Moses, der Wanderer. Friedrich von Bonin
„Ist ein Bad bereit?“ fragte er mit dem Ungestüm seiner fünfzehn Jahre und ging erleichtert, als der Diener bejahte, in die Badekammer. Dort fand er einen Zuber voll frischen lauwarmen Wassers, angereichert mit duftenden Sandelholzextrakten, denen ein leichter Hauch von Rosmarin beigegeben war. Aufseufzend ließ er sich in dem Zuber nieder und befahl dem Badediener, ihm die steif gewordenen Schultern zu massieren.
Dann lehnte er sich zurück und dachte über den Tag nach. Sollte er wirklich morgen noch einmal in diese schmutzige Welt eintauchen und sich der Gefahr aussetzen, dass er entweder Krankheiten von dort mitbrachte oder ausgeraubt wurde? War es alles das wert, herauszufinden, wo seine Pflegeeltern waren oder sollte er nicht lieber zurückkehren zu der Schule, an den Hof Pharaos und die Hänseleien seiner Kameraden über seine ungewisse Herkunft ertragen? Langsam dämmerte er in dem Wasser, das ihm jetzt angenehm die Glieder kühlte, in Gedanken und Gefühlen dahin, fühlte dem Ekel nach, den er angesichts der Hebräer empfunden hatte, fühlte die Wut in sich aufsteigen, wenn er daran dachte, wie seine Freunde ihn hänselten und richtete sich jäh auf: nein, keinesfalls wollte er die Suche aufgeben, nicht dem Drängen Ptomas nachgeben und sich darauf beschränken, den Fortgang der Bauarbeiten zu besichtigen und dann zurück fahren zum Hof, um Pharao zu berichten, dazu war er nicht her gekommen. Nein, er hatte die Reise angetreten, um Amram und Jochebed zu finden und kein Mensch, auch nicht der Gouverneur, und kein Gefühl, auch nicht der Ekel, würde ihn davon abhalten.
Moses rief den Badediener herbei und ließ sich abtrocknen und ankleiden. Seine besten Sachen ließ er sich geben, den Schurz von feinstem Leinen und den Überhang aus dem gleichen Stoff, um so die Abendgesellschaft des Gouverneurs, die er Moses wegen abhielt, zu besuchen.
Ungeachtet des leisen Misstrauens, das Ptoma seinem jungen Gast wegen dessen übersteigertem Interesse an den Hebräern entgegenbrachte, hatte der Gouverneur für den Empfang, den er dieses Gastes wegen gab, alles aufgefahren, was sein Haushalt hergab, handelte es sich schließlich um einen Abgesandten des mächtigen Pharao, auf den er einen guten Eindruck machen wollte.
Der große Festsaal der Residenz war am Abend reich geschmückt, Lichter waren an allen Wänden aufgehängt und aufgestellt, die den Saal taghell erleuchteten. Die offenen Fensterhöhlen ließen die linde Abendluft ein, die gekühlt wurde durch die verschiedensten Brunnen, die Ptoma an den Wänden zwischen den Lichtern und in kleinen Inseln im Raum hatte aufstellen lassen, Wasserspiele, die die Luft kühlten und die einen dezenten Duft von Lavendel, Zypresse und Sandelholz verströmten. Um die Quellen und von ihnen mit der nötigen Feuchtigkeit versehen waren Blumen aufgestellt, Strelitzien, Rosen, Gladiolen, Nelken, Lilien gaben dem Saal Glanz, Jasminblüten verwöhnten die Gäste zusätzlich mit ihrem betörenden Duft.
Zwischen diesen Inseln bewegten sich die Menschen. Reich gekleidete Ägypter, in feinstes Königsleinen gehüllt, die Köpfe mit wertvoll gearbeiteten Perücken bedeckt, Frauen in dünnes Gaze gehüllt, alle, Frauen und Männer, mit Goldschmuck reich ausgestattet, die Wangen mit Puder bedeckt und die Augenwinkel mit Tusche verlängert, unterhielten sich mit den Abgesandten ferner Völker. Der assyrische König hatte Hofbeamte nach Pitom geschickt, die von den Bauten Pharaos berichten sollten, Hethiter in ihrer heimischen Tracht, auch hier den kalten Temperaturen in ihrer Heimat Rechnung tragend in Wolle statt in Leinen gekleidet, Gäste an der Residenz Ptomas, Geiseln auch, die der hethitische König mit Pharao ausgetauscht hatte, um den Frieden zwischen den Ländern zu sichern. Nubier waren hier, zu deren kohlschwarzer Haut das schneeweiße Leinen auffällig kontrastierte und die durch ihren andersartigen Schmuck auffielen, Ringe durch Ohren gezogen aus Gold und schwer, und Ringe durch die Nasenflügel gebohrt.
Mit großen Augen ging Moses durch die Menge, er kannte zwar die Pracht an Pharaos Hof, kannte dort die beeindruckenden Gebäude, aber an einem Fest hatte er dort noch nicht teilnehmen dürfen, dazu galt er als zu jung.
