Herz, Schmerz und Gänsehaut. Dieter Adam
mit dir erleben."
Andy knallte den Schlüssel auf die Flurgarderobe, murmelte sich etwas Unverständliches in den Bart und trat über den Aufzug den Rückzug an.
"So, den wäre ich los", atmete Babsie auf. "Vielen Dank, dass Sie so nett mitgespielt haben."
"Es war mir nicht nur eine Ehre, Ihnen helfen zu können", grinste Peter, "es war mir sogar ein Vergnügen. Hat eventuell noch ein früherer Verehrer von Ihnen einen Aufzugschlüssel?"
"Nein, warum?"
"Nun", lächelte Peter, "vielleicht bekäme ich dann wieder die einmalige Gelegenheit, Sie küssen zu dürfen."
"Muss dazu denn unbedingt einer mit dem Aufzug kommen?", fragte Babsie leise und trat einen Schritt auf ihn zu.
"Nein", schmunzelte Peter, betrachtete ihre Worte als Einladung und setzte das mit ihr fort, bei dem Andy sie gestört hatte.----
"Wenn Otto repariert ist", sagte Peter später, als sie im Bett eine Zigarette rauchten, "lade ich dich ein, mit mir in den Himmel zu schweben."
"Dort war ich doch gerade", erwiderte sie glücklich. "Im sie-
benten Himmel nämlich."
DIE GRAUE MAUS
nachdenkliche Weihnachtsgeschichte
erstmals in einer hessischen Version in meinem Buch
HESSISCHES ADVENTSKALLENNER BUCH
Mundartverlag Naumann, Hanau
erschienen
"Ich hätte gerne eine neue Mami", sagte der siebenjährige Andreas zu seinem Vater, als dieser ihn fragte, was er sich denn zu Weihnachten wünsche. "Alle Kinder in meiner Klasse haben eine, bloß ich nicht, weil meine ja vor ein paar Jahren gestorben ist. Deshalb hätte ich gern eine neue."
"Tja, mein Sohn", seufzte Hans Tönnissen, der geplagte Vater und kratzte sich verlegen am Kopf. "Mamis gibts nun mal nicht zu kaufen wie all die anderen Weihnachtsgeschenke. Man kann in keinen Laden gehen und den Verkäufer bitten: 'Zeigen Sie mir mal, was Sie so an Mamis auf Lager haben. Mein Herr Sohn wünscht sich nämlich eine.' Das geht nun mal leider nicht."
´ "Das weiß ich auch", erwiderte das Kind. "Damit ich eine Mami kriege, müsstest du dich in eine Frau verlieben und sie heiraten. Warum tust du es nicht?"
"Weil mir die Richtige einfach noch nicht über den Weg gelaufen ist", sagte Hans.
"Eine Mami wie Mami, nicht?", fragte der Bub leise.
"Genau", bestätigte der Vater. "Ich habe deine Mami sehr lieb gehabt. Deshalb wollte ich eigentlich auch nie mehr heiraten."
"Aber ein Mann in deinem Alter braucht eine Frau", meinte der Bub altklug, "und ich eine Mutter. Das sagt Frau Huber fast jeden Tag."
Frau Huber war eine ältere, lebenserfahrene Nachbarin, die Vater und Sohn nach dem frühen Tod Karin Tönnissens den Haushalt führte und sich auch um den Jungen kümmerte, wenn Hans seiner Arbeit als Bankkaufmann nachgehen musste. Der Fünfunddreißigjährige musste sich ihre Meinung bezüglich seines Privatlebens öfters anhören, und sie stimmte mit der seinen nicht immer hundertprozentig überein.
"Die Frau Huber soll mich kreuzweise....." Hans verkniff sich, was er eigentlich hatte sagen wollen und fügte statt dessen brummig hinzu: "Ich kann mir schließlich keine Frau aus den Rippen schneiden. Deshalb solltest du dir besser ein paar andere Weihnachtsgeschenke überlegen, mit denen ich dir eine Freude bereiten könnte."
"Ich will aber nichts außer eine neuen Mama", sagte der Bub störrisch. "Wenn ich Heiligabend keine kriege, bin ich böse mit dir und werde nie mehr etwas mit dir reden. Und alle anderen Geschenke kannst du dir an den Hut stecken. Nicht einmal anschauen werde ich sie mir. Und wenn es ein neuer Gameboy wäre."
Mit dieser Drohung konnte Andreas seinen Vater zwar nicht sonderlich beeindrucken, da es an Heiligabend vermutlich doch ganz anders kommen würde, aber seine Gedanken machte er sich dennoch darüber.
