Moses, der Wanderer. Friedrich von Bonin

Moses, der Wanderer - Friedrich von Bonin


Скачать книгу
und im Irgendwo, ohne dass ein Ägypter den anderen fragte, woran er glaubte. Sie hatten nicht einmal ein Wort für Religion oder Frömmigkeit.

      Einig waren sie darin, dass die Regeln der Ma´at verbindlich seien, der Ma´at, die niemand zu beschreiben gewusst hätte, der Göttin, die unbeschrieben und ungeschrieben die Gesetze vorgab, nach denen man zu leben hatte, Regeln, die einfach die Summe aller Tugenden waren, die überhaupt menschenmöglich waren.

      Und so hätte Moses, wenn man ihn gefragt hätte, keine Antwort zu geben gewusst, woran und an wen er eigentlich glaubte, aber geantwortet, er lebe nach den Regeln der Ma´at. Frömmigkeit äußerte sich damals unter den Menschen in den Festen der Götter, und wer die Götter liebte, besuchte ihre Feste, die Anhänger reisten weite Strecken, um zu dieser Art der Gottesverehrung zu kommen und Moses feierte die Feste der Götter mit den andere Ägyptern, er huldigte dem Pharao, dem Gott, der gleichzeitig außer Gott auch König und Mensch war und grübelte, ein typischer Ägypter, nicht weiter darüber nach.

      Nur finsterer sah er in die Welt als der Durchschnitt der Ägypter, schon in jungen Jahren zogen sich schwarze, dichte Brauen über seinen schwarzen Augen zusammen, wenn er grübelte, und in diesen Tagen, den letzten der Herrschaft Sethos, grübelte er mehr als früher.

      Am Hof solle er bleiben, hatte ihm Sethos befohlen, seine Studien abschließen, lernen, was alle Mitglieder des Hofes zu lernen hatten, und mochte auch Moses immer und immer wieder bei seiner ägyptischen Mutter, der Tochter des Pharao, Thermutis, vorsprechen und sie bitten, Sethos möge ihn doch wieder nach Norden schicken, nach Pitom, zu seinen Bauten, damit Moses sie beaufsichtigen konnte und berichten, Thermutis blieb fest in diesem einen Punkt. Nein, bedeutete sie ihrem Sohn, sie habe Pharao ein um das andere Mal gebeten, zornig sei er zuletzt geworden, ihr Vater, Pharao, und habe ihr verboten, erneut um die Sache zu bitten, die er ihr nun wiederholt abgeschlagen hatte. Thermutis wusste nicht, was ihren Sohn Moses, immerfort nach Norden trieb, sie wusste nur, er zog die Brauen zusammen und versank in brütenden Grübeleien, wenn sie ihm seinen Wunsch wieder abgeschlagen hatte. Thermutis hatte zwar erfahren, was Moses unter seinen Altersgenossen zu ertragen hatte, schätzte aber seine Leiden gering, war er doch schließlich als ihr Sohn und Enkel des Pharao sehr nahe am Thron und hatte für seine Zukunft alles Gute zu erhoffen. Was sie anging, Thermutis, die Tochter des Königs, wollte sie das Ihre zum Wohlergehen ihres Sohnes beitragen. Sie war sich sicher, ihren Einfluss auf Pharao auch zu behalten, wenn ihr Vater, Sethos, starb, verband sie doch mit ihrem Bruder Ramses ein ebenso inniges geschwisterliches Verhältnis, wie ihre Beziehung zu Chenar von Feindseligkeit geprägt war, Chenar hatte ihr den illegalen Sohn Moses nie verziehen. Thermutis und Moses hatten daher von Ramses das Beste, von Chenar nur Repressalien zu erwarten.

      2.

      Ein halbes Jahr lebte Moses in Theben, besuchte wieder die Schule des Acha und ließ sich von den Mitschülern, den jungen Edlen aus Theben, ob seiner Herkunft ärgern, er wurde achtzehn in diesen Tagen, er kannte zwar seinen Geburtstag nicht, Thermutis zählte ihm aber vor, wie oft die Fluten des Nil angestiegen waren, seit er geboren worden war, achtzehn Mal hatte der Strom Fruchtbarkeit gebracht. Seine Schulkameraden hatten nun, da er älter wurde, einen weiteren Grund, ihn zu ärgern: Während sie bartlos blieben, wuchs Moses ein schwarzer starker Bart, den er morgens und abends mit einem scharfen Messer entfernte, was aber nicht verhinderte, dass die Schatten auf Kinn und Oberlippe, die zurückblieben, von seinem starken Bartwuchs zeugten. Wiederholt gab dies den anderen Anlass, ihn auf seine Andersartigkeit hohnlachend anzusprechen und ihn als weiteres Zeichen seiner zweifelhaften Herkunft zu deuten. Mühsam hielt sich Moses nun zurück, verschloss sich aber immer mehr in sich selbst und unterhielt nicht einmal zu seinen ehemaligen Freunden auf der Schule Beziehungen mehr. Einsam, grüblerisch, die Brauen finster zusammengezogen, ging er durch seine Welt.

      Die wurde eines Tages in ihren Grundfesten erschüttert. Sethos war zur Sonne geworden, er war nach Westen gegangen, Osiris hatte ihn aufgenommen, Sethos war gestorben, der Gott war tot.

