Blood-Lady. Mandy Hopka
er tun oder sagen sollte und stand einfach nur hinter mir. Sprachlos und stumm, wie all die anderen im Raum, die mich beobachteten. Ich hob meine andere Hand zu ihrem Gesicht und schloss mit meinen Fingern ihre Augen, die so leer und trübe wirkten, als wäre ihre Seele längst woanders. Tränen rannen meine Wange entlang. Tränen für sie, die Mutter niemals sehen würde. „Es tut mir so leid“, sagte Marvin mit leiser Stimme. Ich schaute ihn an und wand meine Blicke von meiner toten Mutter ab. Ich entdeckte noch mehr Blut an den Wänden und rieb mir die Augen, um die Tränen los zu werden, die mir die Sicht erschwerten. „Die Zeit beginnt … Die BloodRebellion wird kommen?“, stand - wohl mit dem Blut meiner Mutter, an der Wand. Was hatte das zu bedeuten? Hatten sich Damian’ Feinde nun tatsächlich auch gegen uns gestellt? Kam nun ihr Hass zum Vorschein, der sich über all die Jahre der Herrschaft des Ministeriums angestaut hatte? „Wieso … Wieso habt ihr nichts getan verdammt!“, schrie ich in meiner Verzweiflung zu den Menschen, die mich mitleidig ansahen. „Amy, sie haben uns überfallen und wahrscheinlich alles haargenau geplant. Wir wurden überrascht und hatten überhaupt keine Chance“, erklärte Marvin behutsam. Von den anderen Fightern, getraute sich wohl keiner mehr etwas zusagen. „Keine Chance? Wir sind das Ministerium! Wir müssen doch vor so etwas gewappnet gewesen sein! Das so etwas Mal passieren würde, war doch klar!“, sagte ich nach Worten ringend. „Gerade jetzt, wo meine Mutter bereits angekündigt hatte, dass sich unter den Vampiren was zusammenbraut!“ Ich wischte mir erneut die Tränen aus meinem Gesicht, bis ich bemerkte, dass das Blut meiner Mutter noch immer an meinen Händen klebte und sich wohl nun auch in meinem Gesicht befand. Schockiert wich ich von ihr und stürzte dabei fast über den anderen Stuhl. „Nein“, wimmerte ich und schluckte, um mich nicht übergeben zu müssen. Marvin wollte mich in die Arme nehmen. „Lass mich!“, entgegnete ich stattdessen und entriss mich ihm erneut. Ich konnte hier nicht länger bleiben und Sie anstarren. Darauf hoffend, dass Sie ihre Augen aufschlagen und nach Luft schnappen würde. Das dieses Blut einfach nicht das ihre war. Das ich mich bei ihr entschuldigen konnte, wir Zeit hatten. Zeit, um zu reden, zu lachen. Zeit, die ich verspielt hatte und das nur, weil ich zu stur gewesen war, ihr zu vergeben. „Ich verstehe es nicht. Das hätte man doch verhindern können!" War sich das Ministerium wirklich so sicher gewesen, dass es die Vampire so unter Kontrolle hatte? Dass Sie niemals einen Anschlag planen würden und sich damit getrauten, sich gegen uns zu stellen? Hatten wir einfach zu viel Vertrauen in unsere Macht gehabt?
„Damian! Er musste davon gewusst haben! Hätte er meine Mutter nicht für seine Zwecke benutzt, dann hätte Sie schon viel früher reagiert und dann wäre das alles hier nicht passiert!“ Zielgerichtet durchquerte ich den Raum und verschwand wieder im Fahrstuhl. „Amy, bitte warte doch.“ Marvin quetschte sich durch die Tür, die hinter ihm zusprang. „Du kannst doch jetzt nicht einfach bei ihm reinplatzen, er ist immer noch ein Reinblüter! Und überhaupt, wie kommst du darauf, dass er etwas damit zu tun hat! Die BloodRebellion ist das Ergebnis aus der Gruppe, die sich gegen uns und ihn gestellt haben, oder nicht?“ Ich hörte ihm nicht zu, für mich war es klar. Eben da er ein Reinblüter war, der alles wusste und der mit seinen komischen Augen vielleicht alles töten konnte, was ihm in die Quere kam, hätte er dies zumindest verhindern können! Wenn er meine Mutter nicht überredet hätte, noch ein paar Wochen zu warten, wäre Sie jetzt nicht tot. „Amy! Jetzt … verdammt noch mal!“ Er riss mich an meinem Arm zu ihm herum und ich schaute ihm in seine Augen. Sie waren glasig und er wirkte verzweifelt. So verzweifelt, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte. „Sie ist tot! Und er ist der Falsche, an dem du Rache üben willst! Er ist gefährlich!“ Seine Worte fühlten sich wie ein eiskaltes Messer an, welches er mir in mein Herz rammte und das daraufhin reglos in meiner Brust verharrte.
Sie ist tot.
Nein! Niemals! „Du unterschätzt mich!“, entgegnete ich aufgebracht und entriss mich abermals seinem Griff.
Im Eingang trafen wir auf Nicki, die von ein paar Rettungssanitätern beruhigt wurde. „Nein, das kann nicht sein! Das ist eine Verwechslung ganz sicher“, konnte ich Sie vor Verzweiflung schreien hören. Unsere Augen trafen sich und Sie rannte zu mir hinüber. „Amy, sag ihnen, dass Tom noch da oben ist und mithilft! Er kann nicht tot sein!“ Sie schrie so verzweifelt, dass ich Sie einfach ignorierte. „AMY!“, rief Sie mir panisch nach, bevor ihre Stimme versagte und Sie zu Boden ging. Ich schloss die Augen, als ich die letzten Meter zur Eingangstür ging. Ich konnte mich unmöglich auch noch ihrer Trauer annehmen.
