Ein philosophischer Streifzug durch die Jahrtausende. Markus Orians
Welches Denken bestimmt uns unbewusst noch heute? Ist dies wirklich mein Denken? Um den Antworten dieser Fragen näher zu kommen, ist es mir auch wichtig, die Entwicklung unseres Bewusstseins, unserer Bewusst-seinsebenen darzustellen. Woher kommt z.B. unser magisches Denken? Wie kommt es, dass der Harry Potter-Zyklus, die Geschichte eines Zauberlehrlings nicht nur Millionen Jugend-liche, sondern genauso Erwachsene auf der ganzen Welt begeistert? Wie kommt es, dass wir uns so weit außerhalb der Natur wähnen, dass Konzernlenker und Brooker die Natur nur noch unter dem Horizont des Geldes mit „Geldaugen“ sehen und sie deshalb derartig skru-pellos ausbeuten und zerstören können? Wie kommt es, dass ein geringer Teil der Menschheit, die Mehrheit der Menschen manipulieren und abhängig machen kann? Wie kommt es, dass die Gier nach Geld, so von uns Besitz nehmen kann?
Wie sie schon jetzt erkennen können, werde ich auf diesem „Streifzug“ immer wieder zu unserem Gesellschaftssystem auch kritisch Stellung nehmen. Philosophische Konzepte hin-terfragen, inwieweit sie uns zu mehr Gerechtigkeit, Gleichheit, Verantwortung und zu einem friedvolleren Umgang miteinander führen können. Wir brauchen die Tugenden als eine Art „Kompass“, um ein sinnvolles, verantwortetes Leben führen zu können. Ohne diesen Kom-pass ist man in dieser marktkonformen Demokratie in großer Gefahr, Ziele anzusteuern, in denen die Gier, der Machtmissbrauch, der Egoismus die Tugenden dominieren.
Wenn wir die technische Entwicklung der letzten Jahrhunderte betrachten dann können wir dank unserer Ratio eine kaum fassbare Entwicklung in den letzten Jahrhunderten wahrneh-men. Wenn jemand in meiner Jugendzeit die Funktionsmöglichkeiten eines I-Pad erklärt und behauptet hätte, dass dies 50 Jahre später ein Medium für die Mehrheit der Menschen in Deutschland wäre, man hätte ihn für ver- rückt erklärt. Nur wenig mehr als 100 Jahre nach den ersten Flugversuchen landen Menschen auf dem Mond. Kaum fassbar!
Wenn wir im krassen Gegensatz dazu unsere geistige, ethische Entwicklung betrachten? Können wir mit Sicherheit behaupten, dass wir uns hier überhaupt in den letzten Jahrhun-derten weiterentwickelt haben? Welche Auswirkungen diese Polarität der unterschiedlichen Entwicklung bedeutet, können wir an der Klimaerwärmung, Ausbeutung der Rohstoffe, am perversen Finanzwesen, an der globalen sozialen Ungerechtigkeit erkennen.
Was will ich mit diesem Buch erreichen?
Wenn wir immer deutlicher erkennen müssen, dass uns das weltweit verbreitete System des Kapitalismus keine Gerechtigkeit und Gleichheit bringen und den Menschen und die Natur zerstört, indem es die Menschheit in wenige Reiche und viele Arme spaltet und die Natur ausbeutet ohne die Zukunft kommender Gene-rationen zu berücksichtigen, dann müssen wir uns doch auch fragen lassen, warum wir in einem solchen System leben wollen und ob wir in einem solchen System leben wollen?
Wenn ich mir die Frage stelle, in welcher Gesellschaft ich leben will, dann muss ich auch Wissen über eventuell andere und gerechtere Systeme haben.
In alten und uralten philosophischen Systemen können wir andere Werte finden, die vielleicht eine sinnvolle Alternative zeigen. Die uns in eine gerechtere Welt führen können.
Mit diesem Nachschlagewerk möchte ich auch Menschen erreichen, die sich sonst wenig für Philosophie interessieren. Deshalb werde ich das übliche Dickicht der typischen Philosophensprache, so durchlässig wie möglich gestalten und deshalb alle speziellen Begriffe aus dem Text heraus erklären.
Deutlich machen, dass kein Philosoph ganz allein seine „Weisheiten“ und Ideen nur aus sich selbst heraus geschaffen hat. Jeder Philosoph steht mit seiner Lehre auf den Schultern vieler Vorgänger. So können wir Hegels Dialektik sowohl in der indischen als auch in der chinesischen Philosophie erkennen. Oder Schopenhauers Konzept über den Willen aus der buddhistischen Philosophie herauslesen. Selbst Kants „Kategorischen Imperativ“ finden wir schon bei Lao-Tse. Alle drei Philosophen kannten die Texte, die vor mehr als 2000 Jahren geschrieben wurden.
