Moses, der Wanderer. Friedrich von Bonin
kommst du, edler Herr?“, fragte er und seine Stimme war heiser, der kriecherische und schmeichlerische Eindruck der Stimme wurde verstärkt dadurch, dass er sich zu verbeugen schien.
„Ich bin Moses und von Pharao geschickt, um ihm über den Fortgang der Arbeiten hier zu unterrichten“, Moses richtete sich innerlich auf und die Antwort fiel arroganter aus als er eigentlich wollte, so, wie ein ägyptischer Edler mit einem buckligen Hebräer eben üblicherweise redete.
„Ich suche in den Hebräerdörfern ein Ehepaar, sie heißen Amram und Jochebed, kennst du sie?“
Der Mund in dem hässlichen Gesicht des Hebräers verzog sich zu einem süßlichen Grinsen.
„Amram suchst du, edler Herr? Amram, lass mich nachdenken“, und der Hebräer legte seine Stirn in angestrengte Falten, um zu zeigen, wie sehr er nachdachte, „Ja, Amram kenne ich, er wohnt in einem der nächsten Dörfer dort drüben“, er machte eine unbestimmte Bewegung mit seinem schlenkernden Arm nach Osten, „du kannst sie von hier aus nicht sehen, aber ich kann dich hinbringen und mit Amram bekannt machen, was willst du denn von ihm?“ Neugierig sah ihn der Hebräer an.
„Was ich von ihm will, fragst du? Geht dich das wohl etwas an?“ Moses hob die Stimme, „wie heißt du, Mann? Soll ich dich an die Soldaten übergeben?“
Erschrocken verbeugte sich der Hebräer nun wirklich trotz seiner Behinderung sehr tief.
„Reuben heiße ich, Herr, und warum du Amram suchst, nein, das geht mich nichts an, wirklich, willst du, dass ich dich hinführe?“
Moses nickte. „Wie lange brauchen wir, um hin zu kommen?“
„Wohl zwei Stunden, wenn wir berücksichtigen, dass ich nicht so schnell gehen kann wie du.“
„Und hast du sonst nichts zu tun? Wieso kannst du hier an der Wasserstelle herumlungern und arbeitest nicht?“
„Herr, meine Arbeit würde wohl niemandem nutzen, ich bin schwach, ich kann kaum etwas tragen, gehen kann ich auch nicht, und so begleite ich manchmal Ägypter, wenn sie sich in den Dörfern meines Volkes nicht auskennen.“
„Gut, Reuben, dann wollen wir an der Wasserstelle etwas trinken und dann gehen wir los.“
Mittlerweile waren die Begleiter Moses herangekommen und sahen ihn mit dem Buckligen stehen und hörten, dass Moses mit ihm allein weiter gehen wollte. Die hebräischen Kundschafter nahmen das teilnahmslos hin, sie waren gewohnt, die Entscheidungen ihrer ägyptischen Herren zu akzeptieren, ohne nach Sinn und Verstand zu fragen, die Leibwächter, die Ptoma Moses mitgegeben hatte, protestierten.
„Allein willst du in das Hebräerdorf gehen, Herr?“, fragte der eine, „weißt du nicht, wie es dort zu geht? Schmutzig, krank sind sie, die Hebräer, du holst dir leicht eine Seuche in deren Dörfern, und dann sind sie ein Volk von Kriminellen, ein Menschenleben bedeutet ihnen nichts, wie leicht kann dir da etwas geschehen.“
„Sieh hier, dafür habe ich meine Arme“, Moses ließ die kräftigen Muskeln spielen, „und gegen Krankheit sind wir alle nicht gefeit, gegen eine solche Krankheit schützt mich auch eure Begleitung nicht. Aber hab Dank für deine Fürsorge, ich werde sie dem Gouverneur zu berichten wissen.“
Und mit einem Kopfnicken entließ Moses seine bisherigen Begleiter und wendete sich Reuben zu. „Komm, gehen wir“, sagte er nur und Reuben ging gehorsam voran.
Nachdem sie an der Wasserstelle ihren Durst gestillt und Moses einige Worte mit dem Befehlshaber der Ägypter gesprochen hatte, machten sie sich auf die Suche. Immer noch war es unerträglich heiß, aber Moses hatte seine Perücke mit Wasser getränkt, so dass er die erste Zeit etwas leichter ging.
