Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl

Ströme meines Ozeans - Ole R. Börgdahl


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Dienstreisen anschließt und wir erst am späten Sonntagabend zurück nach Paris fahren müssen.

      Paris, 22. Juni 1893

      Ich hatte schon alles vergessen, doch jetzt scheint es wieder anzufangen. Victor ist auf jeden Fall davon überzeugt, dass es damit zu tun hat. Am Wochenende war Victor nicht zu Hause, er musste in der Kaserne übernachten. Es ist nicht üblich, dass Stabsoffiziere zu Wochenenddienst eingeteilt werden. Victor ist noch nicht im Range eines Stabsoffiziers, obwohl er im Stab arbeitet. Dieser Leverne hat ihn aber eingeteilt und das für die nächsten sechs Wochenenden. Victor hat während dieses Dienstes eigentlich gar nichts zu tun, er muss nur anwesend sein, aber genau das ist wohl das Schlimme. Wenn er sich wenigstens beschäftigen könnte. Victor muss gehorchen. Es gibt keinen Grund sich aufzulehnen. Für mich ist es natürlich dumm, weil der Sommer vor uns liegt und wir die Wochenenden viel schöner verbringen könnten. Wenn Victor in der Kaserne ist, kann ich auch nur zu Hause bleiben. Ich werde es durchstehen.

      Paris, 28. Juni 1893

      Ein Brief aus Amerika, allerdings von Tante Carla an uns weitergeleitet. Pierre und Jacques haben geschrieben. Sie sind in Chicago und haben tatsächlich Arbeit auf der Weltausstellung gefunden. Pierre schreibt, dass sie alles machen, Karten abreißen, Hallen fegen, alles, was anfällt. Jacques betätigt sich auch als Fremdenführer für französische Ausstellungsbesucher. Es geht ihnen beiden gut, aber wenn die Weltausstellung im Herbst schließt, wollen sie zurück nach New York, wo sie schon die ersten zwei Wochen nach ihrer Ankunft verbracht haben und wo es dann wohl mehr Arbeit geben soll. Ich habe jetzt ihre Adresse in Chicago und werde natürlich zurückschreiben.

      Paris, 6. Juli 1893

      Eine kurze Notiz. Wie ich aus der Zeitung erfahre, ist Monsieur Maupassant verstorben. Ich bin etwas traurig, obwohl ich diesen Herrn nicht gekannt habe. Sein Bel-Ami soll mir ewig das Gegenteil meines Victors sein, obwohl ich mir jetzt doch manchmal wünschte, Victor hätte einen anderen Beruf, meinetwegen auch bei einer Zeitung.

      Deauville, 8. August 1893

      Im letzten Jahr ist unser Deauville-Urlaub ausgefallen und so haben wir uns jetzt sieben Tage gegönnt. Beinahe hätte es nicht geklappt. Ich brauche den Grund nicht mehr zu erwähnen. Victor kennt jetzt aber einige Tricks, sich den Schikanen zu entziehen. Ich hoffe er bekommt es auch hin, wenn wir zu Vaters Geburtstag nach Gayton reisen, wir werden es sehen. Wir haben uns hier in Deauville ein richtig gutes und teures Hotel genommen. Ich will die Zeit unbedingt genießen, viel spazieren gehen, vielleicht auch einmal ein Bad im Meer nehmen, mich sonnen und Vieles mehr.

      Gayton, 20. August 1893

      Ich musste nun doch alleine nach Gayton reisen, es ist bitter. Vater feiert seinen fünfzigsten Geburtstag und Victor kann nicht dabei sein. Mutter hatte schon den Vorschlag gemacht, dass Vater und sie nach Paris kommen, aber Vater hat Geschäftspartner in Liverpool und kann nicht an seinem Ehrentag verreisen. Morgen Abend gibt es einen Empfang im Kontor.

      Gayton, 28. August 1893

      Eigentlich ist es nicht schön, so lange von Victor getrennt zu sein. Ich hätte gleich nach Vaters Geburtstag wieder nach Hause fahren sollen, um dann zu Mutters Geburtstag zurückzukehren, dann vielleicht zusammen mit Victor. Ich hoffe so, dass er sich in ein paar Tagen doch noch frei nehmen kann und zu uns nach Gayton kommt.

      Gayton, 10. September 1893

      Morgen noch Mutters Geburtstag und dann bin ich es müde hier zu sein. Victor fehlt mir so sehr, nur zwei Briefe von ihm haben es in der ganzen Zeit zu mir geschafft. Er klagt nicht, obwohl ich aus seinen Zeilen mehr herauslese. Ich habe so gehofft, dass er nach Gayton kommt, aber jetzt ist es auch egal, übermorgen haben wir uns wieder.

