seine unmittelbare Nähe lässt mich frösteln. Der Ausgang ist jetzt frei. Ich taste mich mit so viel Abstand wie nur möglich an ihm vorbei. Bin draußen aus der Kabine.

      Die Fahrstuhltüren schließen sich, der Metallsarg steigt mit Vigor auf. Ich fasse mir an die Brust, befehle meinem kleinen verrückten Herz, sich bitte wieder zu beruhigen. Ich zittere immer noch und das Adrenalin in meinem Körper peitscht die zig Milliarden Zellen wie


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