Der Weg wurde jetzt zunehmend schlechter. Der Damm, auf dem er bisher geführt hatte, endete nach kurzer Zeit und nun bewegten sie sich auf einer weiten Ebene, die durch mageren Graswuchs gekennzeichnet war, Gras, das jetzt nur schütter und braun stand, weil es lange nicht vom Nilwasser getränkt war. Hochsommer war es und die Menschen warteten sehnsüchtig darauf, dass der Nil über seine Ufer trat, dann würden auch diese Pflanzen sich sehr schnell erholen und grün werden. Einige Male begegneten sie hebräischen Hirten, die kleine Herden von mageren Schafen hüteten, so mager, dass sie außer dem Fell und den Knochen aus Nichts zu bestehen schienen. Reuben sprach sie an, um ihnen seinen Weg und seinen Auftrag zu erklären. Voll Stolz erzählte er ihnen, er habe den Auftrag, diesen ägyptischen Edlen zu führen, wohin, dürfe er nicht sagen. Einmal kamen sie an einem verendeten Schaf vorbei, das die Hirten einfach hatten liegen lassen. Schon von weitem spürten sie den Verwesungsgestank und passierten den aufgedunsenen Kadaver, indem Moses sich ein Tuch vor den Mund hielt, das aber den Gestank nicht abhielt.
Nach mehr als einer Stunde kamen sie an eine Ansammlung von Hütten, vor denen hebräische Frauen gingen, saßen oder standen. Schon als sie sich näherten, kamen ihnen Scharen von Kindern entgegen, schreiend, quietschend und laufend, um zu sehen, wer da in ihr Dorf kam. Als sie Moses sahen, der aufrecht, gerade und vornehm hinter Reuben ging, verstummten sie, bildeten ein Spalier bis zu den ersten Hütten, die am Rande des Dorfes standen und betrachteten den Ankömmling neugierig, mit erschreckten Gesichtern. Noch nie hatten sie gesehen, wie ein ägyptischer Edler zu Fuß in ihr Dorf kam. Sonst kamen sie mit Streitwagen, in Hundertschaften, um die Hebräer für angebliche Verbrechen zu strafen oder um Arbeiter zu suchen, die geflüchtet waren.
Langsam und würdevoll schritt Moses auf das Dorf zu und sah die ängstlichen Gesichter der Kinder und die Feindseligkeit bei den Erwachsenen.
„Nun, Reuben, meinst du, dass Amram in diesem Dorf wohnt?“ fragte er seinen Begleiter
„Warte, ich frage eine von diesen Frauen hier, am besten bleibst du hier auf der Straße und ich gehe zu ihnen.“
Reuben ging auf eine Gruppe von Hebräern zu, die, in dunkle schmutzige Wollumhänge gekleidet, vor einer Hütte standen, zu ihnen herübersahen und tuschelten.
Moses sah sich um. Das Dorf enthielt ungefähr fünfundzwanzig dieser Hütten, primitiv errichtet, aus einem Gestell aus Palmenstämmen, und mit Wedeln von Palmen- und Papyrusblättern belegt. Sie waren auf dem blanken Boden errichtet, Moses schauderte, wenn er daran dachte, wie es hier aussehen würde, wenn der Nil kam. Überall auf dem Weg zwischen den Hütten lag Unrat herum, Abfälle von Lebensmitteln, auch magere Fleischreste, darüber Wolken von Ungeziefern, Mücken, dicke Fliegen, Wespen, Heuschrecken, brummend, summend durcheinander fliegend und sich dann wieder niederlassend. Ratten huschten über den Weg auf der Suche nach Nahrung und jetzt, wie Moses Blick von einer davonhuschenden Ratte angezogen war, die er verfolgte, glaubte er hinter einer Hütte das Gesicht eines jungen Mannes zu erblicken, der aber schnell zurückgezogen wurde, so schnell, dass Moses nicht sicher war, ob er den Hebräer gesehen hatte.
„Nein, Amram kennt hier niemand, Herr", meldete Reuben, der von seinen Erkundigungen zurückgekommen war, „aber die Frauen haben Angst um dich. Du siehst reich aus, in deinem vornehmen Leinenkleid, und gerade heute sind drei von einer hebräischen Jugendbande im Dorf, die von den Ägyptern gesucht werden. Sie haben sich zusammengetan, zwanzig junge Männer aus drei Dörfern, und überfallen kleine Gruppen von Ägyptern, um sie auszurauben. Du bist in Gefahr, Herr, lass uns lieber morgen weiter suchen.“
Moses überlegte. Eigentlich hatte er keine Furcht vor drei hebräischen Jugendlichen, aber er war allein und unbewaffnet und seine Kleidung konnte wohl eine Versuchung sein, ihn zu überfallen. Also stimmte er zu.
„Gut, Reuben, wir gehen zurück und setzten unsere Suche morgen fort. Bring mich jetzt zurück zu der Wasserstelle und morgen treffen wir uns dort zur gleichen Zeit.“
Reuben nickte und grinste kriecherisch.
„Herr, und meine Belohnung?“
„Sei nur ganz ruhig, wenn ich mit dir zufrieden bin, wirst du mit der Belohnung auch zufrieden sein.“
5.
Schwitzend, stinkend und frustriert kam Moses in den Palast des Gouverneurs zurück. Nichts hatte er erreicht, außer der Begegnung mit einem kriecherischen Hebräer und dem Anblick