"Na schön", überlegte er, "dann werde ich ihm an Heiligabend eben eine Mami präsentieren; und zwar eine, von der er sich wünscht, dass sie möglichst schnell wieder verschwindet."
In den nächsten Tagen schaute er sich in seinem Bekanntenkreis um, wer als vermeintliche Mami in Frage kommen könnte. Viel Auswahl hatte er nicht, denn die meisten Frauen waren in festen Händen oder anderweitig familiär gebunden, so dass sie an Heiligabend sicher nicht abkömmlich waren. Es blieb bei seinem vorsichtigen Nachforschen letztlich nur ein alleinstehendes Fräulein aus der Kreditabteilung seiner Bank übrig, das von allen Kollegen wegen seiner unscheinbaren Art sich zu kleiden und zurechtzumachen nur die graue Maus genannt wurde.
Angela Lohwein mochte Ende Zwanzig, Anfang Dreißig sein, wirkte vom Aussehen her wie das berühmte Fräulein Rottenmaier aus dem Kinderbuch Heidi und hatte - wie alle vermuteten - bestimmt noch nie eines Mannes Herz betören können.
An diese graue Maus pirschte sich Hans also nun heran, schüttelte sich innerlich, als er sich diese Frau zwecks zärtlicher Umarmung in seinem Bett vorstellte, und benötigte fast einen ganzen Tag, bis er endlich den Mut aufbrachte, sie auf seinen gewagten Wunsch anzusprechen.
"Haben Sie an Heiligabend schon etwas vor?", frage er sie schließlich.
"Warum?", erwiderte sie.
"Weil... weil ich Sie gerne einladen möchte", brachte er stotternd heraus und bereute im gleichen Moment seinen Entschluss schon wieder, diese Einladung überhaupt ausgesprochen zu haben.
"Sie wollen mich wohl veräppeln?", sagte Angela unwillig. "Finden Sie es nicht unter Ihrer Würde, sich solche zweifelhaften Scherze auf Kosten anderer Leute zu erlauben? Ich hatte Sie eigentlich anders eingeschätzt, Herr Tönnissen. Ganz anders."
"Es war kein Scherz, Fräulein Lohwein", versicherte Hans und erklärte ihr, worum es ihm bei der ganzen Sache ging.
"Ich soll Ihren Sohn also davon abschrecken, sich weiterhin eine neue Mutter zu wünschen?", resümierte Angela bitter. "Finden Sie nicht selbst, dass es fast schon eine Frechheit ist, was Sie mir da zumuten wollen?"
"Ja", räumte Hans überaus verlegen ein. "Eine Zumutung ist es schon. Aber ich wusste mir nun mal keinen anderen Rat mehr, als Sie darum zu bitten. Sie sind die einzige, von der ich weiß, dass es niemanden gibt, um den Sie sich an Heiligabend kümmern müssen."
"...und von der Sie sicher sind, dass Ihr Sohn sie nicht als neue Mami akzeptieren würde", spann Angela den Faden traurig weiter. "Wer möchte schon eine graue Maus zur Mutter haben, nicht wahr?"
"Aber das hat doch damit gar nichts zu tun", log Hans.
"O doch", sagte Angela. "Es hat sehr viel damit zu tun. Trotzdem werde ich kommen. Und es ist sogar ein wenig Egoismus dabei: Wenigstens einmal in meinem Leben möchte ich die Illu-sion haben, zu einer Familie zu gehören."
Hans bedankte sich wortreich, versprach ihr, alles zu tun, damit sie ihren Entschluss nicht bereuen müsste, und sah dem Heiligabend mit den gemischtesten Gefühlen und dem schlechtesten Gewissen der Welt entgegen.
"Und diese Frau will wirklich meine neue Mami werden?", fragte Andreas immer wieder, nachdem sein Vater ihm mitgeteilt hat-te, dass am Heiligabend mit weiblichem Besuch zu rechnen wäre.
"Möglich wäre es", schwindelte Hans. "Natürlich musst du sie erst genau unter die Lupe nehmen. Wenn sie dir nicht gefällt..."
"Sie wird mir schon gefallen", meinte Andreas zuversichtlich. "Dir gefällt sie schließlich auch."
Eben nicht, dachte Hans bedrückt. Was für ein fieser Kerl ich bin! Aber ich tu es doch nur Karins wegen. Nach ihr soll es keine andere Frau mehr für mich geben, habe ich mir geschworen. Darf ich deshalb aber mit den Gefühlen einer anderen spielen? Ob ich die Sache nicht