Herz, Schmerz und Gänsehaut. Dieter Adam
Er gefiel ihr von Minute zu Minute besser. Ein humorvoller Mensch schien er zu sein. Seine Späße deuteten darauf hin. Viel leicht war es gar nicht so uninteressant, wenn er ihr noch ein wenig Gesellschaft leistete. Der Tag war viel zu schön, um ihn einsam und allein zu verbringen. Vielleicht war es sogar ein Wink des Schicksals, dass er ausgerechnet in ihrem Swimmingpool Schiffbruch erlitten hatte?
Meine Güte, wie sich das anhörte: "Im Swimmingpool Schiffbruch erlitten!"
Sie konnte, während sie ihn in ihr schnuckeliges Haus führte, ein belustigtes Lächeln nicht unterdrücken.
"Wie hübsch Sie sind, wenn Sie lächeln", sagte er. "Noch hübscher, meine ich damit. Es steht Ihnen auf jeden Fall besser als die finstere Miene, mit der Sie mich empfangen haben."
"Na also", erwiderte sie. "Werden Sie mal auf diese Weise überrascht. Sie würden dann bestimmt auch nicht sonderlich geistreich aus der Wäsche gucken."
"Die ja nicht vorhanden war", sagte er anzüglich, worüber sie bis zu den Haarspitzen errötete.
"Eben", brummte sie, ärgerlich über sich selbst, sich diese Schwäche mit dem Erröten zu leisten. "Als wohlerzogener Mensch hätten Sie sofort die Augen schließen und mich warnen müssen."
"Dafür war der Anblick viel zu reizvoll", sagte er.
Sie hatten inzwischen das Badezimmer erreicht, wo noch ein Morgenmantel Andys herumhing, den sie ihm nun, weil er etwa die gleiche Größe wie ihr Verflossener hatte, überreichte. Während er sich auszog und in Andys Morgenmantel einwickelte, begab sie sich in ihr Schlafzimmer und schlüpfte in einen Bikini. In der Diele begegneten sie sich wieder.
Im gleichen Moment hörte man den Fahrstuhl kommen, in dem man direkt bis zu ihrem Penthaus hinauffahren konnte. Den Schlüssel für die letzte Strecke vom obersten Stockwerk des Hochhauses bis zu ihrer Wohnung besaß allerdings nur sie.
"Und Andy hat noch einen", schoss es ihr in den Kopf.
"Los, küssen Sie mich!", forderte sie ihren ungebetenen Besucher, dessen Namen sie bis jetzt nicht einmal kannte, unvermittelt auf. "Machen Sie schon! Schnell, schnell!"
Der junge Mann verstand momentan zwar noch nicht, was sie damit bezweckte, ließ sich aber nicht zweimal bitten. Er nahm sie in seine Arme und küsste sie, wie sie schon lange nicht mehr geküsst worden war.
Und sie küsste ihn wieder.
Im gleichen Moment öffnete sich die Fahrstuhltür. Andy trat heraus und blieb wie vom Blitz getroffen stehen.
"Babsie!", rief er wütend. "So ist das also! Ich komme her, um mich mit dir auszusprechen und zu versöhnen, und du...."
Er sah ein, dass es wenig Sinn hatte, mit seinen Anschuldigungen fortzufahren, denn selbst Babsie war mittlerweile so sehr in ihre zärtliche Beschäftigung vertieft, dass sie völlig vergaß, weshalb sie sich überhaupt darauf eingelassen hatte, und es nur noch genoss.
Mit drei schnellen Schritten war Andy bei dem sich küssenden Pärchen, fasste Babsie unsanft an den Schultern und riss sie zurück.
"He, was soll das?", fuhr sie ihn unwirsch an.
"Das frage ich mich auch", sagte der junge Mann und schloss schnell den Morgenmantel, der sich beim Küssen vorne geöffnet hatte. "Hätten Sie nicht wenigstens anklopfen können?"
Andy unterließ es, ihm darauf eine Antwort zu geben, wieder holte statt dessen seine Ansprache, weshalb er gekommen war, und fügte abschließend noch ein paar unschöne Worte hinzu, die Babsie mächtig auf die Palme brachten.
"Ach, versöhnen wolltest du dich also mit mir?", rief sie höhnisch. "Woher wusstest du denn, ob ich mich überhaupt mit dir versöhnen will?"
"Ich hoffte es", entgegnete er etwas ruhiger. "Weil unser ganzer Streit nämlich auf einem gewaltigen Missverständnis beruhte."
