Verlorenend. S. G. Felix

Verlorenend - S. G. Felix


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er dies in seinem Brief geschrieben, den Antilius vor fünfundzwanzig Tagen erhalten hatte. Die genaue Adresse, so Brelius, wollte er geheim halten. Weil er Angst vor etwas hatte, über das er nichts Näheres schreiben wollte.

      Entschlossen schnallte sich Antilius seinen schweren Rucksack auf den Rücken, legte sich noch eine Brusttasche um und hängte sich eine weitere randvoll mit Ausrüstungsgegenständen, von denen er keine Ahnung hatte, ob er sie überhaupt brauchen würde, vollgestopfte Tasche über die rechte Schulter. Die Amedium-Bahn konnte nicht weit vom Dock entfernt sein. Vom Bahnhof aus könnte er dann mit einer der Amedium-Gondeln weiter reisen. Die Gondeln, so hatte Antilius es gelesen, waren auf Truchten ein uraltes Fortbewegungsmittel, das noch aus der Zeit stammte, als es noch Königreiche gegeben hatte. Eine Zeit, in der man neue Technologien auf Truchten erforschte.

      Das tat man heute bekanntlich nicht mehr.

      Merkwürdigerweise schlugen die anderen Passagiere, die zusammen mit ihm und Haif hier angekommen waren, andere Wege ein als den, den Antilius anvisierte. Doch darüber dachte er nicht weiter nach. Er war zu aufgeregt.

      Er nahm noch einen kräftigen Schluck aus seiner Feldflasche, die er sich extra für diese Reise gekauft hatte, und setzte sich dann in Bewegung, vorbei an einem verwitterten Schild, das in Form eines Pfeils gesägt war. Auf diesem las er: Amedium-Transporter.

      Die fremde Stimme

      Nach einer halben Mondstunde wurde Antilius’ anfänglicher Enthusiasmus jäh gedämpft. Das Gepäck, das er sich zuvor schwungvoll aufgeladen hatte, fühlte sich an, als hätte es sein Gewicht in der kurzen Zeit verdreifacht. Es zog immer stärker an seinen Armen. Sein Rücken schmerzte mehr als zuvor, und seine Fußsohlen brannten ebenfalls heftig. Er stöhnte auf. Schließlich unterbrach er seinen Marsch, schaute kurz prüfend zu Boden und ließ sich dann einfach auf den sandigen Untergrund plumpsen, wo er erst einmal eine Weile einfach nur sitzen bleiben wollte, um zu verschnaufen. Antilius hatte nicht gedacht, dass der Weg so beschwerlich sein würde. Es ging fast die ganze Zeit bergauf. Der Weg, dem er folgte, bestand aus grobkörnigem Sand, der das Seinige dazu beitrug, dass sich ein paar kleine spitze Steine in seine Schuhe geschlichen hatten und dadurch den Fußmarsch zusätzlich erschwerten.

      Er fluchte leise, zog seine Schuhe aus und schüttelte den Sand heraus. Als er gerade einen weiteren Fluch gen Himmel schicken wollte, fiel ihm dabei ein schwarzer Metallmast auf, der wie ein auf dem Kopf stehendes Y geformt war, und dessen oberes Ende eine quer verlaufende Schiene trug.

      Er atmete auf. Das musste die Schienenbahn sein. Er rappelte sich wieder hoch und lief die letzten hundert Meter zum Bahnhof, wobei er sein Gepäck achtlos hinter sich her schleifte.

      Durch eine Schneise, die in den Wald geschlagen war, führte eine kupferfarbene Schiene, die etwa drei Meter über dem Boden an weiteren Trägern montiert war. Sie lief direkt auf eine Lichtung zu, auf der sich die Schiene gabelte. Die abzweigende Schiene selbst war verbunden mit mehreren Abstellschienen, unter denen jeweils eine Transportgondel an einer Haltevorrichtung hing. Rechts neben den Gondeln erspähte er eine kleine Holzhütte, deren Fenster so stark verschmutzt waren, dass Antilius nicht in das Innere sehen konnte. Über dem Dach der Hütte war ein großes verwittertes Schild befestigt, auf dem Immerfestbaum Station geschrieben stand. Antilius wunderte sich, über den Namen, denn, soweit er wusste, gab es hier auf Truchten keine Immerfestbäume, aber vielleicht hat es sie ja früher gegeben, als die Amedium-Bahn gebaut worden war.

      Sollte das etwa der ganze Bahnhof sein? Eine lumpige Hütte?

      Und noch viel wichtiger: Wo waren die Reisenden? Er war ganz allein.

