SILBER UND STAHL. Nicole Seidel
antwortete er ihr. Denn über ihn gebeugt – und nun ihn innig küssend – war seine große Liebe, die Zauberin Yennefer.
„Ach, mein ärmster Liebster“, hauchte sie und liebkoste sein narbiges Gesicht.
Da griff ein grauer Schatten die Frau an den Haaren und zerrte sie hoch. Ihre zarte Kehle war entblößt und das Untier schlug seine Zähne hinein. Viel Blut spritzte über den Hexer, der auf die Beine taumelte.
„Nein!“ schrie Geralt.
Der Werwolf Ulf Varen schleuderte dem Hexer den Frauenkadaver entgegen, während er die herausgerissene Kehle hinunterschluckte.
Geralt von Riva legte den toten Leib seiner Geliebten zur Seite und stürzte sich auf den Werwolf. Voller Wut donnerte seine Faust gegen den blutigen Kiefer des Monsters. Ein kurzer Taumel, ein wildes Schütteln und ein lautes Knurren, dann sprang Ulf Varen den Hexer an. Sie rangen miteinander. Ein ausgeglichener Tanz zweier Mutantenmänner – einer graubehaart mit scharfen Krallen und Zähnen; der andere mit übersinnlichen Reflexen und ebenso stark. Sie schlugen und traten nacheinander. Ulf Varen geiferte nach Geralts Kehle, während dieser, diese hungrigen Zähne auf Distanz zu halten versuchte. Der Hexer packte das Werwolfmaul und riss es schmerzhaft auseinander. Da warf sich der Teufelswolf nach hinten und fiel mit dem Hexer zusammen zu Boden. Geralt musste seinen Griff lockern, rollte sich geschickt ab und kam wieder auf die Beine.
Die Kontrahenten umkreisten sich. Der Hexer hatte weiterhin nur seine bloßen Hände als Waffe. Keinerlei Schutz, keine Aussicht zu gewinnen. Der Werwolf setzte ihm mit gefährlichen Hieben nach, drängte ihn zurück. Geschickt wich Geralt diesen Schlägen aus und stolperte plötzlich über den liegenden Körper Yennefers. Der doch nicht sie war.
Geralt fiel und rollte sich weiter aus der Gefahrenzone Werwolf. Halb aufgerichtet, lauernd wartete der Hexer, denn das Untier machte sich erneut über den Frauenkadaver her.
Der verwandelte Ulf Varen wirkte gewaltig. Er hob den Körper auf und zerriss ihn wie eine Puppe in der Mitte entzwei.
Der Hexer wartete geduckt auf ihn. Das war nicht Yennefer, sagte er sich. Du bist hier in einem – ja was eigentlich?
Wieder wandte sich der Werwolf ihm zu. Der graue Schatten sprang durch die Luft. Ein hellerer, weißhaariger Schatten sprang ihm entgegen. Ihre massigen Körper prallten gegeneinander. Berserkerwut entfesselte sich auf beiden Seiten – und doch blieb die grausige Szenerie still.
Geralt erinnerte sich an viele erduldete Schmerzen, sein Leib wurde regelrecht damit überflutet. Ihm schwand die Kraft, der Wille weiter zu kämpfen. Er erlahmte.
Ulf Varen umklammerte Geralts Hals und hob ihn in die Höhe. Ein mächtiges Wolfsgeheul durchstieß die lautlose Kampfszene. Geralt klammerte sich an den Arm des Untiers, hatte aber keine Kraft mehr sich zu befreien. Sein Gesicht war verzerrt, die Beine baumelten in der Luft, selbige drohte ihm auszugehen. Der Werwolf drückte zu und seine Klauen drangen tiefer in Geralts Hals ein.
Dann war da wieder Dunkelheit.
Der Disput mit Ulf Varen dauerte Tage und Nächte an. Dabei war Zeit bedeutungslos geworden. Jedes hervorgerufene Gefühl von Angst, Verzweiflung und Niederlage nährte das Alpwesen.
Noch einige Male tötete der Werwolf eine Frau vor den Augen des Hexers. Einmal war es das Mädchen Ciri – deren Schutzbefohlener der Hexer war. Ein anderes Mal war es die Zauberin Triss Merigold, die ihn bedingungslos, aber vergebens liebte. Dann war es eine gute Freundin: Nenneke, die Hohepriesterin der Göttin Melitele.
Dann kämpften Werwolf und Hexer verbissen miteinander. Ein anderes Mal verhöhnte ihn der Vagabund Ulf Varen, spielte ihm Klagelieder vor und demütigte ihn mit seiner Zärtlichkeit, der Geralt immer wehrlos-erstarrt ausgeliefert war. Jeder Disput mit Ulf ging zum Nachteil Geralts aus.
Geralt stand, nun selbst die Eiche, inmitten der Lichtung. Wehrlos ohne seine Waffen. Schutzlos gekleidet in Stiefeln und Hose, die in Fetzen an seinem narbigen, zerschundenen Körper herabhingen. Aber sein eiserner Wille sich allem zu stellen, was auch auf ihn zukommen mag, war ungebrochen. Seine Pupillen der gelbfahlen Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt, die den finsteren Rand der Lichtung absuchten.
