Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland. Anna-Maria Wessely
bleichen und erst dann in langen Winterabenden zu Fäden spinnen. Erst jetzt kann Stoff daraus gewebt werden denkt sie, während sie den Stoff für ihren Hosenanzug webt. »Die Älteren denken gar nicht mehr darüber nach«.
Als sie ihrer Großmutter erzählt, dass sie sich aus dem Stoff einen Hosenanzug nähen will, erntet sie Missfallen. So- etwas kann man hier nicht tragen, ist die Meinung der Baba. »Sie kennt nur an praktische Dinge, wie Tischdecken, Bettlaken und so etwas«, fällt Katharina dabei ein.
Katharina hat bei ihrer Tante in der Stadt mitbekommen,
dass es schicke Kleider, aber auch Hosenanzüge gibt. Das mit dem Hosenanzug hat sie sich in den Kopf gesetzt.
Der Schnee hat inzwischen viel Kraft gekostet. Katharinas Geschwister haben sich nach dem aufregenden Tag in ihren Betten verkrochen.
Am nächsten Morgen sprechen alle wieder vom Schnee, obwohl es nicht mehr schneit. Katharinas Mutter ist besorgt: »In sechs Wochen ist Weihnachten und wir plagen uns hier mit dem Schnee ab « .
Katharinas Vater beschäftigt sich derzeit mit ganz anderen Gedanken. Er spricht von seinem Sprengstoff und von den Spuren der Wölfe am Haus. »Ich mache mir Sorgen um unser Vieh, denn die Wölfe aus den Wäldern kommen schon bis an den Stall. Vielleicht kommen auch noch die Bären aus den Wäldern? « . »Dafür ist es viel zu früh « , versucht ihn Katharina zu beruhigen.
Sie klappt den Webstuhl zusammen und zieht ihr Nachthemd an, als ihr Vater den Ofen für die Nacht versorgt.
Als Katharina am nächsten Morgen in die Küche kommt, muss sie ihrer Mutter von ihrem Traum erzählen.
»Mama, heute Nacht hat Genia in meinem Bett geschlafen « . »Genia, in deinem Bett? « , stutzt ihre Mutter. »Ja Mama, wir haben früher immer zusammen geschlafen und uns gegenseitig gewärmt. Heute Nacht war sie bei mir « . »Liebes Kind, was war das für ein schöner Traum? « , sagt ihre Mutter. »Ja, sehr schön « , antwortet Katharina mit feuchten Augen. Das war nicht gut, dass sie ihrer Mutter davon erzählte, denn jetzt fängt auch sie an zu schluchzen. Nun weinen beide schon am frühen Morgen und nehmen sich in die Arme.
Genia ist vor einem Jahr mit siebzehn Jahren an Diphtherie gestorben. Sie hatte auf dem Kathreinfest Eis gegessen. Katharina hatte darauf verzichtet. »Das Eis war bestimmt schlecht « , erinnert sich Katharina. Es war furchtbar mit anzusehen, wie sie leiden musste. Sie haben sogar ein Schwein verkauft, damit sie den Doktor bezahlen konnten. Aber helfen konnte er ihr auch nicht.
Inzwischen ist die blockierte Gleisstrecke wieder frei und Katharina kann zu ihrer geliebten Arbeit gehen. Die Leiterin der Webstube hat vielen Kunden für Weihnachten die Auslieferung der Teppiche zugesagt.
Katharina freut sich schon darauf, dass sie endlich ihre Freundin Rosanah wieder sehen wird. Sie sind Schulfreundinnen. Sie gingen zusammen in die rumänische Dorfschule.
Deutschunterricht hatte Katharina bei einem privaten Lehrer, der jetzt ihre kleineren Geschwister unterrichtet. Zuhause sprechen sie Deutsch, oft mit zipser Dialekt. Mit den Rumänen sprechen sie rumänisch.
Die deutschen Beamten gibt es schon lange nicht mehr. Sie sind nach Abschaffung des Herzogtums nach Österreich zurückgegangen. Katharinas Eltern kennen die Bukowina noch aus der Zeit, als es deutsche Amtsstuben und deutsche Schulen gab. Jede Volksgruppe wurde zusätzlich in ihrer eigenen Landessprache unterrichtet. Die Umgangssprache war allerdings Deutsch.
Obwohl das Herzogtum 1919 aufgelöst wurde und die Bukowina dem rumänischen Königreich angegliedert wurde, blieben die alten Gewohnheiten unter den Menschen bestehen.
Mit ihrer rumänischen Freundin Rosana spricht sie nur rumänisch. Vor allem über ihre Geheimnisse. Rosanah hat Katharina vor Kurzem dazu überredet mit ihr zum Kathreinfest zu gehen.
