Moses, der Wanderer. Friedrich von Bonin
und erschrak. Sowohl der Stimme nach als auch der gebeugten Gestalt nach war das ein alter Mann, aber das Gesicht und die Haut waren jung, der Mann konnte kaum älter als zwanzig Jahre sein, wirkte aber verbraucht, krank und zerlumpt.
„Höre, Hebräer“, Moses sprach nun selbst, „ich bin Ägypter aus Theben, von Pharao gesandt, um mich um die Bauten hier im Norden zu kümmern. Ich suche einen Hebräer, der in diesem Dorf leben soll, Amram geheißen, und seine Frau Jochebed, kannst du mir sagen, wo ich sie finde?“
„Von Pharo geschickt, welche Ehre", wieder die heisere Stimme und der Hebräer machte eine höhnische Verbeugung, „und du glaubst, wenn du Pharao sagst, verraten wir unsere Stammesgenossen? Nein, Ägypter, suche du deine Leute anderswo, aber nicht hier im Dorf.“
„Simon, hältst du wieder deine aufrührerischen Reden? Dein Vater sucht dich, geh nach Hause.“
Eine angenehme Frauenstimme kam aus der zweiten Hütte am Eingang des Dorfes und nun erschien in der Türöffnung eine ältere Frau, gebeugt, mit einem runzligen Gesicht, vielleicht vierzig Jahre alt und richtete den Blick ihrer klaren Augen fest auf Simon. „Immer führst du hier das große Wort, anstatt deinem Vater zu helfen, der nicht mehr allein für seine Nahrung sorgen kann. Geh, kümmere dich um deinen Vater, ich kann mich schon selbst beschützen.“
Zu Moses Erstaunen senkte Simon den Blick vor der Frau und ging langsamen Schrittes davon.
„Du suchst Amram, Fremder?“, richtete die Frau nun das Wort an Moses, der stumm stand und sie anblickte, „ich bin Jochebed, seine Frau, was willst du von meinem Mann?“
„Jochebed“, flüsterte Moses, noch immer in den Anblick der Frau versunken, „Jochebed“, und seine Augen belebten sich, „ich bin Moses, dein Sohn, aus Theben gekommen, um nach dir zu sehen.“
„Moses? Du bist Moses, den ich großgezogen habe, bis er fünf war und in den Palast Pharaos gerufen wurde? Moses“, fragte sie noch einmal und kam dann in die ausgebreiteten Arme Moses gelaufen, lief wie ein junges Mädchen, Tränen in den Augen und umschlang den jungen Mann, den sie als ihr damaliges Baby nicht wieder erkannte, so riesenhaft groß war er geworden und so standen sie, umarmten einander und hielten sich voneinander ab, um sich zu betrachten und fielen sich wieder in den Arm. Endlich löste sich Jochebed von ihrem Sohn und sah ihn an.
„Wie vornehm du geworden bist, in Leinen gekleidet, mit der Perücke, und sieh mich dagegen an, in Lumpen, ich bin arm, wir sind arm, Amram muss draußen bei den Ägyptern arbeiten, er wird erst heute Abend wieder kommen, aber bis dahin bist du mein Gast, komm in meine Hütte.“
„Erst lass mich diesem Reuben danken, der mich zu dir geführt hat, Reuben, hier hast du den versprochenen Lohn in Gold, aber hier ist noch ein Papyrus, den ich dir gebe, darin habe ich geschrieben, dass die Ägypter dir Schutz gewähren, wenn du Schutz brauchst, das kann dir helfen.“
Reuben bedankte sich überschwänglich. In dem bürokratischen Ägypten war ein Schutzbrief, den ein Edler ausgestellt hatte, unbezahlbar und so hatte Moses seinen Führer übermäßig bezahlt.
Moses folgte nun Jochebed in ihre Hütte, die ebenso armselig ausgestattet war wie die anderen, Stroh lag auf dem Boden, auf den sie sich setzten und der Becher, in dem Jochebed ihm Wasser bot, war aus einfachstem Ton gebrannt. Moses aber schien das Wasser wie der köstlichste Wein, immerzu sah er seine Pflegemutter an.
„Moses, mein Moses“, begann sie, „erzähle mir, wie ist es dir ergangen?“
Und Moses erzählte, wie er aufgewachsen war am Hofe, und wie ihn seine Kameraden nie als vollwertig anerkannt hatten, weil er zur Hälfte Hebräer sei.
„Wieso zur Hälfte Hebräer?“, fragte Jochebed erstaunt.
„Es geht das Gerücht, und in Theben gilt es als sicher, dass die Tochter des Pharao einen Hebräer verführt haben soll und ich die Frucht dieser Liebesnacht bin. Ich gelte daher als direkter Abkömmling Pharaos, aber eben nur zur Hälfte.“
„Was für ein Unsinn!“ rief die Frau aus und schlug die Hände zusammen, „ein vollkommener Unsinn. Willst du wissen, wo du herkommst, auch wenn deine Herkunft dann nicht mehr so edel ist?“
Moses nickte. „Deshalb bin ich hergekommen, um zu erfahren, wer ich bin“, sagte er nur.