Er hörte sie erst, bevor er sie sah. Rasseln von Ketten, schaben von chitingepanzerten Beinen und den Donner schwerer Schritte. Er hörte die Wesen schmatzen, jaulen, fauchen und klagen. Hörte sie trommeln, geifern, knurren und fluchen. Und dann kamen sie aus dem finsteren Dickicht auf die arenarunde Waldlichtung. In den hellen Schein des Mondes hinein traten Hunderte schauriger Wesen: SEINE Bilanz des Todes der letzten Jahrzehnte!
Spinnenbeinige Kikimoras, groß wie Elefanten traten auf ihn zu, ebenso tumbe Zombies, klappernde Skelette und vollbusige Bruxas. Zähnefletschende gorillaartige Striegen und verfluchte Geisterkönige auf feuerspuckenden Rössern galoppierten auf ihn zu. Algenbehangene Wassermänner, schwabbelige Riesenwürmer und geifernde Ghule wälzten sich ihm entgegen. Werwölfe, Höllenhunde, riesige Mutanten in steinernen Rüstungen, Werkatzen und sogar einen geflügelten Dämon konnte er ausmachen. Haarige Trolle, brüllende Oger und zangenbewehrte Crawler stampften auf ihn zu. Über ihnen kreisten kreischende Harpyien, zwei Greife und sogar eine drachengleiche Wyverne. Stein- und Feuergolems und fratzenschneidende Gargoyle warteten auf den Befehl des Angriffs.
Dicht an dicht gedrängt umringten Hunderte Ungeheuer den Hexer. Immer wieder drehte er sich im Kreis und behielt so die Monstermasse im Auge, die bis auf wenige Meter ihn umzingelt hatte.
Direkt vor ihm stand der hübsche Vagabund Ulf Varen. Er ging den Rand der lauernden Monster entlang und streichelte da mal einen Höllenhund oder eine kieferklappernde Kikimora. “Welch eine Ehre dir zuteilwird. Sie sind alle deinetwegen gekommen, Geralt von Riva – Hexer aus Kaer Morhen!“
Unbemerkt musste Ulf Varen ein Zeichen gegeben haben, denn plötzlich sprangen eine Striege, eine Kikimora und ein Gargoyle in die Mitte auf Geralt zu.
Dem steinernen Fratzenwesen wich er aus und sprang der spinnengleichen Kikimora auf den Rücken und teilte unterwegs der rothaarigen Striege mitten im Sprung einen Faustschlag ins Gesicht aus. Kaum gelandet verdrehte er der Kikimora den Kopf und brach dem Wesen das Genick. Schon sprang er dem Gargoyle entgegen, aber hatte die Striege in seinem Rücken nicht vergessen. Er nutzte den Schwung, trat den Gargoyle in die Monstermenge und flog schon der Striege entgegen, die seine Fäuste ein weiteres Mal zu spüren bekam.
Der Hexer dachte nicht mehr – er reagierte und agierte nur noch, so wie es ihm gelehrt worden war. Eine Kampfmaschine in Perfektion.
Weitere Ungeheuer lösten sich aus dem Kreis und griffen den Hexer an. Er schlug viele beim ersten Ansturm nieder. Fiel ein Untier, ersetzten zwei weitere ihren Platz.
Dieser Kampf währte ewig – so schien es. Bis ein Dutzend Ungetüme auf einmal angriffen und sich auf den weißhaarigen Hexer warfen und ihn unter sich begruben.
Dies ist nicht möglich, dachte Geralt, dies alles hier ist total absurd! Die stinkenden Fleischberge auf ihm raubten ihm die Sicht, das Atmen, selbst die kleinste Bewegung war unter dieser wimmelnden, sich selbst behindernden Masse nicht mehr möglich.
Da drang ein ferner Ruf an sein inneres Ohr: „Geralt von Riva, erkenne!“
Und da erkannte er es. Er steckte in einem irrwitzigen Albtraum fest! Und nicht länger Spielfigur eines aus seiner tiefsten Vergangenheit heraufbeschworenen toten Wesens, stärkte ihn diese Erkenntnis zur absoluten Gegenwehr.
Aber es reichte nicht aus, einfach aufwachen zu wollen, er musste auch daraus erwachen. Und dazu musste er Herr über diese Situation werden.
Unerwartet stob der Ungeheuer-Fleischberg auseinander. Seine einzelnen keifenden Monster flogen wie explodierte Teile durch die Luft und lösten sich in Nichts auf.
„Es ist genug!“ brüllte Geralt und knurrte noch finsterer als die um ihn erstarrten Ungeheuer. „Genug! Ich hab keine Lust mehr zu diesem Spiel. Verschwindet!“ Und um sein letztes Wort zu unterstreichen, machte er dazu die passende Handbewegung unter der die Striegen, Kikimoras, Ungetüme, Höllenhunde und Ghule, unter