„So, du bist also der Jüngling, den Pharao uns geschickt hat, um über den Stand der Arbeiten zu berichten?“
Ein junger Ägypter, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, stand neben Moses, während Ptoma die offizielle Begrüßung der Gäste vornahm, „darf ich mich vorstellen? Ich bin Menache, der Minister des Gouverneurs für die Aufsicht der Bauarbeiten. Und wie beurteilst du den Fortgang der Arbeiten?“
„Enorme Fortschritte habt ihr gemacht, das habe ich gesehen“, antwortete Moses höflich, „soweit ich die Bauten besichtigt habe, werde ich Pharao nur das Beste berichten können. Das einzige, was mir missfallen hat", fuhr er mit dem Ungestüm seiner jungen Jahre fort, „war die Behandlung der Hebräer. Müssen sie wirklich so geschlagen und angetrieben werden? Meint ihr nicht, sie würden genauso gut arbeiten, wenn ihr sie nicht so drangsaliert?“
„Nein, auf keinen Fall“, antwortete Menache, „du kennst die Hebräer nicht so wie ich. Sie sind faul und stinken, sie bilden Banden, sie sind vollkommen regel- und gesetzlos. Würden wir sie machen lassen, was sie wollen, sie würden in Kurzem eine eigene Gesellschaft in Ägypten bilden und uns mit ihren schlechten Sitten anstecken. Der Hebräer ist von Natur aus arbeitsscheu, wenn wir ihn nicht antrieben, und zwar nachdrücklich, wie du es gesehen hast, würde er herumliegen und faulenzen.“
„Aber Menache“, Moses sah seinen Gesprächspartner ungläubig an, „du kannst doch nicht ernsthaft behaupten, dass alle Hebräer faul und gesetzlos sind. Da gibt es doch bestimmt Unterschiede, meinst du nicht? Und macht ihr sie nicht durch eure Behandlung erst zu dem, was sie sind?“
„Nein, auf keinen Fall, den Hebräern liegt die Faulheit im Blut. Sieh dir doch mal die jungen Männer an, die noch keine Begegnung mit uns Ägyptern hatten. Wenn wir an ihrem Zustand schuld wären, müssten die Jungen doch zu mindestens noch einigermaßen menschlich sein. Aber schon mit zehn Jahren stinken sie, sie waschen sich nicht, sie essen eklige, verfaulte Kartoffeln, schon genau so wie die alten. Nein, glaube mir, Moses, die Hebräer kannst du nicht ändern, du kannst nur versuchen, sie im Zaume zu halten und das ist genau das, was wir tun.“
Ihr Gespräch wurde unterbrochen, weil jetzt Ptoma auf sie zu kam, begleitet von drei würdigen alten Ägyptern.
„Seht, das ist Moses, den uns Pharao geschickt hat, um sich von dem Fortgang unserer Arbeiten hier in seiner Stadt berichten zu lassen. Moses, das hier sind die drei Herren vom Hohen Rat in Pitom, Horach, Beknechon und Halfa.“
Moses verbeugte sich höflich vor den Alten, die ihn ebenso neugierig ansahen wie er sie. Vor allem Horach beeindruckte ihn tief, ein mächtiger, breit gebauter Mann von wohl fünfzig Jahren, mit breitem, kahlgeschorenen Kopf, aus dem zwei schräg geschlitzte Augen ihn prüfend ansahen.
„Nun, junger Mann?“ sprach er ihn mit tiefem Bass an, „was wirst du Pharao von unseren Bauten erzählen können?“
„Ich habe noch nie so große Gebäude gesehen“, antwortete Moses wahrheitsgemäß, ohne die mit Menache geführte Unterhaltung über die Hebräer zu erwähnen, „ich werde Pharao nur das Beste berichten können.“
„Und unser Moses hat nicht nur unsere Bauten besichtigt, er hat auch ein Dorf unserer fleißigen Hebräer besichtigt“, warf Ptoma ein, „nach allem, was ich gehört habe, beabsichtigst du morgen noch einmal zu den Hebräern zu gehen.“
Erstaunt sahen ihn die anderen an.
„Ja“, sagte Moses trotzig, „ich war bei den Hebräern und ich werde morgen dort noch einmal hingehen.“
„Aber hast du keine Angst, dass sie dich überfallen und ausrauben, sogar dich töten?“ fragte Halfa, der zweite Hohe Rat, ein dünner hellhäutiger Mann mit hoher Stimme.
„Nein, eigentlich nicht, ich glaube nicht, dass sie mich ohne Grund überfallen, und ich gedenke ihnen keinen Grund zu geben. Und sollte ich wirklich in einen Überfall verwickelt werden, seht, ich habe starke Arme und kräftige Schultern.“
Den ganzen Abend über und mit allen Menschen, denen er auf dem Empfang begegnete, wurde Moses nach seiner Neugier nach den Hebräern gefragt, immer hörte er die gleichen Meinungen, die Hebräer seien von Natur aus faul, kriminell und nicht in die ägyptische Gesellschaft einzugliedern. Halfa verstieg sich sogar zu der Meinung, der Hebräer an sich sei krank, mindestens die Hälfte von ihnen