Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland. Anna-Maria Wessely

Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland - Anna-Maria Wessely


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der Volkszählung von 1910 gab es in der Bukowina über 800.000 Bewohner. Die Anzahl der Deutschen lag bei

       9,2 %. Weitere Landesbewohner stellten die Ruthenen (Ukrainer) mit

       38,4 %, die Rumänen mit 34,4 %, die Juden mit 12,0 % und Bewohner anderer ethnischer Zugehörigkeit wie Polen, Armenier, Ungarn, Lippowaner, Slowaken u.a. 6,0 %. Mit Beginn der rumänischen Herrschaft hatte die Bukowina 850.000 Bewohner, davon über 70.000 Deutsche.

      Noch vor Ende des Ersten Weltkrieges verstarb Kaiser Franz Joseph I.. Böse Zungen behaupten aus Gram. Kaiser Karl I. übernahm nur für kurze Zeit die Regentschaft. Nach dem Ersten Weltkrieg (1918) ging die Habsburger Monarchie unter und die Bukowina wurde Rumänien zugesprochen. Danach verschlechterte sich die Situation für die Deutschen und alle nicht rumänischen Minderheiten, obwohl die Lebensgewohnheiten der Bewohner untereinander bestehen blieben. Die sprichwörtliche Toleranz der Bewohner hatte eine Atmosphäre geschaffen, die die neuen Machthaber mittragen mussten, obwohl die deutsche Amtssprache und die deutschen Schulen, bis auf wenige Ausnahmen, abgeschafft wurden. Durch rumänische nationalistische Tendenzen verschlechterte sich die Situation abermals.

      Nach Besetzung der Nordbukowina und der Hauptstadt Czernowitz durch die Sowjetunion im Jahr 1940 wurden die Deutschen aus der Nord- und kurz darauf auch aus der Südbukowina von den Nationalsozialisten „heim ins Reich “ geholt. Hierüber waren zwischen Deutschland der Sowjetunion und Rumänien Verträge ausgehandelt worden. 1940 wurden ca. 100.000 Personen umgesiedelt.

      Mit der Umsiedlung verfolgte Hitler eigene Interessen. Die Besiedlung des besetzten Polens, die Verstärkung beim Bau von Rüstungsgütern und neue Soldaten für die Front. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits weitere Kriegspläne. Viele von den in der Bukowina verbliebenen oder dorthin zurückgekehrten Deutschen wurden von den Sowjets nach Sibirien deportiert. 1945 erfolgte nach Kriegsende die große Fluchtwelle aller Deutschen aus den Ostgebieten Richtung Westen.

      Vorwort

      In dem Land in dem Du lebst ... Stell dir vor, dein Haus und Grundstück befindet sich in einem Tal umgeben von Bergen, Wäldern und Gebirgsflüssen. Die üppige Natur bietet dir und deiner Familie einen schönen Lebensraum. Die Anpassung an die Natur macht aus dir einen bescheidenen und zufriedenen Menschen. Ohne Elektrizität und durch die Arbeit deiner Hände führst du in heimischer Nachbarschaft ein zufriedenes Leben. Du gehst deinen Lebensgewohnheiten nach und erfreust dich an den Bräuchen und Sitten deiner Landsleute und befreundeter Menschen anderer Herkunft.

      Die Menschen, die nicht deinen Glauben haben, bereichern dein Leben, denn du begegnest ihnen mit Respekt. Du vermisst nicht viel, obwohl du nicht reich bist. Mit Häuschen, einem Stück Land und eigenen Tieren versorgst du dich und deine Familie. Die Natur hilft dir dabei. Du fängst Forellen im Gebirgsbach hinter deinem Garten, deine Kinder pflücken Beeren und sammeln Pilze im Wald hinter dem Haus. Holz für den kalten Winter gibt es in Hülle und Fülle.

      Aufgrund deiner Fähigkeiten bist du in der Lage dein eigenes Brot zu backen und Vieles selbst herzustellen. Du kannst Weben, Nähen, Stricken und vielmehr. Du kaufst nur Dinge hinzu, die du nicht selbst herstellen kannst. Dein Geschick ist eine wichtige Lebensgrundlage.

      Im Winter verbringst du die Abende mit Handarbeit in geselligen Stunden mit deinen Nachbarn. In lauen Sommerabenden sitzt du mit ihnen auf der Bank vor dem Haus und genießt den Sonnenuntergang und die „blauen“ Stunden. Es werden Geschichten erzählt, es wird gesungen und auch schon mal getanzt. Man geht mit den Hühnern schlafen und steht mit ihnen auf.

      Nur krank werden darfst du nicht, denn den Arzt musst du bezahlen, eine Versicherung gibt es nicht. Bei bedrohlichen Krankheiten musst du schon mal ein Schwein verkaufen, damit du den Doktor bezahlen kannst. Es stört dich wenig, dass in den Wäldern drumherum Bären und Wölfe leben.