      Der Pharao ist tot, flüsterte die Menge auf der Straße, der Pharao ist tot, es lebe der Pharao. Und dreißig Tage lang herrschte in Theben eine Stille, die Menschen gingen auf Zehenspitzen, flüsterten nur noch miteinander, alle Feiern, alle fröhlichen Zusammenkünfte waren ausgesetzt. Und wie in Theben, so, wenn auch mit verminderter Stille, im ganzen Reich. Ägypten trauerte um seinen Gott, um die Sonne, der er war, um den Stier, der er war, dem sie das Licht verdankten und die Fülle und Überfülle des Wassers, dreißig Tage lang wurden die sterblichen Überreste vorbereitet für die lange Fahrt nach Westen, prächtig wurde der König einbalsamiert, gekleidet in seine reichsten Kleider, geschmückt mit seinem reichsten Schmuck, und dann durften ihn die Menschen besichtigen, drei Tage lang war ein Raum im Palast, in dem er aufgebahrt war, für die Menschen geöffnet, die ihn sehen wollten, die Abschied nehmen wollten von Gott, ihrem Herrscher, und drei Tage lang bildeten sich lange Schlangen von Menschen. Danach wurde er in feierlicher Prozession nach Westen gebracht, über den Strom, zu dem Grabmal, das er sich zehn Jahre hatte bauen lassen, und dort feierlich beigesetzt.

      Die Prozession kehrte zurück, Pharao war zu seiner letzten Reise aufgebrochen, und mit der Rückkehr erhob sich, als sie den Strom nach Osten überquerte, ein unendlicher Jubel unter den Menschen in Theben.

      „Pharao, es lebe Pharao, unser neuer König, Ramses, der Pharao, er lebe hoch“, sang es, jubelte es, schrie es, ein jeder rief es seinem Nachbarn zu, „Pharao Ramses ist unser König, Hoch, Ramses, der Pharao!“ Sie waren sicher, die Einwohner von Theben, dass ein neuer Gottkönig auch eine neue Zeit bringen werde, und eine neue Zeit konnte, musste besser sein als die alte, vergangene Zeit, die ja nicht eben schlecht gewesen war. So lautete ihr unverbrüchlicher naiver Glaube, und wiederum dreißig Tage lang feierten sie die Krönung ihres neuen Königs, in Theben zuerst, und dann im ganzen Reich, in das ein Echo der Festlichkeiten aus Theben drang, je näher, desto stärker, und sich mit zunehmender Entfernung vermindernd. Aber in alle Ecken drang die Hoffnung und der feste Glaube, nun werde sich alles ändern, und viel davon zum Guten.

      3.

      Für Moses änderte sich zunächst nicht viel und dennoch alles: der neue König erlaubte ihm, die Schule der Edlen zu verlassen, von Acha verabschiedete sich Moses lange und gerührt, er war ihm dankbar, Acha hatte ihn alles gelehrt, was er für das Leben eines ägyptischen Edlen wissen musste. Von den Zwängen des Lernens befreit, blieb Moses zunächst sich selbst überlassen, ein etwas über achtzehnjähriger junger Mann, der keine Aufgabe hatte, an der er seine Kräfte messen konnte. Desto mehr grübelte er über sich, seine Welt und seine Abkunft. Viel Zeit brachte er im Palast der Prinzessin zu, die er sein Leben lang bis vor Kurzem für seine Mutter gehalten hatte, Prinzessin Thermutis, die Schwester des Pharao, dem Thron sehr nahe. Thermutis residierte in einem prächtigen Gebäude in der Palastzone, direkt neben den königlichen Gemächern, und hier saß sie mit ihrem Sohn Moses in ihrem Arbeitszimmer, in dem sie zu schreiben pflegte, denn sie war gebildet, oder in dem sie Besucher empfing. Thermutis saß in einem bequemen Stuhl aus Ebenholz, in den wertvolle Intarsien aus Elfenbein eingearbeitet waren, neben ihrem Sekretär. Das Zimmer war überreichlich mit Blumen geschmückt, wie sie es liebte, mit Rosen vor allem, die sie in ihrem Garten züchtete, mit Lilien auch und der Duft dieser Blüten vermischte sich mit dem Duft der zahlreichen Lavendelblüten, die überall verstreut waren. Ihr zu Füßen saß Moses, sie waren in ihr Gespräch vertieft.

      „Aber warum sollte denn diese Frau behaupten, sie sei meine Mutter?“ fragte gerade Moses die Prinzessin.

      „Mein Sohn, das muss dir doch klar sein. Wenn du, ein vornehm erzogener Ägypter, ihr Sohn bist, wirst du dich einsetzen, erst für sie, dann für ihre Familie und dann für ihr Volk. Du weißt, Moses, wie du schon meinen Vater, den Pharao, erzürnt hast mit deinen ständigen Erinnerungen an die Hebräer und wie sehr sie unterdrückt seien. Siehst du, mit diesem Einsatz hat sie schon ihr Ziel erreicht.“

      Moses sah nachdenklich zu Boden. Thermutis war die einzige, mit der er über seine Zweifel an seiner Herkunft sprechen konnte.

      „Du bist also ganz sicher, dass du meine Mutter bist?“

      Über ihm erklang ein silbernes Lachen. Thermutis spielte von oben mit seinem Haar, das ihm dicht wuchs und das er hier, im Palast, ohne Perücke offen trug.

      „Natürlich


Скачать книгу