      Plötzlich bemerkte Antilius ein seltsames rotes Leuchten am Boden. Er näherte sich ihm verwundert. Das rötliche Leuchten entpuppte sich als eine kleine Blume, deren kreisrunde Blätter strahlend rot schienen. So ein wunderschönes Gewächs hatte er noch nie zuvor gesehen. Er vergaß plötzlich die Hütte, den Transporter und seine Mission; da war nur noch diese Blume.

      Er kniete sich langsam vor ihr nieder, ohne sie aus den Augen zu lassen.

      Eine Stimme tauchte plötzlich auf. Sie schien tief aus ihm selbst herauszukommen. Aber sie war fremd. Verzerrt. Und vorwurfsvoll.

       »Wie konntest du nur?«

      Antilius wurde ein wenig blass. Er hatte bisher noch nie eine derartig vergleichbare Halluzination gehabt - wenn es denn eine war - mit Ausnahme des merkwürdigen Traums von letzter Nacht mit dem Mann ohne Gesicht. Aber dies war kein Traum, es war anders. Und er war sich ziemlich sicher, dass diese Stimme nicht dem Mann ohne Gesicht gehörte. Und damit sollte er Recht haben. Antilius wusste nicht, wem diese anklagende Stimme gehörte. Es würde noch eine sehr lange Zeit vergehen, bis er es herausfinden würde. Er würde noch auf viele weitere Mysterien stoßen, ehe sich alles zu einem Bild zusammenfügen würde. Dieses Erlebnis war nur ein Teil davon.

      Der alte Mann und die Station

      »Faszinierend, nicht wahr?«

      Antilius erschrak. Die Stimme war genau hinter ihm, sie kam diesmal nicht aus ihm selbst. Es war eine echte Stimme und das beruhigte ihn im gleichen Augenblick des Erschreckens. Ruckartig drehte er sich um und erblickte einen alten weißhaarigen Mann, der sich auf einen gekrümmten, dicken Stock stützte und ihn dabei breit angrinste.

      »Es heißt, wenn man sie zu lange betrachtet, kommt man nie wieder von ihr los«, sagte der alte Mann, zeigte dabei auf die Blume und lachte dabei herzlich.

      »Das glaube ich gern. Sie ist wunderschön. Und wer sind Sie?«

      »Mir gehört diese Station hier, mein Junge, und ich achte darauf, dass alles seine Ordnung hat.« Der Alte beendete seinen Satz wieder mit einem Lachen, das in ein leichtes Husten überging.

      »Ich habe dich schon von Weitem gerochen!«

      »Gerochen?«, fragte Antilius verwirrt.

      »Ja. Ich bin in deinen Augen vielleicht ein Greis mit schlechten Augen und miserablem Gehör - was eigentlich auch zutrifft - aber mein Geruchssinn funktioniert immer noch tadellos.«

      »Verstehe. Aber, ich habe nichts dergleichen über Sie gedacht.«

      »Wie heißt du, mein Junge?«

      »Ich heiße Antilius.«

      »Antilius«, wiederholte der Alte nachdenklich. »Hmm. Merkwürdiger Name. Habe ich noch nie gehört. Wie dem auch sei. Du schaust nicht so aus, als ob du von hier wärst, oder? Was willst du hier auf Truchten?«

      »Ich komme von der Vierten Inselwelt, Bétha. Ich möchte unbedingt nach Fara-Tindu reisen, und zwar mit einer Ihrer Gondeln hier. Was muss ich Ihnen dafür bezahlen?«

      Der alte Mann brach in schallendes Gelächter aus. Antilius ging dieses Lachen langsam auf die Nerven.

      »Nein, nein, mein Jungchen. Behalte dein Geld! Der Schienentransporter hier ist jedem zugänglich, völlig umsonst. Komm mit! Ich zeige dir, wie du die Gondel bedienen musst.«

      Der Alte drehte sich um und lief hinüber zum Gondelstellplatz, wobei er sich auf seinen Stock stützte und das rechte Bein bei jedem Schritt nachzog. Antilius warf noch einmal einen Blick auf die rote Blume, die ihn tatsächlich faszinierte. Diese Blume hatte wahrhaftig etwas Magisches an sich, was es ihm schwer machte, sich von ihrem Anblick loszureißen.

      »He! Willst du da Wurzeln schlagen?«, rief der Alte.

      Antilius wandte sich mit einem Seufzer ab und lief zu den Gondeln, wo der alte Mann schon leicht verärgert wartete.

      »So, und jetzt erkläre ich dir, wie dieses Ding funktioniert.«

      Antilius hörte den Ausführungen des Alten aufmerksam zu. Er ließ sich erklären, wie die Gondel, die genügend Platz für zwei Personen bot, beschleunigte, abbremste und wie man sich an Abzweigungen zu verhalten hatte. Es war sehr faszinierend, da er noch nie etwas Vergleichbares gesehen hatte. Aber alles wirkte auch unglaublich alt und verwittert.

      »Sagen


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