      In den Städten sind die Menschen zwar gebildeter, aber nicht eingebildet. In ihren Häusern gibt es Strom, Zentralheizung und Haushaltsgeräte. In der Hauptstadt gibt es Straßenbahnen und eine deutschsprachige Universität, die Dichter und Denker hervorbringt. Die Juden haben sich der deutschen Kultur verschrieben. Czernowitz ist, wie die Bukowina, ein Mikrokosmos mit vielen Völkern und Kulturen.

      Der Unterschied zwischen den Städten und dem Ort, in dem du lebst, ist groß. Und trotzdem kommt kein Neid auf. Städter kommen zur Sommerfrische in dein Haus. In dem Land in dem du lebst hast du deinen Platz gefunden, eine Heimat. Nur besondere Ereignisse können dazu führen, dass du dir eine neue Heimat suchen musst.

       Schon seit Kindestagen hat Katharina gelernt mit Veränderungen umzugehen. Sie ist eine pubertierende, moderne Jugendliche, die die Veränderungen erkennt und ihre Eltern, die rund um die Uhr arbeiten, wachzurütteln versucht.

      Es sind politische Ereignisse, die ihr Leben bestimmen und ein ganzes Land umwälzen. Ob sie die Kraft haben wird die Folgen zu überwinden, wird sich zeigen. Ob sie dabei auch Glück haben wird, wird sich ebenfalls zeigen. Mit welchen Schwierigkeiten der Verlust der Heimat verbunden sein kann, wird Katharina und ihre Familie am eigenen Leib erfahren.

      Ihre Vorfahren waren als Siedler aufgebrochen, um für ihre Familien ein besseres Leben zu sichern. Diese Vorfahren ließen sich nach Zwischenstationen im 18. Jh. in der Bukowina nieder. Die Deutschen nennen die Bukowina liebevoll „Buchenland“.

      Maria Theresia und ihr Sohn hatten 1774 nach Kriegen das Land vom Sultan in Konstantinopel erworben. Sie benötigten die Bukowina als Durchgangsland. Für den Aufbau der Infrastruktur des verarmten Landes und für den Abbau von Rohstoffen benötigten sie Siedler. Damit begann in den östlichen Waldkarpaten eine Ära für das Deutschtum.

      Im Verlauf der nachfolgenden Jahrzehnte wurde die Bukowina modernisiert und von der Habsburger Monarchie mit deutschsprachigen Schulen und Verwaltungssystemen ausgestattet. 1849, nach dem Austritt der Habsburger aus dem Deutschen Bund, wurde sie zu einem autonomen Herzogtum erhoben. Es entstand ein friedfertiger Vielvölkerstaat mit unterschiedlichen Religionen. Mit der Errichtung des Nationalitäten-Parlaments war die Entstehung des möglichen Vorläufermodells eines vereinten Europas vorgesehen.

      Nach dem Ersten Weltkrieg ging die Habsburger Monarchie unter und die Bukowina wurde Rumänien zugesprochen. Deutschsprechende Beamte, meist Österreicher, verließen freiwillig das Land. Rumänische Nationalisten versuchten die Minderheiten im Land zu Rumänisieren. Aus dem Vielvölkerland sollte ein Nationalstaat werden. Durch Abschaffung der deutschen Schulsysteme und der deutschen Verwaltungen verschlechterte sich die Situation für die deutschen Bewohner. Sie waren als Minderheit nicht mehr privilegiert. Nur die Toleranz der Bewohner hatte eine Atmosphäre geschaffen, die die Machthaber mittragen mussten.

      Nach der sowjetischen Besetzung der Nordbukowina im Jahr 1940 wurden die Deutschen von den Nationalsozialisten heim ins Reich geholt. Das galt Monate später auch für die Deutschen aus der Südbukowina. Nach Verträgen zwischen den Ländern wurden 1940 fast 100tausend Deutsche umgesiedelt. Damit begann eine neue Katastrophe. Sie sind 1945 mit anderen Vertriebenen aus den Ostgebieten geflohen.

       Ganz am Ende waren diese Menschen wieder dort angekommen, wo vor Jahrhunderten ihre Vorfahren aufbrachen, in Deutschland. Zufall oder Schicksal, und wie es Katharina ergeht, werden wir im Roman erfahren.

      Winter in den Karpaten

       Der Winter in den Waldkarpaten ist eine große Herausforderung für die Natur und für die Tiere in den Wäldern, aber auch für die Menschen. Und trotzdem lieben ihn ihre Bewohner in den Bergdörfern. Trotz meterhohem Schnee und starken Minusgraden. Sie kennen es nicht anders, sie leben naturverbunden.

      Wir schreiben das Jahr 1939. Früh legt sich eine meterhohe Schneedecke über das Dorf. Der Frost treibt die Menschen in den tiefen und schattigen Tälern in ihre Häuser. Die gemauerten Öfen in den Wohnküchen erwärmen ihre Häuser. Holzhäuser, die mit Holzschindeln gedeckt sind, vertragen sehr viel Wärme. In den Steinhäusern mit Ziegeldächern ist es nicht gemütlicher. Erst wenn es drinnen warm wird tauen die Eisblumen an den Fenstern ab. Petroleumlampen geben in den dunklen Tagen nur schwaches Licht. Holz knistert im gemauerten Küchenherd. Durch Ritzen in


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