Vampire essen keine Pasta. Elke Bulenda
neben Cassandra zu sitzen, wenn sie wieder einmal am Steuer saß und fuhr, als sei sie diejenige, die eindeutig an der Spitze der Nahrungskette stand; was im gewissen Sinne eindeutig stimmte. Schließlich war Cassandra eine Drachenfrau. Selbstverständlich saß sie nicht in der Gestalt eines Drachen am Steuer. Sie hätte gar nicht ins Auto hineingepasst. Sie bevorzugte die Erscheinung einer wohlgeformten Brünette, mit atemberaubender Figur und jeder Menge Charisma und Goldschmuck. Drachen lieben Gold. Allen Äußerlichkeiten zum Trotze - sie fuhr Auto, so wie sie normalerweise flog - und das Bremsen war in ihren Augen nur etwas für Feiglinge.
Wenn es nach Cornelius gegangen wäre, wäre er lieber zuhause geblieben, anstatt mit dem Auto in die Schweiz zu fahren. Außerdem wäre er sowieso lieber geflogen, allerdings in einem Flugzeug und nicht mit eigenen Flügeln. Doch Cassandra drängte ihn, sie müsse in der Schweiz dringende Geschäfte tätigen, obwohl sie zuerst, ebenso wie er meinte, sie bräuchten nicht in die Flitterwochen zu fahren, da sie mit dem Einrichten ihres neuen Heims genug zu tun hätten, und so in trauter Zweisamkeit, ihre Zeit verbringen könnten. Cornelius fragte sie, wieso sie diese Geschäfte nicht online tätigte, worauf ihm seine Gemahlin zur Antwort gab, einiges müsse man eben selbst persönlich vor Ort erledigen. Ein anderer Grund, wieso Cornelius sich so sträubte, war der, dass er Salomons Ring nicht aus den Augen lassen wollte. Seit Ragnors Verschwinden war es ihm unmöglich, auch nur einen Tag abwesend zu sein. Selbstredend hatte Ragnor dieses strenge Urteil verdient, weil er gegen den Kodex verstoßen hatte. Wenn auch nicht direkt, so war er doch indirekt für den Tod eines Menschen verantwortlich. Aber der Hüne hatte ihm die Augen geöffnet. In der Tat lief irgendetwas nicht mehr ganz rund in dieser Organisation. Der Graue wollte sich keinesfalls aus der Führungsspitze verdrängen lassen, gerade wo er doch vor knapp einem Jahrhundert selbst diese Organisation ins Leben gerufen hatte. Er sah es nicht ein, eiskalt und dreist abserviert zu werden.
Einen Tag nach der Hochzeit erschien der Engel Barbiel an seiner Tür, um ihm zu offerieren, dass er ein paar Handys für spezielle Freunde ausgeteilt hätte, was nichts anderes bedeutete, als dass er der Meinung war, bei bestimmten Handlungen und Diskussionen, nicht unbedingt überwacht und abgehört werden zu wollen. Und da Cornelius ebenfalls zum Freundeskreis gehörte, bekam er eines der »Konspirativen Telefone« zugesteckt. Nur dieses Geheim-Handy nahm Cornelius mit, als er mit Cassandra in die »verspäteten Flitterwochen« startete.
Trotzdem war er verwirrt und tief getroffen. Diese Sache mit Gungnir machte ihm schwer zu schaffen. Er kannte den jüngeren Vampir nun schon über sechshundert Jahre und konnte bisher niemals ein aggressives Verhaltensmuster bei ihm erkennen. Ganz im Gegenteil. Der Jüngere war ein Altruist und gab sein Geld gern für einen guten Zweck aus. Zu Mensch und Tier war er gleichermaßen freundlich und zuvorkommend. Wieso sollte Gungnir also einen Wachmann töten, und das nur so zum Spaß? Nein, da musste eindeutig etwas anderes passiert sein. Doch so sehr sich der Grauhaarige auch das Hirn zermarterte, solange er nicht Gungnirs Aussage dazu kannte, käme er an diesem Punkt nicht weiter. Und so wie die Lage aussah, würde er nun nie wieder mit Gungnir reden können. Wie schrecklich! Es war ihm unbegreiflich, wie so etwas Schlimmes passieren konnte. Gungnir sei angeblich in den Alpen umgekommen? Unmöglich! Trotzdem hegte er nicht die Hoffnung, dass dieser einen Absturz aus so mächtiger Höhe überlebt haben könnte. Vampire sind zwar nicht so leicht totzukriegen, doch wenn ihr Körper total zerstört wird, besteht keine Möglichkeit der Wiederauferstehung. Connie war schwer deprimiert und leugnete aus Protest den Tod des Jüngeren. Selbst im Schlaf hielt er das zusammengerollte Exemplar der Zeitung noch immer völlig verkrampft in seinen Händen. Und noch eins konnte er nicht verstehen. Obwohl Cassandra schon seit sehr langer Zeit eine enge Vertraute Gungnirs war, schien sie über seinen Tod nicht sonderlich erschüttert zu sein. Als er nach dem Grund fragte, eröffnete sie ihm, dass sie erst in Zürich hundertprozentig sicher sein könnte, ob Gungnir wirklich tot sei oder nicht. Ansonsten sagte sie zu diesem Thema nichts und ließ sich auch nicht erweichen, irgendwelche Fragen zu beantworten. Doch Cornelius war sich sicher, dass sie genau wusste, was sie tat.
