SILBER UND STAHL. Nicole Seidel
sich ab und hieb dem Ungeheuer seine Klinge in den nackten Muskelleib. Der Hexer prallte mit der stinkenden Bestie zusammen und bekam einen harten Schlag ab, als die Striege im Todeskampf ein allerletztes Mal um sich schlug. Der Hieb presste ihm die Luft aus den Lungen und schleuderte ihn an die Brunnenwand, wo Geralt betäubt liegen blieb.
Süßlicher Rosenduft stieg dem Hexer in die Nase, als er aus seiner Ohnmacht erwachte. Er wischte sich das Blut von einer Wunde an der Stirn und die verklebten Haare aus den Augen. Sein ganzer Körper schmerzte ihm, doch kämpfte er gegen die Schmerzen an und quälte sich auf die Beine, dabei zog er sich an Brunnenrand nach oben. Es dämmerte bereits und ihm bot sich ein ungewohntes Bild.
Dort wo er die Striege niedergestreckt hatte lag ein schwarzhaariger Jüngling. Über seinen nackten Körper, aus dessen Brust noch das Hexerschwert ragte, kniete Rosalea und beweinte leise seinen Tod. Zwischen ihren schmerzvollen Schluchzern stieß sie immer wieder einen Namen aus. "Lukan, mein liebster Lukan. Oh, Lukan."
Das Mädchen bemerkte schließlich den weißhaarigen Krieger auf sich zu wanken und schrie ihn an: "Du, Ungeheuer hast ihn getötet!" Sie versuchte das Schwert aus dem toten Körper ihres Liebsten zu reißen, aber sie war zu schwach dazu. "Bleib weg von mir!"
Tatsächlich hielt Geralt von Riva inne.
Und als sich die Sonne im Osten über dem Horizont erhob, tauchten auch die ersten Menschen aus Hengfors am Burgtor auf. Vorneweg ging der alte Herzog und stützte seine furchterfüllte Gemahlin. Diederic rannte in den Hof, unsicher ob er zu seiner zeternden Schwester oder dem verwundeten Hexer laufen sollte - so blieb er zwischen ihnen stehen und behielt beide im Blick. Etwa zwanzig mutige Bewohner und eine Handvoll Stadtwachen warteten am Burgtor.
Rosalea bemerkte nun auch die anderen Menschen, die in die Ruine geströmt waren. Ein kurzer Blick fiel auf ihren erwachsenen Bruder Diederic, den sie jedoch nicht wiedererkannte. Stattdessen sah sie an ihm vorbei und erkannte ihre Eltern. Ihr zartes schönes Gesicht war wutverzerrt und sie versuchte erneut das Schwert aus dem Leib zu ziehen. Was ihr auch diesmal nicht gelang.
Inzwischen hatte Geralt das Mädchen erreicht. Ihm war es ein leichtes sein Silberschwert aus dem Toten zu ziehen. Er behielt es in der Hand und fragte die Herzogstochter: "Wer ist Lukan?"
"Ich habe ihn geliebt. Und er mich", gestand Rosalea.
"Lukan war ein einfacher Stallknecht!" erklang die erboste, gebrochene Stimme des alten Herzog Eduan von den Rosen. "Er hätte meine Tochter nicht einmal ansehen dürfen, geschweige denn lieben! Niemals hätte ich solch einer Heirat zugestimmt."
"Die Zauberin handelte in eurem Namen, Herzog?" wollte Geralt von dem alten Mann wissen.
Der alte Herzog zögerte.
"Raus mit der Wahrheit, Vater!" verlangte nun auch der junge Herzog nach der Wahrheit.
Eduan von den Rosen nickte resigniert. "Meine Frau brachte mich auf die Idee und sie wusste von der Zauberin. Die alte Hexe sollte Rosalea nur einen Trank einflößen, der sie diesen Stallknecht vergessen lassen sollte. Aber mit irgendwas hatten wir den Zorn dieser Zauberin auf uns gelenkt, sie betrog uns. Sie verfluchte unsere Tochter zu einem ewigen Schlaf, sperrte sie in diesen Turm und ließ nachts diese Bestie umherstreifen. Es war unser eigenes Verschulden. Was hätten wir tun sollen?" Der alte Mann streckte seine faltigen Hände nach seiner Tochter aus und Tränen traten ihm aus den müden Augen. "Rosalea, bitte vergib uns."
"Niemals!" fauchte sie erschüttert. "Ihr habt mir mein Lebensglück geraubt. Mich verfluchen lassen. Das kann ich nicht vergeben." Das Mädchen kniete sich erneut am Leichnam ihres Liebsten nieder und weinte bitterlich.
Die Liebe zu dem Jüngling Lukan hatte wohl ausgereicht, dass er Rosalea selbst in der furchtbaren Gestalt einer Striege hatte aus ihrem Zauberschlaf erlösen können.
