Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl
nur mäßig erfolgreich, denn das Mordwerkzeug konnte nicht mehr in das Observatorium gebracht werden. Es ist noch vor dem Gebäude explodiert und hat nur dem Täter selbst geschadet, ihn sogar getötet. Nicht auszudenken, wenn das Attentat Erfolg gehabt hätte.
Paris, 19. Februar 1894
Jeanette brachte heute zwei riesige Fische vom Großmarkt mit nach Hause, einen Steinbutt und einen Knurrhahn. Sie hatte nicht den Auftrag so viel zu kaufen und sie hat die Fische auch nicht gekauft, sie wurden ihr geschenkt. Das böse Fischweib vom Großmarkt hat nämlich die Reue gepackt und die Dankbarkeit dafür, dass Jeanette sie nicht bei den Behörden angezeigt hat. Die Fische sind diesmal beste Ware und wir müssen zusehen, dass wir einen davon weiterverschenken.
Paris, 21. Februar 1894
Ich brauche nur die Gazetten zu zitieren. Gestern, wieder eine Bombe, wieder ein Toter oder eine Tote, was noch nicht bekannt ist. Diesmal war es in der Rue Saint-Jacques, im fünften Arrondissement, auf der anderen Seite der Seine. Wenigstens trennt uns der Fluss von den Attentätern oder besser von den Orten ihrer Gewalt. Aber das ist kein Grund sich zu beruhigen, wahrlich nicht, denn die Bombe am Bahnhof Saint-Lazare, die vor nicht einmal einer Woche explodierte, hätte ich in der Rue Marcadet hören müssen, so nah war es. Dies ist mir zum Glück erst jetzt bewusstgeworden, als Victor und ich vorgestern mit einer Droschke an dem Café vorbeifuhren. Das Café war geschlossen, wie konnte es anders sein. Sein Inneres hätte ich mir aber nicht ansehen mögen, schon allein, weil dort ein Mensch auf so grausame Weise gestorben ist. Was hat der Februar noch für uns. Seit Vaillants Haupt fiel, fallen auch die Bomben.
Paris, 22. Februar 1894
Mutter hat einen ganz aufgeregten Brief geschrieben, sofern ich dies aus ihrer Schrift und ihren Worten ablesen kann. Natürlich ging es um die Bombe in Greenwich. Vater wird fast täglich angesprochen, was mit den Franzosen los sei. Ich habe es gewusst und jetzt ärgert es mich doppelt, dreifach, nein hundertfach. Ich weiß gar nicht, ob ich mich vorerst noch nach Liverpool trauen kann, ob sie mich an der Grenze noch hineinlassen, mir schon das Betreten der Fähre verweigern. Mutter fühlt sich unwohl. Ihre Bekannten halten zu ihr, aber wie ist es mit den einfachen Leuten. In den britischen Zeitungen wird berichtet, es hätte nie zuvor einen derartigen Anschlag in England gegeben und dass der anarchistische Terror jetzt im Lande angekommen sei. Ich muss ganz schnell zurückschreiben oder besser noch telegrafieren, um Mutter zu beruhigen. Vielleicht sollten Mutter und Vater auch für ein oder zwei Wochen nach Paris kommen, und wenn Vater es nicht einrichten kann, dann eben nur Mutter. Vielleicht fühlt sie sich ja dann besser und im April hat die Welt, haben die Engländer, die Angelegenheit bestimmt schon vergessen. London wird bald seine eigenen Anarchisten haben, meint Victor, der Anarchist sei schließlich keine französische Erfindung.
Paris, 17. März 1894
In den letzten Monaten haben wir nur noch selten über Victors Dienst gesprochen. Es macht ihm auch nur selten Freude, darüber zu reden, vor allem dann nicht, wenn wieder einmal eine Schikane von diesem Leverne gekommen ist. Die verweigerte Beförderung hängt noch immer über allem, mit dem anderen hat sich Victor abgefunden. Victor hat sich auch bemüht, besonders gute Arbeit zu leisten und es wurde auch im Stab bekannt und auch der Brigadegeneral hat eine Belobigung ausgesprochen, aber nicht an Victor, der die Arbeit geleistet hat, sondern an diesen Leverne, der sie sich hat gutschreiben lassen. Diese Ungeheuerlichkeit ist tatsächlich vorgekommen und das schon mehrfach. Leverne schmückt sich einfach mit Victors Leistungen, gibt sie sogar als seine eigenen aus. Victor kann es nicht richtigstellen, er bekommt von Leverne nicht die Gelegenheit. Victor war in Nantes so zufrieden, er hatte sein Kommando, seine Leute und niemand hat ihm irgendetwas geneidet, er war unabhängig. Jetzt ist er oft so unglücklich und ich weiß, dass er auch verzweifelt ist. Ich habe Victor geraten, sich nun endlich doch versetzen zu lassen. Sein Schweigen hat mir gezeigt, dass er selbst darüber nachdenkt.