Als der Jaguar Mark 2 in der Bahnhofsstraße 45, in Zürich zum Halten kam, rüttelte Cassandra ihren Gatten wach.
»Cornelius, wir sind da!« Nachsichtig nahm sie ein Taschentuch zur Hand und wischte ihm einen Speichelfaden aus dem Mundwinkel. Sie liebte ihren Gatten abgöttisch und behandelte ihn pfleglich - auch wenn sie Cornelius mit ihrem Fahrstil, beinahe stets in einen Nervenzusammenbruch trieb.
Der alte Vampir machte eine abwehrende Geste, bis ihm bewusst wurde, dass Cassandra ihm gütigerweise den Sabber wegwischte. So weit war es also schon mit ihm gekommen...
»Äh, wir sind wo da?«, fragte er leicht wirr und betrachtete ein wunderschönes, mit Arkaden verziertes Gebäude, welches von einem Logo mit drei gekreuzten Schlüsseln und den Buchstaben UBS als Bank ausgewiesen wurde. »Willst du hier deine Brautgroschen eintauschen?«, fragte er ratlos. Eigentlich tat man so etwas direkt vor der Hochzeit, um sich damit die Brautschuhe zu finanzieren. Jedoch musste er bei genauerer Betrachtung zugeben, dass diese Bank bestimmt nicht die richtige für so eine Finanztransaktion war.
»Du bist so ein unheilbarer Quatschkopf. Dies ist nicht die Dorfsparkasse, sondern eine der größten Banken der Welt. Komm! Nein, warte!«, meinte Cassandra, hielt inne, um ihren Ehemann kritisch zu betrachten. Sie öffnete das Handschuhfach und nahm eine Kleiderbürste zur Hand, womit sie ihm die Tabakkrümel vom Nadelstreifenanzug putzte. »So, jetzt ist es besser. Du solltest statt deiner Pfeife, lieber diese modernen E-Zigaretten rauchen. Die krümeln und aschen nicht«, bemerkte sie lächelnd.
»Hm, die duften und schmecken auch nicht!«, gab er zurück. »Du solltest beim nächsten Mal meinen kleinen, alten Quarki nicht so treten!«, warf er als Beschwerde ein.
»Cornelius, du bist höchstwahrscheinlich der einzige Kerl unter der Sonne, der seinem Auto einen so lächerlichen Namen gibt!«, lachte sie kopfschüttelnd. »Gut, ich werde in Zukunft ein wenig Rücksicht auf Quarkis und dein Alter nehmen«, zwinkerte sie ihm zu. »Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich den Mercedes CLS genommen, aber du sagtest, er besäße GPS und wäre zu orten.«
Cassandra teilte zwar nicht Cornelius` Ansicht, mit Salomons Ring könnte etwas nicht stimmen, doch wollte sie trotzdem vor anderen verschleiern, wo das Ziel ihrer Reise lag.
Den Wagen parkten sie direkt vor dem Gebäude. Der Graue fragte sich, ob seine Gattin das so ohne Weiteres durfte. Als er allerdings einen Mitarbeiter wahrnahm, der ihnen entgegen eilte, wusste er, dass Cassandra sogar mit dem Wagen direkt in die Filiale hätte fahren können, um selbst dort von einem frisch ausgerollten roten Teppich und einem lächelnden Mitarbeiter empfangen zu werden. Denn alles an Cassandra sagte: »Seht her, durch diese, mit Gold beringten Hände, fließen tagtäglich Millionen,- wenn nicht Milliardenwerte. Kommt mir also nicht mit einem billigen Kugelschreiber als Werbegeschenk, sonst werde ich euch damit einen künstlichen Darmausgang verpassen.«
Das Bankgebäude zog nicht nur wohlhabende Menschen durch sein strahlendes Erscheinungsbild an. Auch solche, mit denen das Leben es weniger gut meinte. Ein Obdachloser mit einem kleinen Hund stromerte neugierig um das Gebäude herum, ganz offensichtlich auf der Suche nach einem geschützten Schlafplatz. Leider war ihm das Glück auch diesmal nicht holt, denn sofort tauchte ein Wachmann auf, der ihn aufforderte weiterzugehen. Es ärgerte Cornelius sehr, wie dieser Mensch, der ohnehin schon vom Leben arg gebeutelt, nur wegen seiner leeren Taschen so rüde behandelt wurde.
Cassandra merkte, wie unruhig ihr Ehemann wurde. »Was hast du denn?«, fragte sie neugierig. »Wo willst du hin?«, rief sie ihm hinterher, als er die Wagentür öffnete und die Richtung einschlug, in der der Wachmann noch immer mit dem Obdachlosen diskutierte. Der kleine struppige Köter bellte warnend. Inzwischen kam der andere Herr aus der Bank. So ein Kerl, der sein Haar mit reichlich Pomade aus dem Gesicht frisiert trug.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Pomaden-Mann indigniert, als er den Grauhaarigen erblickte.
»Nein, mir nicht, aber diesem Herren sollte dringend geholfen werden!«, bahnte sich Cornelius den Weg. Sofort nahm er den Obdachlosen beim Arm. »Ah, gut! Da bist du ja. Wie besprochen.« Connie drehte sich zum Wachmann und den Pomaden-Kerl um. »Danke, meine Herren. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würden wir gerne unter vier Augen, Geschäftliches miteinander besprechen. Wir waren nämlich