"Auf einem Missverständnis?", lachte sie grimmig. "Was ich gesehen habe, war eindeutig. Eindeutiger geht es gar nicht mehr."
"Was soll ich dir jetzt noch mit Erklärungen kommen, da du dich offensichtlich schon anderweitig getröstet hast", sagte Andy mit umwölkter Stirn.
"Ja, sollte ich vielleicht die trauernde Witwe spielen?", zischte Babsie. "Das habe ich nun wirklich nicht nötig."
"Nein, das hat sie nun wirklich nicht nötig", bestätigte der Fremde.
"Halten Sie sich da gefälligst heraus", knurrte ihn Andy unfreundlich an, und zu Babsie gewandt fragte er: "Wer ist das überhaupt? Von hier ist er jedenfalls nicht. Ich habe ihn nämlich noch niemals gesehen."
"Mein Name ist Peter", stellte sich der junge Mann, dem Babsies Verlegenheit bezüglich der Unkenntnis über seine Person nicht entging, vor. "Peter Grammich."
"Glauben Sie, das interessiert mich die Bohne?", versetzte Andy.
"Sie fragten aber eben danach", stellte Peter überaus freundlich klar.
"Das war nur so dahergeschwätzt", brummte Andy, und zu Babsie sagte er: "Musstest du ihm ausgerechnet meinen Morgenmantel geben? Schläft er eventuell auch in meinem Pyjama?"
"Ich benutze sogar Ihr Rasierwasser", schwindelte Peter. "Es ist übrigens eine aufdringlich riechende Marke, passt aber irgendwie zu Ihnen."
"Werden Sie bloß nicht frech", drohte Andy. "Sonst fehlt Ihnen gleich ein Satz Ohren."
"Wem hier gleich ein Satz Ohren fehlen wird, wird sich noch herausstellen", fauchte Babsie ärgerlich. "Du dringst ungebeten in meine Wohnung ein und willst jetzt auch noch den starken Mann spielen? Wo sind wir denn? Sei bitte so gut und lebe wohl, sonst rufe ich die Polizei; denn was du hier tust, ist Hausfriedensbruch."
"Du musst mich nicht hinauswerfen", erwiderte Andy säuerlich,
"denn ich wollte eh gerade gehen. Gestattest du mir wenigstens, meine paar verbliebenen Sachen - darunter diesen Morgenmantel - mitzunehmen?"
"Natürlich gestatte ich dir das", fauchte Babsie. "Wenn du den Kram nicht abgeholt hättest, hätte ich ihn in die Mülltonne gesteckt. Ich möchte nämlich nichts mehr um mich haben, was mich eventuell an dich erinnern könnte."
"Vergessen Sie vor allen Dingen das Rasierwasser nicht", sagte Peter. "Es riecht wirklich scheußlich."
"Armleuchter", knirschte Andy. "Los, ziehen Sie endlich meinen Morgenmantel aus."
"Aber ich habe nichts an darunter", widersprach Peter.
"Das ist mir völlig gleichgültig", knirschte Andy. "Ziehen Sie ihn aus - und zwar sofort."
"Darf ich mir wenigstens ein Handtuch umhängen?"
"Welche Umstände", höhnte Andy. "Als ob Babsie Sie noch nie nackt gesehen hätte; wo ich Sie doch offensichtlich gerade beim schönsten aller Spielchen gestört habe."
"Beim allerschönsten", sagte Peter, begab sich ins Badezimmer und tauschte den Morgenmantel gegen ein Handtuch aus, das er sich wie ein Hulamädchen um die Hüften wickelte.
"Süß", kicherte Babsie, als er damit aus dem Bad kam. "Man fühlt sich fast nach Hawaii versetzt. Fehlen bloß noch die Blumenkränze und die entsprechende Musik."
"Aloha hé...", begann Peter leise zu singen und sich dabei in den Hüften zu wiegen, "...mein Herz tut weh, weil ich dich, Babsie, nicht mehr nackig seh...hee...hee...heeee....!"
Babsie errötete bis zu den Haarwurzeln und drohte ihm gespielt streng mit dem Finger.
Unterdessen hatte Andy seine Sachen zusammengesucht. Er ließ sich von Babsie eine Plastiktüte geben und verstaute alles darin. Den Morgenmantel hängte er sich über den Arm.
"Das war`s", sagte er. "Ich gehe jetzt. Und es hätte mit uns wieder alles so schön sein können."
"Wenn der Hund nicht hätte....", entgegnete Babsie frostig. "Zieh endlich Leine, du Westentaschencasanova. Tanja brauchst du übrigens nicht von mir zu grüßen,