Was geschah hier gerade? Das war ein einziger Albtraum und ich würde sicherlich jeden Moment aufwachen!
Mittlerweile waren viele Mitarbeiter Vorort. Viele vergossen bittere Tränen, schlugen und traten um sich. Kämpften mit den Leuten, die sie beruhigen wollten. Sie konnten wahrscheinlich genau wie ich nicht wahr haben, dass der Mensch den sie liebten, tot war. Überall liefen aufgewühlte und panische Menschen und Rettungskräfte umher.
Ich ging zu meinem Auto und Marvin passte mich ab. Er öffnete die Fahrertür und setzte sich ans Steuer. „Was soll das!“, schrie ich ihn an. „Steig aus!“
„Du kannst in deinem Zustand nicht fahren! Wenn ich dich schon nicht von diesem Irrsinn abhalten kann, dann werde ich dich zumindest sicher dort hinbringen!“ Ich wäre verwundert gewesen, über seine plötzlich dominante Haltung, war er doch sonst immer recht unentschlossen und kleinlaut. Aber im Augenblick hatte ich andere Sorgen. So gab ich nach und lotste ihn zu Damian’ Grundstück. Mir war es egal, solange ich endlich eine Erklärung, einen Schuldigen für das alles bekam. Auch wenn mir bewusst war, dass es mir meine Mutter und die Zeit, die wir miteinander haben könnten, nicht zurückgeben würde.
***
Die Wolken verzogen sich langsam und auch der Regen schien sich zu beruhigen. Es war bereits so spät in der Nacht, dass es sich schon fast nicht mehr lohnte zu schlafen. Das Gefühl, etwas verloren zuhaben verschwand einfach nicht mehr. Es machte mich rasend. Wütend, auf mich selbst. „Hatte ich mich so sehr verändert?“, oder hatte ich mich ändern wollen? Hatte ich damals versucht, mein Leben neu zu ordnen, nachdem Amy in mein Leben getreten war? Hatte ich etwa Hoffnungen gehabt? Aber wenn, dann was erhoffte ich mir aus ihr oder uns? Wieso bedeutete sie mir überhaupt so viel? Was war es, dass mich seit unserem ersten Aufeinandertreffen so an Sie band, dass ich keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen konnte, seitdem ich Sie versuchte, aus meinem Leben zu verbannen? Diese Fragen, die ich mir schon immer stellte, nachdem ich Sie getroffen hatte und von denen ich wusste, dass auch Sie sich diese stellte, nahmen einfach kein Ende. Ich schaute in den Raum zurück. Vielleicht hatte ich damals ja wirklich überreagiert aber ich konnte nicht anders. Annabell hatte meine Befehle missachtet und noch dazu versucht, mir Sie zu nehmen. Sie. Die erste Person, die ich in meinem Leben liebte. Von der ich wollte, dass Sie ihr Leben lang an meiner Seite blieb. Sie zu verlieren war das Letzte, was ich gewollt hatte und nun hatte ich es mir selbst zuzuschreiben. Aber ich war nun mal ein Reinblüter und ich durfte meine Autorität nicht verlieren. Auf gar keinen Fall! Nicht einmal für Sie würde ich mich so ändern, mich und das, was ich war, so verleugnen. Blut stieg in meine Nase, gefolgt von Schritten und Stimmen. Der bittere Geruch von altem Blut mischte sich mit dem pulsierenden und flüssigen Blut jener Person, nach der ich mich so verzehrte. Schneller als angenommen sah ich Sie wieder - jedoch nicht so, wie ich es mir gewünscht hatte. Die Tür wurde aufgerissen und ich glitt verwundert von meiner Fensterbank herunter. Ihr Anblick zerriss mein Herz in tausend Stücke. Tränen unterlaufene Augen, rote Wangen, voller widerlich, altem Blut. Ihr Ausdruck kummervoll, verzweifelt aber vor allem wütend. „Von wem ist das ganze Blut?“, fragte ich durcheinander und ging ihr entgegen, bis Sie überraschend versuchte mich zu schlagen. Ihre Hände waren so blutverschmiert wie ihr Gesicht und selbst an ihrer Kleidung haftete dieser widerliche Gestank. Irgendwo hatte ich diese bittere Note schon einmal wahrgenommen. Nur von wem? Ihre Augen, in denen mehr Verachtung als Wut funkelte, hafteten auf den meinen, als würde Sie mich damit umbringen können. Ich fing den Arm in der Luft ab und Sie schlug mit der anderen, die Sie nun zur Faust geballt hatte, gegen meinen Oberkörper. Woher auch immer diese Wut auf mich kam, ich ließ Sie gewähren, solange sich Amy damit besser fühlte, wenn Sie diese an mir ausließ. Sie zitterte ohnehin wie Espenlaub, sodass in den Fausthieben die auf meinen Oberkörper gerichtet waren, nur wenig Kraft dahintersteckte. „Du Arschloch! Warum hast du nichts getan und stattdessen dabei zugesehen!“, schrie Sie mich an, schubste mich zurück und ging schlussendlich wieder auf Abstand.