Verfluchtes Erbe. T.D. Amrein
Sollte die doch hier versauern.
Im Restaurant hingen überall Bilder von Salzburg. Krüger hatte sich eine gewöhnliche Kleinstadt vorgestellt. Was er da zu sehen bekam, machte ihn ausgesprochen neugierig. Mozart überall. Reiche Fassaden, darüber die Burg auf dem Hügel. Malerische Flusslandschaften. Blumen, die komplizierte Muster bildeten. Plätze vollgestellt mit Tischen und Sonnenschirmen, wie im Süden.
Wenn er daran dachte, wie er hierhergekommen war. Ohne jeden Plan. Und trotzdem hatte er so viel Interessantes gefunden. Dieser Urlaub brachte viel mehr Abwechslung, als er jemals für möglich gehalten hatte.
Leise Zweifel an seinem bisherigen Leben tauchten auf.
Immer war die Arbeit das einzig wirklich Wichtige für ihn gewesen.
Ausgenommen blieb höchstens die Zeit mit Nadja. Aber auch nur am Anfang der Beziehung, um ehrlich zu sein.
Wenn ich eine Neue finde, dann werde ich das nie mehr vergessen, nahm er sich fest vor.
Zurück in seinem Bungalow zog er sich nur rasch um. So bald wie möglich wollte er in die Stadt. Zu Fuß. Obwohl er keine Ahnung hatte, wie weit entfernt das Zentrum lag. Er hatte ja Zeit. Schlimmstenfalls konnte er immer noch den Bus nehmen, sagte er sich. Zufrieden mit der Welt schlenderte er durch die Reihen der Parzellen, nicht ohne da und dort einen Blick zu riskieren. Es roch überall nach Grill. Liegestühle, gepflegter Müßiggang.
Bis er an einem ansonsten leeren Platz vorbeikam, wo eine Frau allein ein Zelt aufzustellen versuchte.
Sie stand völlig verschwitzt da. Die weiße Bluse bedeckt mit dunklen Flecken. Wirre Locken hingen ihr ins Gesicht.
Krüger musste sich beherrschen, um nicht laut loszulachen. „Kann ich helfen?“, fragte er freundlich.
„Das schaffe ich schon!“, erhielt er zur Antwort. Sie klang nicht besonders nett.
Krüger blieb trotzdem stehen. Endlich schien es so weit. Kurz zeigte das Zelt seine Form, bevor es wieder in sich zusammensackte.
Das war nun doch zu viel. Sie ließ sich auf den unförmigen Haufen sinken. Den Tränen nahe, wie sich unschwer erkennen ließ.
„Warum lassen Sie sich denn nicht helfen“, fragte Krüger. „Machen Sie mir doch die Freude.“
„Damit Sie mir zeigen können, wie man so etwas macht!“ Krüger stutzte. „Ich habe keine Ahnung von Zelten. Ich sehe nur, dass es allein schwer ist“, antwortete er.
Sie stand wieder auf. „Also gut. Halten Sie hier fest!“ Krüger übernahm die Ecke des Zelts, die sie ihm entgegenstreckte. Sie hob die andere Seite an, zog jedoch so stark, dass ihm seine Hälfte durch die Finger glitt. „Sie haben ja wirklich keine Ahnung“, stellte sie trocken fest.
„Habe ich Ihnen ja gesagt“, brummte Krüger.
„Ich hab’s Ihnen aber nicht geglaubt“, gab sie zurück.
Die Szene begleitete Krüger auf seinem ganzen Weg in die Stadt. Schon nach zwei Minuten war das Zelt soweit aufgestellt gewesen, dass sie darauf bestand, allein weiter zu machen.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie nur das Zelt und einige Kisten auf dem Platz stehen gehabt hatte. Das konnte sie ja nicht hergetragen haben. Also dürfte er vermutlich für jemanden eingesprungen sein, der gerade durch Abwesenheit glänzte.
Warum sollte auch eine Frau allein zelten gehen? Schade, dachte er. Ein Versuch wäre sie wert gewesen. Schon bald tauchten die ersten Sehenswürdigkeiten Salzburgs auf, die ihn auf andere Gedanken brachten. Die Stadt hielt, was die Bilder versprochen hatten. Einzig, er sah viel mehr Menschen in den Straßen, als auf den Fotos. Das störte Krüger jedoch nicht.
Der Nachmittag ging so schnell vorbei, dass er es gerade einmal bis ins Zentrum oder was er dafür hielt, schaffte.
