Himmel über der Maremma. Ursula Tintelnot
schmunzelte.
»Ich sehe in der Küche nach dem Rechten.« Madame erhob sich.
Fast neunzehn Uhr. Theresa hatte darum gebeten, trotz der anhaltenden Hitze, nicht zu spät zu essen.
Klaviertöne aus dem oberen Stockwerk des Seitenflügels mündeten in einem furiosen Crescendo. Madame erlaubte sich ein Lächeln. Ihre Kleine war wütend, wütend und unglücklich.
Amalia schlug den Deckel zu und drehte sich mit dem Hocker zu Maria.
»Ich hasse kichernde Blondinen auf hohen Stöckeln, Nonna.«
Damit hatte sie eine umfassende Beschreibung der neuesten Flamme ihres ältesten Enkels abgeliefert.
»Ach, ja? Und sie kichert?«
Maria betete um Fassung. In ihrer Wut wirkte das Mädchen vor ihr wie eine eifersüchtige Ehefrau, die ihren Ehemann mit der attraktiven Nachbarin in flagranti erwischt hatte. Amalia war eifersüchtig, das war keine Frage.
»Vielleicht ist sie ganz nett«, wagte Maria einzuwenden. »Wir sollten sie erst einmal kennenlernen.«
»Sie hat Locken, und sie ist geschminkt.«
Maria betrachtete Amalias Lockenpracht und konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. »Du hast auch Locken, mein Kind.«
»Ach, Nonna.«
Amalia setzte sich zu Ludwig und kraulte ihn zwischen den Ohren. Sie schien nachdenken. Plötzlich sprang sie auf. »Wir essen heute früher.«
Maria sah dem Kind hinterher, dessen Gefühle nicht mehr so ganz kindlich waren. Amalia hatte, als sie ging, so … entschlossen ausgesehen.
Amalia beeilte sich, huschte über die dunklen Flure des großen Hauses. Sie kannte jeden Winkel. Alle Läden waren geschlossen, auch die Lamellen, die an kühleren Tagen Lichtstreifen auf Böden und Decken schickten. In der Bibliothek tastete sie nach dem Lichtschalter. Ihr Ziel war der Schreibtisch. Auf dessen gewaltiger Marmorplatte standen zwei Bildschirme und ein Drucker. Papiere und farbige Ordner lagen in ordentlichen Stapeln an der Kante. Sie wusste, dass Maximilian eine große, sehr scharfe Papierschere in der mittleren Schublade aufbewahrte. Sie zog die schwere Lade auf, fand die Schere und lief in ihr Badezimmer. Von Madame war nichts zu sehen. Amalia schloss ab.
Theresa lehnte am Zaun der Koppel.
Sie hatte am Nachmittag Reitstunden gegeben. Stunden mit Schülern, die noch nie auf einem Pferd gesessen hatten, waren manchmal entnervend. Auch in der Halle brütete die Hitze. Jetzt wartete sie auf Marisa. Desdemonas Bein wollte nicht heilen.
Theresa dachte an Konstantin und sah erneut auf die Uhr. Er müsste längst angekommen sein. Sein erster Gang war immer der in den Stall und zu ihr. Ob er sich verspätet hatte?
Endlich hörte sie Marisas Stimme. »Du siehst angespannt aus« Ihre Freundin sah sie prüfend an.
»Bin ich auch. Schau dir Desdemonas Bein an, das macht mir Sorgen.« Sie sah wieder auf die Uhr.
»Erwartest du jemanden?«
»Konstantin wollte für ein paar Tage kommen. Aber er scheint noch nicht da zu sein.«
»Oben, vor dem Haus steht ein sauteures Coupé«, sagte Marisa.
»Er wollte mit seiner Freundin kommen, das wird ihres sein.«
Die Frauen gingen in den Stall. Die Tierärztin sprach beruhigend mit der Stute, während sie ihr den Verband abnahm und sich die Wunde besah.
»Nicht beunruhigend. Das wird schon«, sagte sie und zog eine Spritze auf. »Da sie nicht lahmt, kannst du sie bewegen.« Sie säuberte die Wunde und entnahm ihrem Alukoffer einen frischen Verband. »Fertig.« Sie strich Desdemona sanft über die Nüstern. »Braves Mädchen.«
»Willst du mit zum Abendessen kommen?«
Marisa lachte. »Nein, Süße, deine Familie ist mir heute zu anstrengend. Meine beiden Jüngsten wollen Pasta machen, die anderen sind mit ihren Vätern unterwegs. Mir steht ein ruhiger Abend bevor. Es sei denn, einer meiner tierischen Patienten braucht Hilfe.«
Wie unkompliziert Marisas Leben war. Ihre fünf Söhne und ihre fünf Männer verstanden sich prächtig. Wenn sie Hilfe brauchte, war einer ihrer Liebhaber immer zur Stelle und sorgte nicht nur für seinen, sondern für alle ihre Söhne.
Zusammen gingen sie zum Herrenhaus, wo Marisa ihr klappriges Auto neben einem Sportwagen geparkt hatte.
Theresa umarmte ihre Freundin. »Dann kommst du ein andermal. Konstantin bleibt ein paar Tage.«
»Mal sehen.« Marisa legte sich selten fest, ihr Beruf machte ihr allzu oft einen Strich durch die Rechnung.
Theresa ging an dem bereits gedeckten Tisch unter der Kastanie vorbei.
»Guten Abend, Alicia.«
»Guten Abend, Signora.«
Alicia half Maja in der Küche und hielt zusammen mit Kitty, dem zweiten Mädchen, das Haus sauber. Wenn Gäste da waren, halfen zusätzlich Frauen aus Basso. Alicia legte letzte Hand an den mit weißem Leinen gedeckten Tisch. In hohen Glaszylindern flackerten Kerzen.
Als sie das Haus betrat, hörte sie Maja in der Küche Kitty zur Eile antreiben. »Schlaf nicht ein, Mädchen. Die Signora will sicher heute noch essen.«
Theresa lächelte. Maja war nicht sehr geduldig, aber ihre Gerichte waren exzellent.
Sie lief die Treppe hinauf. Aus Fredericos Zimmer hörte sie laute Rapmusik, die sie keine Minute ertrug. Schnell schritt sie den langen Gang vorbei am Zimmer ihres Mannes, aus dem kein Laut drang. Sie vermutete ihn in der Bibliothek. Konstantins Räume lagen weiter hinten. Auch von dort war nichts zu hören.
Eine halbe Stunde später hatte sie sich in die elegante Frau verwandelt, die Frauen aufregte und Männer erregte.
Als sie die Treppe erreichte, hörte sie Konstantins Stimme. Sie verharrte, als sie ihren Namen hörte. Die helle, etwas kindliche Stimme einer Frau. Sie sah ihren Sohn mit einer hübschen Blondine unten in der Halle stehen. Für einen Moment musste sie die Augen schließen. Konstantins Ähnlichkeit mit seinem Vater war fast lächerlich. Selbst seine Bewegungen waren identisch.
»Sie wird dich mögen, du musst dir keine Sorgen machen.«
Theresa betrachtete die junge Frau.