Das Fest ist für eine Rumänin etwas Besonderes. Für die Deutschen im Ort ist es die letzte Möglichkeit vor der Fastenzeit noch einmal tanzen zu gehen. Rosanah möchte Katharina wieder fröhlich sehen. Mit ihrem sonnigen Gemüt baut sie Katharina immer wieder auf, weil ihr immer noch der Tod ihrer Schwester zu schaffen macht.
Katharina und Rosanah
Morgen wird Katharina nach der Arbeit Rosanah auf dem Bauernhof ihrer Eltern besuchen. Der Hof liegt am Ende des Dorfes.
Als sie zur Arbeit geht, nimmt sie ihre Laterne für den Rückweg mit. Die Laterne erinnert sie an ihre Kindheit, als sie in der dunklen Jahreszeit mit Genia in die Kirche ging. Sie fühlten sich mit der Laterne sicher und glaubten, die Wölfe hätten Angst vor ihrem Licht.
Als Katharinas Kolleginnen die Laterne entdecken, erzählt sie freiwillig von ihrem Vorhaben.
Auf dem Weg zu Rosanah muss sie an verschneiten Wäldern und Wiesen vorbei. Nur schmale Wege führen durch meterhohen Schnee. Es ist weit und breit kein Mensch zu sehen, als sie mit der Laterne losmarschiert. Nur der Wind pfeift kräftig um die Ecken und treibt den Schnee zu großen Bergen zusammen.
Sie fürchtet sich schon vor dem Rückweg. Dabei fallen Katharina auch die Worte ihres Vaters ein. Sprach er nicht von den Spuren der Wölfe am Haus? Sie wird immer schneller, als sie das schwache Licht am Haus ihrer Freundin erkennt.
Hier haben sie schon auf sie gewartet. »Komm schnell rein! « , ruft ihr Rosanah zu. Die rumänischen Bauernstuben sind im Winter besonders warm. An den Wänden hängen Teppiche und bestickte Tücher zieren die Bilder. »Gemütlich « , denkt Katharina.
Rosanahs Mutter bringt heißen Milchkaffee. Endlich können Rosanah und sie wieder die Köpfe zusammenstecken. Sie haben sich viel zu erzählen.
Die Zeit vergeht wie im Fluge. Draußen ist es inzwischen stockdunkel. Mond und Sterne werfen schwaches Licht auf den Schnee. Es ist die Zeit in der man aus den Wäldern das Heulen der Wölfe hört. Eigentlich jagt man jetzt keinen Hund vor die Tür. Und Katharina muss noch den Heimweg antreten.
Rosanah spürt, dass Katharina Angst vor dem Heimweg hat und schlägt vor bei ihr zu schlafen. Das kann sie aber nicht, weil man zu Hause auf sie wartet.
Rosanah hat aber gleich eine andere Idee und schlägt vor, dass sie ihren älteren Bruder fragen wird, ob er sie nach Hause begleitet.
Katharina nimmt das Angebot nur an, weil sie sich vor dem Heimweg fürchtet. Obwohl sie Viorel kennt hat sie Hemmungen sich von einem Jungen nach Hause bringen zu lassen.
Als sie draußen vor der Haustür das Heulen der Wölfe hört weiß sie, dass es die richtige Entscheidung war. Die beiden machen sich auf den Weg.
Viorel nimmt ihr die Laterne ab und geht vor. Die ersten Schritte gehen sie schweigend hintereinander, bis er zaghaft ein Gespräch beginnt. Seine Stimme nimmt ihr die Angst und sie lässt sich auf das Gespräch ein. In Rumänisch natürlich.
Jetzt stapfen sie nebeneinander durch den Schnee . Nach fast einer Stunde stehen sie vor Katharinas zugewehter Hoftür. Aus dem Haus kommt schwaches Licht in den Hof, das sich mit dem Licht des Mondes vermischt. Viorel gibt ihr die Laterne und verabschiedet sich von ihr.
Als er weg ist fällt ihr ein, dass sie ihm die Laterne für den Heimweg mitgeben wollte.
Im Haus hat man Katharina gehört. Ihre Mutter öffnet die Haustür und fragt: »Warum warst du so lange weg? « Als sie ihr sagt: »Der Weg zu Rosanah war weit und zugeschneit. Viorel hat mich aber nach Hause gebracht « , ist sie beruhigt.
Katharina hat den Eindruck, dass ihre Familie immer noch vom Schneeschaufeln erschöpft sind.
Heute hat Katharinas Bruder den Schnee von den Dächern geräumt. Ihre kleineren Geschwister liegen schon in den Betten.
Als sie ebenfalls ins Bett geht merkt sie, dass ihre Mutter einen heißen Ziegelstein in ihr Bett gelegt hat.
Katharinas Vater und der Sprengstoff
Am nächsten Tag macht Katharinas Vater, der in der Nähe als Sprengmeister im Steinbruch arbeitet, auf alle einen nervösen