Er gönnte sich ein Bier auf einem großen Platz, der vollgestellt mit Tischen und Stühlen, wie ein einziges, riesiges Restaurant aussah.
Danach ein kleiner Rundgang und schon war Zeit fürs Abendessen. Ein verlockender Grillduft wies ihm den Weg. Ein großes Stück Rindfleisch und einen halben Rotwein später, machte er sich auf den Heimweg. In bester Laune. Schon lange hatte er sich nicht mehr so wohl gefühlt, dachte er immer wieder.
Eine Stunde später, langsam wurde es dunkel, erreichte er den Zeltplatz.
Gespannt schlenderte er auf den Platz zu, wo er sich heute blamiert hatte. Sie saß vor dem Eingang, auf einem winzigen Klappstuhl. Das ließen zumindest die drei Beinchen, die schräggestellt unter ihrem verlängerten Rücken bis zum Boden reichten, vermuten. Vor sich eine Art umgedrehte Vase, die ihr als Tischchen diente.
Sie räkelte sich genussvoll und sah ihn dermaßen spöttisch an, dass er im Grunde nur noch vorbeigehen wollte.
„Kaffee“, sagte sie nur. Dass es eine Frage sein sollte, erkannte Krüger einzig an ihrer Mimik.
„Aber gern“, gab er mechanisch zur Antwort. Ohne zu überlegen, schon fast gegen seinen Willen.
Jetzt lächelte sie ihn breit an. „Ich habe nur einen Stuhl. Gäste waren nicht vorgesehen.“
„Das macht doch nichts“, antwortete Krüger. „Ich kann auch im Stehen.“ Jetzt lachte sie laut auf. „Das kommt gar nicht in Frage. Sie setzen sich jetzt hier hin! Ich brauche eigentlich keinen Stuhl“, antwortete sie bestimmt.
Krüger zierte sich. „Das kann ich doch nicht annehmen?“ „Ich muss ja sowieso in die Küche. Setzen Sie sich einfach hin“, beharrte sie.
„Küche?“, fragte Krüger. „Wo ist denn hier eine Küche?“
„Die Küche ist da, wo ich koche“, antwortete sie ernsthaft.
Krüger gab sich geschlagen und setzte sich.
Fasziniert sah er zu, wie sie eine kleine Pfanne mit Wasser füllte und sie auf einer einfachen Dose wie auf einem Herd abstellte. Die Dose entpuppte sich schließlich als Gasbrenner.
„Erstaunlich“, sagte er. „Was es alles gibt?“
Krüger war an diese Camping Utensilien nicht gewöhnt.
„Wie meinen Sie das?“, fragte sie. Ihrerseits erstaunt. Sprach er womöglich davon, dass sie ihn einfach so eingeladen hatte.
„So einen kleinen Ofen habe ich noch nie gesehen“, antwortete er. „Das ist alles neu für mich.“
„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“, fragte sie zurück. „Hier ist ein Campingplatz. Alle benutzen diese Gasbrenner.“
Krüger verstand nicht sofort, dass sie aneinander vorbei redeten. „Ich besitze keinen“, antwortete er nur.
„Und wie machen Sie Ihren Kaffee heiß?“, fragte sie spöttisch. „Reiben Sie an der Pfanne?“
„Auf dem Herd natürlich“, gab er verständnislos zurück. „Ach so, Sie haben einen Herd. Wahrscheinlich auch noch eine Abwaschmaschine“, spottete sie weiter. „Das weiß ich nicht. Da müsste ich zuerst nachsehen“, antwortete Krüger ernsthaft. Jetzt stemmte sie die Arme in die Hüften. „Sie kommen direkt vom Mond!“
Krüger wollte schon antworten: nein, aus Salzburg.
Sie ließ ihm die Zeit nicht, die er benötigte, um Luft zu holen, sondern fuhr gleich fort: „Sie wollen mir weismachen, dass Sie nicht wissen, ob Sie in Ihrem Wohnwagen eine Abwaschmaschine haben.“
„Ich wohne in einem Bungalow. Ich bin zum ersten Mal im Leben auf einem Campingplatz. Das ist wirklich alles absolut neu für mich“, gab er zurück.
„Ach so. Sie sind gar kein Camper. Jetzt verstehe ich. Ich habe wirklich gedacht, sie wollen mich ...“, lachte sie.
„Ich sehe gleich heute Abend nach“, versprach Krüger, immer noch ernsthaft.
„Sie wollen mich verspotten?“
„Aber nein. Wie kommen Sie auf so eine