Geralt ließ sie zurück und wandte sich an Diederic von den Rosen. "Die Striege ist tot, der Fluch aufgehoben. Ihr habt eure Schwester zurück. Ich erwarte nun meinen Lohn, dass ich meiner Wege ziehen kann."
Sichtlich von dem blutverschmierten, von Dornen zerrissenen, in Rüstung gekleideten Hexer angeekelt, griff der junge Herzog nach einem Beutel mit Münzen und warf sie ihm entgegen. "Verschwindet schnell von hier, Hexer."
Kommentarlos fing Geralt den prallgefüllten Beutel auf und verstaute ihn achtlos an seinem Gürtel. Dann säuberte er sein Schwert an einem seiner zerfetzten Hemdsärmel und steckte es in die Lederscheide am Rücken zurück. Mit grimmigem Blick marschierte er wortlos an dem alten Herzogpaar vorbei, die sich zögerlich ihrer erlösten Tochter näherten und ihm keinerlei Beachtung mehr schenkten. Am Burgtor bildeten die Stadtwachen und Bewohner Hengfors eine Gasse, durch die der weißhaarige Hexer schritt.
Erst als er außer Hörweite und bei seinem Pferd Plötze, das er unterhalb der Burgruine am Tag davor angebunden hatte, angekommen war, entfuhr ihm ein schmerzvolles Stöhnen und er quälte seinen zerschlagenen Leib in den Sattel. Er riss sich mehrere Streifen aus seinem eh schon kaputten Hemd und umwickelte damit sein verstauchtes Handgelenk, dann lenkte er sein Reittier auf einen nahes Gehöft zu, auf dem die Familie seines Reisegefährten Aryan wohnte.
Der Hexer hoffte, dort seine Kleidung ausbessern, Proviant für die Weiterreise und ganz wichtig, seinen zerschundenen Körper stärken und heilen zu können.
Ende
V - Iorweth
Wer ist Iorweth?
(Notiz von Rittersporn)
Es heißt, alle Elfen seien schön, sie würden so geboren. Bei Iorweth hatte jemand beschlossen, das zu ändern, und ihm das Gesicht entstellt. Ein Teil der hässlichen Narbe verbarg der Elf unter einem scharlachroten Tuch. Er war eine lebende Legende, der ungreifbare Anführer einer Elfentruppe (=die Freiheitskämpfer "Scoia'tael"), die nicht daran dachte, die Waffen niederzulegen, sondern den Krieg gegen die Menschen in aller Härte fortführten. Die Geschichten über Iorweths Taten und seinen Hass auf die Dh'oine (=Menschen) ließen ihn eher als rächenden Geist, denn als Person aus Fleisch und Blut erscheinen.
Es gab Hinweise, daß Iorweth mit dem Königsmörder (=Letho) und den jüngsten Ereignissen in Verbindung stand, doch die erste Begegnung mit ihm brachte Geralt von Riva nur einen tödlichen Pfeilhagel als Antwort ein. Es sah nicht aus, als könnte der Hexer andere Antworten gewärtigen.
Aus Sicht von Leuten wie Vernon Roche oder Bernard Loredo (=beides Temerische Kommandanten) war Iorweth ein ordinärer Bandit mit dem Blut Unschuldiger an den Händen. In der Tat, die Zahl der von ihm "im Kampf um die Freiheit" Erschlagenen kann ohne weiteres mit der Anzahl der Stücke in meinem Repertoire mithalten.
Iorweth war sehr gefährlich, aber ein blutrünstiges Ungeheuer war er nicht. Seine Pläne verfolgte er stets mit Vorsicht, und als er die Chance sah, Lethos Loyalität auf die Probe zu stellen, nutzte er sie, in dem er sich eine Zeitlang mit Geralt verbündete. Ein gemeinsamer Kampf Schulter an Schulter, und das Eis brach: Iorweth schätzte die Zuverlässigkeit des Hexers, und eine weitere Zusammenarbeit war möglich.
Iorweth Vision ließ ihn in einem anderen Licht erscheinen. Der Plan des Anführers der Scoia'tel war entweder ziemlich kühn oder schlicht verrückt,. Er brauchte Verbündete. Fand er keine, war er jedoch auch bereit, seinen Plan allein ins Werk zu setzen.
Mangel an Loyalität gegenüber denen, die ihm vertrauten und denen er vertraute, konnte man Iorweth nicht vorwerfen. Nach der Befreiung der Gefangenen hatte er umso mehr Respekt vor Geralt und zögerte nicht, sich für dessen Hilfe zu revanchieren.
Als Iorweth für ein freies Pontartal zu kämpfen beschloss und Saskia den Treueschwur leistete, stand er plötzlich auf einer Seite mit den Menschen, die Vergen verteidigten,. Nur wenige glaubten an diese Wandlung des Erzfeindes der Dh'oine, der für manches abgebrannte Dorf und reichlich zu betrauernde söhne verantwortlich war. Saskia jedoch vertraute dem Anführer