„Hör zu, Moses, du bist mein Sohn und Amram, mein Mann, ist dein Vater.“
„Aber warum bin ich dann nicht bei dir geblieben?“, fragte Moses zurück.
„Das waren schwere Zeiten damals“, antwortete sie, „Wir Hebräer sind im Gegensatz zu den Ägyptern schon immer und auch jetzt noch sehr fruchtbar. Die ägyptischen Könige und vor allem dieser, der jetzt Pharao ist, Sethos, haben uns schon immer mit größtem Misstrauen beobachtet. Trotz der Sklavenarbeit, die wir hier tun müssen, haben wir uns immer mehr vermehrt. Ich wohnte damals mit Amram in Theben und Amram schuftete an der Baustelle für Pharaos Grab, als ich schwanger wurde. Pharao war ärgerlich und ängstlich, weil die Hebräer immer mehr wurden und befahl, dass alle neugeborenen hebräischen Jungen sofort nach der Geburt den Behörden ausgeliefert und dann ertränkt wurden. Was sollte ich tun? Ich verheimlichte also meine Schwangerschaft vor allen, auch den Hebräern, und als meine Zeit gekommen war, bist du geboren, Moses, mein Junge. Eigentlich hätte ich dich nach Pharaos Befehl den Behörden ausliefern sollen, aber ich hatte mir schon vorher vorgenommen, das sollte auf keinen Fall geschehen. Ich hatte einen Schilfkorb geflochten und den mit Pech abgedichtet, das Amram mir von der Baustelle mitgebracht hatte. Ich wusste, wann und wo Pharaos Tochter im Nil zu baden pflegte. Ihr wollte ich dich anvertrauen, sie war eine Frau, sie würde einem Neugeborenen nicht widerstehen können, so hatte ich überlegt.
Und so legte ich dich in den Schilfkorb und diesen zwischen die Papyruspflanzen, die am Nil da standen, wo die Königstochter baden ging. Ich versteckte mich in der Nähe und beobachtete, was geschah.
Tatsächlich, Pharaos Tochter Thermutis fand dich, sie zeigte dich ihren Gespielen und an ihren Freudenrufen erkannte ich, dass sie von dir bezaubert waren, wie ich das erwartet hatte. Thermutis nahm dich auf und reichte dich an eine Dienerin weiter.
Das nächste, was ich am Nachmittag hörte, war, dass am Hofe eine Amme gesucht wurde, also meldete ich mich und bekam dich so wieder in meine Obhut. Nun war alles gut und du warst gerettet.“
Moses hatte mit wachsender Spannung und atemlos zugehört.
„Dann bin ich also dein Sohn und nicht ein Königssohn?“ Seine Stimmung schwankte zwischen Enttäuschung, dass er nicht mit Pharao verwandt war und der Begeisterung, dass er nun seine wahre Herkunft kannte.
„Nein“, bestätigte Jochebed, „kein Königssohn.“
„Aber warum bin ich dann am Hof aufgewachsen und nicht bei dir geblieben?“, fragte Moses.
Eine Wolke der Trauer überschattete Jochebeds Gesicht.
„Wir lebten zufrieden zwei Jahre als kleine Familie, Amram, ich und du, unser Sohn. Nach zwei Jahren hob Pharao das Gebot auf, die hebräischen Jungen zu töten, er sah, dass dieser Befehl keinen Erfolg hatte, stattdessen wurden wir noch mehr zur Fronarbeit gezwungen. Schon mit vierzehn mussten die Jungen zur Arbeit, kaum einer wurde älter als dreißig, sie starben bei der Arbeit.
Nach drei Jahren bekam ich einen weiteren Sohn, Aaron, und drei Jahre später eine Tochter, Miriam, und wir lebten jetzt als eine kleine glückliche Familie, Eltern und drei Kinder, die Unterdrückung in Theben war nicht so grausam wie hier, in Pitom. Aber wir waren rechtlos und zu sorglos gewesen. Nach fünf Jahren klopften die Palastbeamten an unsere Tür und forderten unseren Erstgeborenen, dich, Moses, für die Pharaotochter heraus.
„Thermutis begehrt ihren Sohn zurück“, sagten sie, „damit er am Hofe aufwachse und in den Lehren der Ägypter unterrichtet werde.“
Was sollten wir tun? Einerseits wollten wir dich keinesfalls weggeben, konnten aber gegen die schwerbewaffneten Beamten nichts ausrichten. Und dann war es ja für dich eine große Chance, am Hofe unterrichtet zu werden. Wenigstens einer von uns würde Mitglied der Herrscherfamilie sein, und wer weiß, sagten