Immer wieder halte ich es auch für notwendig nicht nur die zum Teil großartigen Ideen der Philosophen herauszustellen, sondern auch ihre Verletzlichkeit, ihre Moral oder ihre Einsamkeit zu beschreiben.
Die Grundlage dieses Buches bilden einige philosophische Klassiker: Von Christoph Helferich „ Geschichte der Philosophie, von Hans Joachim Störig „ Kleine Weltgeschichte der Philoso-phie, von Wilhelm Weischedel „ Die philosophische Hintertreppe“ und von Edmund Jacoby „50 Klassiker“.
Das erste und letzte Kapitel befindet sich ähnlicher Form auch in „ Horizonte öffnen“.
1Entwicklung unseres Bewusstseins
1.1Drei grundsätzliche Fragen
Es ist anzunehmen, dass die Menschen schon immer die drei Fragen beantwortet haben wollten:
Wer sind wir?
woher kommen wir?
wohin gehen wir?
Wie weit sind wir mit unserem heutigen Wissen bisher bei den Antworten zu diesen Fragen gekommen? Wir haben vier Bewusstseinsbereiche im Laufe der Evolution entwickelt. Zuerst das Archaische, dann das Magische, dem folgend das Mythische und bis jetzt zuletzt das Rationale. Die meisten Menschen schätzen vor allem die Entwicklung des rationalen Be-wusstseins, denn sie hat uns mit der Entwicklung der Wissenschaften diesen materiellen Reichtum beschert. Außerdem gehen sie davon aus, dass es mit Abstand der wichtigste Bewusstseinsbereich ist. Die meisten Philosophen in den letzten 2500 Jahren haben dies ähnlich gesehen und die Vernunft über die Gefühle gesetzt. Zumeist ganz von den Gefühlen und der Intuition abgetrennt. Die theistischen Religionen haben sogar Gefühle, die sich vor allem im magischen und mythischen Bewusstseinsbereich entwickelt haben, für das See-lenheil als schädlich, sogar als teuflisch bezeichnet.
Der letzte gemeinsame Vorfahre von Menschen und Schimpansen lebte vor mehr als 7 Mil-lionen Jahren. Gut drei Millionen Jahre später ging der Vormensch auf zwei Beinen. „Lucy“, ein 3,2 Millionen altes Skelett ist hier die berühmteste Vertreterin davon. Schimpansen haben in jeder Zelle 99 % unserer Gene. Und jeder Mensch, gleichgültig, wo er lebt hat 99,9 % aller Gene von uns. Wir sollen immerhin 100 Billionen von ihnen haben.
Wir sind wahrscheinlich etwa vor 4 Milliarden Jahren aus einer Zelle aus dem Meer ent-standen. Alles Lebende was es gab und heute gibt, könnte von dieser einen Zelle abstam-men. Deswegen haben selbst Pilze 30 % unserer Gene. Daher kommt es, dass man unser heutiges Dasein, „jede einzelne Situation“ nur verstehen kann, weil zuvor jede einzelne Situation genauso geschah. Vom schlimmsten Erdbeben, über Meteoriteneinschläge, zum größten Vulkanausbruch, bis zum leisesten Windhauch und dem berühmten Sack Reis der in China irgendwann umgefallen sein soll. Nur so lässt sich jede einzelne Situation, der ich heute begegnen werde, erklären. Wenn der Sack Reis in China nicht umgefallen wäre, würde ich heute andere Situationen erleben. Alles wäre dann anders geworden, denn alles hängt miteinander zusammen. Alles ist wirklich voneinander abhängig, ist ein Ganzes. Deshalb kann man Situationen auch nicht wirklich verstehen, geschweige denn vorhersagen. Ist dann alles was geschieht reiner Zufall? So einfach ist das Weltgeschehen und die Erfahrungen meines eigenen Lebens auch wiederum nicht, weil ich selbst eine große Freiheit habe, wie ich mich entscheide und deshalb immer auch ein anderer werden kann. Alles lebt unter einem Horizont und trotzdem hat jeder einen einmaligen (auf die Zeit bezogen) und einen einzigartigen (auf den Ort bezogen) Horizont, den er erweitern aber auch verkleinern kann.
Der Homo erectus tauchte vor fast 2 Millionen Jahren auf. Der moderne Mensch, der Homo sapiens ging aus diesem hervor. In der Schule vor 50 Jahren lernte ich, dass sich der Mensch etwa vor einer Million Jahre entwickelte. Dies ist ein Beispiel, dass unser Wissen immer nur vorläufig ist. Weil das rationale Denken nicht in der Lage ist, die Vernetzung in der Natur zu erfassen und noch viel weniger die unendlichen Wechselwirkungen zwischen ihnen, haben die Forscher eine Methode entwickelt, die von einem oder mehreren Teilen auf das Ganze schließen lassen.