SILBER UND STAHL. Nicole Seidel
sie war von der Lust getrieben.
Und als er an den Platz kam
Die Linde rauschte am Hain
Fand er nichts mehr als einen blutigen Arm
Denn sie war von der Lust getrieben.
Gott tröste mich, Gott bessere mich armen Jüngling
Die Linde rauschte am Hain
Meine Jungfrau ist von mir gegangen und mein Pferd ist halbtot
Denn sie war von der Lust getrieben.
(Text/Musik: trad. Skandinavisch - Übersetzung: Jacob Moberg / Saltatio Mortis)
1
Der Koloss aus Stein und Herzlosigkeit stürmte dem weißhaarigen Kämpfer entgegen. Ein Donnerbrüllen grollte aus seinem zahnlosen Maul. Auch der Kämpfer rannte dem Golem entgegen und sein Silberschwert blitzte in der Nachmittags¬sonne auf. Das Schwert in der Steinpranke dagegen wirkte wie ein Zahnstocher, reichte aber aus, den Mann mit dem weißen Haar aufzuspießen. Die beiden Kontrahenten verkeilten sich ineinander und der Golem brach unter lautem Getöse zusammen – den weißhaarigen Hexer unter sich begrabend.
Der Kampflärm erstarb und der aufgewirbelte Straßenstaub legte sich. Vorsichtig durchbrachen die ersten Vögel mit einem Lied die Stille und dann kam auch wieder Bewegung in den vor Angst erstarrten Kaufmann, den der Steinkoloss zuvor überfallen hatte – bevor ihm glücklicherweise der heraneilende Hexer Geralt von Riva zur Hilfe geeilt war.
Kaufmann Ayden Samhradh kroch hinter seinem vollgepackten Wagen hervor. Traurig blickte er auf das erschlagene Zugpferd und ging zum zweiten Tier, das zitternd im Geschirr stand und den heimtückischen Angriff des Golems überlebt hatte.
Der schlanke Mann in den gepflegten blauen Gewändern eines erfolgreichen Kaufmannes war ein hübscher Elf mit nackenlangem, braunem Haar und rehbraunen Augen. Er hatte die typischen spitzen Ohren, aber nicht den Kampfgeist seines kriegerischen Volkes geerbt – sonst hätte er wohl keine Hilfe von außerhalb benötigt, um es mit dem Steingolem aufzunehmen. Ayden Samhradh war ein von der menschlichen Zivilisation verwöhnter Kaufmann, der regen Handel zwischen den Menschen und den Wesen der alten Welt trieb. So war er nur mit einem schlanken Stilett bewaffnet, das gegen dieses Ungeheuer mehr als nutzlos war. Sein schwerbewaffneter Begleitschutz Trölt Wolfschädel – ein vollbärtiger Zwerg – hatte die Flucht ergriffen, kaum dass der Steinkoloss aus einem Birkenhain gestampft war.
Vorsichtig näherte sich Ayden dem riesigen Steinhaufen auf der Straße. Er hob einen Ast auf und stupste damit im Steinhaufen herum, aber alles blieb ruhig. Der Kaufmannself ging um den Golem herum. Das Silberschwert steckte im winzigen Kopf des Monsters und stützte den Oberkörper, so entstand darunter eine kleine Höhle in der Ayden den weißhaarigen Kämpfer entdeckte. Sofort versuchte er den Bewusstlosen hervor zu ziehen, was ihm nur unter aller Kraftanstrengung gelang. Dabei brach das Kurzschwert in der Schulter des Hexers ab, als er den Eingekeilten unter dem Steinarm des Golems hervorziehen konnte, bevor dieser einbrach. Felsbrocken kullerten kreuz und quer über die Straße, als der tote Koloss auseinanderbrach.
Der Elf schleifte den Hexer aus der Gefahrenzone und untersuchte seine Wunde. Das rostige Schwert des Golems war oberhalb des Herzens, kurz unterhalb des Jochbeins, so tief eingedrungen, dass die Spitze hinten herausschaute. Zum Glück blutete die Wunde nicht stark und Ayden wagte nicht, die Klinge jetzt zu entfernen.
Er begann das tote Pferd vom Wagen zu befreien, als reumütig sein Begleiter zurückkehrte. Der Zwerg steckte sein Schwert zurück in die Scheide, als er sah, dass keine Gefahr mehr drohte.
„Für was bezahle ich dich eigentlich, Trölt Wolfschädel, wenn du bei der ersten Gefahr davonläufst!“ Der Kaufmann versetzte dem Zwerg eine harmlose Backpfeife.