      Paris, 12. September 1893

      Gestern konnte Victor mich nicht einmal vom Bahnhof abholen. Er hatte natürlich Sonderdienst. Bestimmt wusste dieser Leverne von meiner Reise. Ich musste mir eine Droschke nehmen, ganz allein und bin in ein leeres Haus gekommen. Natürlich hat mich Jeanette begrüßt, aber ich hätte Victor so sehr gebraucht. Er ist dann aber erst spät um elf heimgekommen, dennoch war ich so glücklich, ihn wiederzusehen.

      Paris, 15. September 1893

      In den vergangenen Monaten, seit dieser Leverne mit dem Brief gekommen ist und Victor zur Rede gestellt hat, ist außer den Schikanen nichts weiter vorgefallen. Leverne hat das Thema nicht wieder erwähnt. Gestern wurde Victor jedoch von einem Capitaine aus der Kaserne angesprochen. Der Mann ist erst seit Kurzem in Paris und wollte von Victor wissen, zu welcher Gemeinde er gehöre, und zwar zu welcher jüdischen Gemeinde und ob Victor ihn dort einführen könne. Dann hat sich herausgestellt, dass Leverne es verbreitet hat. Dies ist natürlich allerhand, vor allem, weil es ja nicht der Wahrheit entspricht. Victor zögert noch, er weiß nicht, ob er die Sache vor Leverne ansprechen soll, um sich künftig derartige Behauptungen zu verbitten. Ich kann Victor auch keinen Rat geben. Ich denke jetzt plötzlich, er solle es sein lassen und lieber zusehen, dass er innerhalb des Stabes einem anderen Vorgesetzten untergeordnet wird. Das muss doch möglich sein.

      Paris, 23. September 1893

      Die Holmes Geschichten machen mir weiterhin Freude. Ich werde ja regelmäßig mit dem Strand Magazine beliefert, Mutter sei dank. Ich will hier nicht über jede einzelne Geschichte berichten, aber eine Sache sei doch erwähnt, weil ich mir Gedanken darüber gemacht habe. In der letzten Geschichte, in der es um einen griechischen Dolmetscher ging, konnte der geneigte Leser etwas mehr über die familiären Verhältnisse des geheimnisvollen Mr. Sherlock Holmes erfahren. Nachdem zumindest über seinen Freund und Chronisten Dr. Watson bekannt wurde, dass er verheiratet ist, taucht nun sogar ein Bruder von Mr. Holmes auf, ein gewisser Mycroft, Mycroft Holmes. Dr. Watson war genauso interessiert daran, wie ich und ebenso überrascht. Ich hoffe nun, dass in den nächsten Geschichten weitere Verwandte erscheinen, weil es wirklich interessant ist. Jeder möchte sich doch ein Bild von Sherlock Holmes machen, um das Rätsel dieses geheimnisvollen Mannes zu lüften.

      Paris, 1. Oktober 1893

      Victor hat keine Empfehlung bekommen. Sein Zeugnis ist sehr schlecht ausgefallen. Wieder Leverne. In diesen Wochen wurden die Beurteilungen der Stabsoffiziere dem Brigadegeneral vorgelegt. Victor war für die Beförderung zum Commandant vorgesehen und er hätte sich auf diese Weise im nächsten Jahr von Leverne befreien können. Aus all dem wird jetzt nichts. Es kann nun ein oder zwei Jahre dauern, bis Victors Beförderung wieder vorgelegt wird. Es ist ein gewaltiger Schlag, sagt Victor. Er wird diesen Leverne nicht los, kann sich nicht lösen.

      Paris, 16. Oktober 1893

      Gestern waren wir aus, es war herrlich. Ein Opernabend im Palais Garnier, es gab die Walküre von Richard Wagner. Diese bombastische, kräftige Musik ist wahrhaft deutsch. Die Handlung ist nicht von dieser Welt, so mystisch, mit Göttern, mit einem Wotan, einem magischen Schwert und vielem mehr. Es sind Dinge, denen wir in Paris wohl nicht begegnen werden. Das Werk gehört zum Ring der Nibelungen, wie das Programmheft informiert, und besteht eigentlich aus vier einzelnen Opern. Vielleicht haben wir die Gelegenheit auch die anderen Stücke noch zu sehen. Dazwischen möchte ich aber noch etwas leichtere Kost haben, mit sanfterer Musik.

      Paris, 2. November 1893

      Mitten in der Woche haben sich meine Lieben nach Paris aufgemacht, um mit mir zu feiern. Es ist ein richtiges Familienfest geworden. Ich freue mich so, dass Mutter und Vater hier sind. Sie werden die ganze Woche bleiben. Die Tanten und Onkels und die Cousins und Anne sind schon heute Abend wieder abgereist. Unser Haus ist aus allen Nähten geplatzt, kein Zimmer war mehr frei, überall hat jemand seine Bettstatt aufgeschlagen. Ich bin fast traurig, dass es jetzt langsam wieder leer wird.


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