Paris, 27. März 1894
Ich habe Vater über Victors Unglück geschrieben. Vater weiß immer Rat. Ich habe ihm von diesem Leverne berichtet, von den Machenschaften. Wenn es schlimmer wird, dann denkt Victor vielleicht auch darüber nach zu quittieren, es wäre eben auch eine Möglichkeit und Vater könnte uns dann helfen, damit Victor leichter einen neuen Beruf findet. Natürlich denke ich immer zuerst an Vaters Geschäft, aber Vater kennt eine Menge Leute in Paris, bei denen Victor eine gute Anstellung finden könnte. Ich warte jetzt auf eine Antwort. Ich möchte nur eine Hoffnung für Victor, falls er sich tatsächlich entschließt zu quittieren. Ich weiß, dass immer auch die Möglichkeit besteht, sich einfach um einen neuen Posten zu bemühen, um diesem Leverne zu entkommen und außerdem ist da ja noch Colonel Dubois, der Victor sicherlich helfen wird. Ich möchte nur so viele Auswege wie möglich für Victor haben. Ich werde Victor natürlich nichts von meinem Brief an Vater sagen, noch nicht.
Paris, 29. März 1894
Zu alldem kommt noch die Angst vor neuerlichen Anschlägen. Diesmal hat es irgendein Restaurant getroffen. Ich will gar nicht wissen, in welchem Arrondissement es geschehen ist und ich will auch nicht wissen, wie viele Straßenzüge zwischen diesem Ort und der Rue Marcadet liegen. Es gab keine Toten, aber viele Schwerverletzte. Ich will nicht daran denken, aber mich kann es auch treffen, oder Victor in seiner Kaserne. Was wollen diese Menschen nur, Vaillant rächen. Es sind doch schon zwei Leben genommen worden, vielleicht sogar noch mehr, denn ich bin und will nicht über alles informiert sein.
Paris, 5. April 1894
Vaters Brief musste ich heimlich lesen. Victor weiß ja nicht, dass ich ihn um Rat gefragt habe. Vater ist dagegen, dass Victor quittiert. Vater meint, ein Offizier könne nicht quittieren, nur weil er Schwierigkeiten mit einem Vorgesetzten hat. Victor soll sich wehren. Im Geschäftsleben müsse er sich auch wehren, dagegenhalten. Ich denke Vater hat keine Ahnung von der Armee, er weiß nicht, wie es dort zugeht. Zum Glück steht Vater aber hinter uns. Er würde ein Quittieren zwar nicht gutheißen, aber er will alles für Victor und mich tun, wenn wir ihn brauchen. Es wird immer etwas geben, verspricht Vater. Wenn es wirklich keinen anderen Ausweg gibt, sollen Victor und ich aber nach Liverpool kommen und Victor soll bei Vater im Kontor arbeiten und lernen und sich auf einen zivilen Beruf vorbereiten. Ich bin nun doch ganz froh um diese Antwort.
Paris, 20. April 1894
Nachdem die letzte Holmes-Geschichte im Strand Magazine erschienen war, folgte schon im Dezember die Buchausgabe mit den letzten zwölf Abenteuern. Ich habe gleich festgestellt, dass eine der Geschichten fehlte, denn von Dezember 1892 bis zum Dezember 1893 gab es nicht zwölf, sondern dreizehn Fälle. Ich habe nachgesehen. In dem Buch fehlte die Geschichte vom Januar letzten Jahres. Sie war zwar recht spannend, aber doch wohl auch etwas zu grausam. Es ging um abgeschnittene menschliche Ohren, die auf makabre Weise in einem Karton an eine Dame verschickt wurden.
Paris, 15. Mai 1894
Das schöne Wetter hat uns ermuntert. Einmal mehr war es der Frühling in Paris, der uns aus unseren traurigen Gefühlen herausgerissen hat. Wir hatten fast zwei Wochen Urlaub, von Himmelfahrt an bis jetzt nach Pfingsten. Victor ist auch wieder viel vergnügter. Ich hoffe das ändert sich nicht, wenn er wieder länger beim Dienst ist. Vater hat sich noch einmal gemeldet. Ich habe Victor meinen Brief vom März gebeichtet, ihm von Vaters Angebot erzählt. Wir haben lange darüber gesprochen, aber mir fällt es schwer, die richtigen Argumente dafür zu finden. Vielleicht habe ich auch keine Argumente, wir müssten schließlich nach Liverpool ziehen. Es wäre eine Flucht. Wir wollen erst einmal abwarten. Mutter und Vater wollen im August nach Paris kommen. Hoffentlich schafft es Vater auch, Mutter zu begleiten, denn er muss Victor genau erklären, wie seine Zukunft aussehen könnte.
Paris, 18. Mai 1894
Es gibt eine Neuigkeit. Wir haben bei allem, was vorgefallen ist, zu wenig auf Jeanette geachtet. Sie erwartet tatsächlich ein Kind. Die Dumme,