Kommentarlos half er seinem Chef Geralts Braunen vor den Wagen einzuspannen und Platz auf der Ladefläche zu schaffen, wo der Verwundete gelagert werden konnte. Trölt zog auch das Silberschwert aus dem Golemkopf und lenkte dann den schwerbeladenen Wagen zurück auf die Straße in Richtung Filderstedt, wo Ayden Samhradh lebte. Der Kaufmann selbst saß bei dem verwundeten Hexer und achtete darauf, dass die Fahrt ihn nicht zu sehr durchrüttelte.
2
Das Alpwesen witterte im Weltenäther nach einem neuen Opfer und er fand es. Ein sehr interessantes und im Fieberwahn liegendes Opfer.
Meistens suchte er frisch verliebte Frauen des Nächtens heim. Setzte sich auf deren bebende Brust und bescherte ihnen Horrorvisionen ihrer tiefsten Ängste. Aber diesmal fand er einen gestandenen Krieger, der durch das Wundfieber für ihn angreifbar wurde.
Unbemerkt setzte sich der Alp auf die kräftige Brust des weißhaarigen Kriegers. Er labte etwas Wundessenz und infizierte mit seinem Speichel zusätzlich die tiefe Schulterwunde.
Das unsichtbare Wesen hauchte Geralt von Riva einen Kuss auf die bleichen Lippen und drang so in sein Innerstes vor. Er tauchte ein in die Erinnerungen und Gedanken des Hexers. „Welch ein Fang!“ frohlockte der Alp, als er tiefer in den Geist des Kämpfers vorstieß. „Ich werde lange von dir zehren können, Hexer!“
„Er hat viel Blut verloren. Die Wunde will sich nicht schließen und beginnt auch noch zu eitern!“ Die junge Elfenfrau wechselte besorgt den Schulterverband. „Er liegt im Fieber – ich kann nichts mehr für ihn tun. Ich werde unverzüglich meine Meisterin Cyonil Tir’Duinn herbitten.“ Eileal Fitheach, eine Heilerin mit rostroten Haaren erhob sich und wandte sich den beiden anderen Personen in dem kleinen Krankenzimmer zu. „Er wird zusehends schwächer. Verdopple seine Kräuterration. Ich hoffe er hält durch, bis ich mit meiner Meisterin wieder hier bin.“
„Er hat kaum wache Momente. Und alles was ich ihm an Kräuter, Tränken und Suppen eingebe schwitzt er wieder aus“, erwiderte Kaufmannsfrau Telda Samhradh – eine schwarzhaarige Menschenfrau. An ihrer Seite stand ihr Mann, Ayden Samhradh.
„Er ist ein Hexer, müssten da seine Heilkräfte nicht besser funktionieren?“ meinte Ayden.
„Ja, eigentlich schon. Aber die Klinge, die ich aus seiner Wunde gezogen habe, war sehr verdreckt und vielleicht sogar vergiftet,", kommentierte Eileal Fitheach. Sie schaute auf den schlafenden Krieger auf dem Lager aus weißem Linnen.
Geralts zerschundener, nackter Körper lag weich gebettet in Decken gehüllt. Ab und an stöhnte er im Fieberwahn auf und warf sich hin und her – dann musste man ihn halten, dass er sich nicht verletzte. Ein kühles, nasses Tuch lag auf seiner Stirn, die Augen waren geschlossen. Die kräftigen Arme lagen über der Decke, die bis zum Bauch herabgezogen war. Unzählige alte und frischere Narben zierten seinen gestählten Leib.
„Ich breche unverzüglich auf“, erwiderte die Heilerin und Elfin Eileal. „In bin hoffentlich in zwei Tagen wieder zurück.“ Sie verließ das Zimmer.
„Er hat mir das Leben gerettet. Kümmere dich gut um ihn, meine Liebe.“ Ayden nahm seine schwarzhaarige Menschenfrau kurz in den Arm und küsste ihre Stirn. „Ich darf aber nicht länger meine Geschäfte vernachlässigen. Ich werde heute Nachmittag abreisen, Telda.“
„Ich tu mein bestes“, erwiderte Telda Samhradh und begann einen weiteren Kräutertrank für den Hexer herzurichten.
Um ihn war Dunkelheit und doch konnte er sehen. Ein heller Mond schien durch die Kronen mächtiger Bäume in einem alten Wald. Es war nach dem Winterschnee, aber kurz vor der Frühlingsblüte. Braun und dunkelgrün bedeckte dichtes Moos den Waldboden und schluckte jeden Laut – außer man zertrat einen dürren Zweig.
Ich kenne diesen Ort, diesen verfluchten Wald, dachte Geralt und folgte einem nicht vorgegebenen Weg. Dann trat er auf eine Lichtung. Innmitten der Bresche stand eine mächtige Eiche. Woher kannte er diesen Baum? Der Hexer grübelte kurz. Es war lange her, sehr lange her, dass er unter dieser Eiche gestanden hatte. Und aus einer fernen Erinnerung