Schwesterkomplex. Mandy Hopka

Schwesterkomplex - Mandy Hopka


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Leben eben ziemlich gewöhnlich. Wie jeder Durchschnittsbürger eben. Ich will jetzt auch nicht so rüber kommen, als wäre ich nicht zufrieden damit. Ich besitze zwar keine Markenklamotten oder kein teures Auto, aber das ist auch nichts, was ich wollte.

      So etwas Oberflächliches brauche ich nicht.

      Aber natürlich hätte ich gerne das, was Sie hat.

       Sie, meine liebe und engelsgleiche Schwester Jessica. Sie ist gut aussehend, intelligent und bekommt immer das, was sie will. Im Vergleich zu ihr, bin ich das reinste Mauerblümchen, nein, die reinste Nonne. Wer hätte denn auch nicht gern ein perfektes Aussehen? Ich meine, nicht einmal ein einziger Pickel hat sich in all den Jahren in ihr Gesicht verirrt! Wie machten diese Menschen das nur? Sie hatte eine so strahlend schöne Ausstrahlung, dass wohl selbst der Spiegel an der Wand ihr jeden Tag zurief, dass sie die schönste im ganzen Land sei. Jede Bewegung von ihr erinnerte mich an eine Balletttänzerin. Anmutig, bedacht und selbstsicher.

      Um für euch einen Vergleich zuziehen, ich bin da eher Goofy.

       Natürlich beneidete ich sie um ihre so schönen, blauen Augen, die zwar ziemlich kühl und bösartig blicken konnten aber dennoch ihre Intelligenz unterstrichen, die sich hinter ihrer Platin blonden Mähne verbarg. Natürlich verstand ich nicht, weshalb sie so viel Make-up im Gesicht trug, obwohl sie doch so eine verflucht, natürliche Schönheit besaß, um die sie mit Sicherheit viele beneideten.

       Ich verstand einfach nicht, weshalb sie sich ihre Brüste vergrößern hatte lassen müssen, obwohl ihr Körper auch schon vorher die perfekten 90-60-90 gehabt hatte. Nur, um es mal anzumerken, ich habe vielleicht gerade mal Körbchengröße A. Aber jeder war seines Glückes Schmied, nicht war?

      Obwohl wir doch dieselben Gene haben mussten, besaß sie so eine zierliche und kleine Statur, während ich mit meiner breiten Schulter, meinem nicht gerade flachen Bauch und meinem üppigen Po, mehr kurven hatte, als ein Formel 1 rennen. Klar, gegen den Heißhunger auf Schokolade konnte man etwas unternehmen, aber habt ihr schon mal eine Spätschicht geschoben, ohne dabei diese miesen Fressattacken zu bekommen? Habt ihr euch schon mal den Lobgesang eurer Eltern anhören müssen, die stundenlang nichts anderes taten, als meiner Schwester in ihren kleinen – aber sicherlich zuckersüßen, Arsch zu kriechen und ihr zu sagen, wie stolz sie auf sie waren? Mein Gott, wie sollte man das anders aushalten, als nebenbei ein paar Kekse oder Kuchen zu futtern? Ich will ja nun auch nicht lügen und sagen, ich sei Fett und dumm, aber verdammt, warum war sie nur so schlank? Warum ähnelten wir uns kein bisschen? Ich bewegte mich doch viel mehr als diese Tussi, die mit ihren mega High Heels, ihren knappen Röcken und den engen Shirts zu Vorlesungen gestöckelt war. Sie, die nichts anderes konnte, als ihr Gesicht in ein Kunstwerk zu verwandeln, hatte alles bekommen, was sie schon immer gewollt hatte – egal von wem. Sie brauchte nur mit ihren unechten Wimpern zu klimpern und schon lagen ihr alle Menschen zu Füßen. Woran das wohl lag? Vielleicht sollte ich aber weiter ausholen, damit ihr mich besser verstehen könnt?

      Schon als wir klein waren, hatte ich sie beneidet. Darum, dass sie die Schulschönheit gewesen war. Beliebt, gemocht und akzeptiert. Ich wurde vom ersten Moment an, der ersten Unterrichtsstunde meines Lebens schon gehasst und ausgegrenzt.

       Für mich war die Schule früher ein Ort gewesen, an dem es einzig und allein um mein Überleben gegangen war. Ich hatte mich zu Hause in meinem Zimmer verkrochen und Bücher gelesen, Videospiele gespielt, nur um mich davon abzulenken, dass ich am nächsten Tag wieder dort hin musste. In diese Hölle aus Fieser und grausamer Kinder. Freunde? Zu dieser Zeit hatte ich nicht einmal die Bedeutung von Freundschaft verstehen können. Wirklich echte Freunde fand ich erst in der Berufsschule. Davor war alles nur schwarz, leer und einsam. Kennt ihr das Gefühl, dass fünfte Rad am Wagen zu sein? Aus der Not heraus akzeptiert zu werden? Gott, wie ich diese Klassenfahrten und Gruppenarbeiten gehasst hatte. Oder gar den Sportunterricht! Horror pur für einen Außenseiter wie mich. Warum diese Kinder das getan haben? Wer weiß, vielleicht saß ich einfach am falschen Ort, hinter den falschen Menschen? Vielleicht war es aber auch nur mein Schicksal gewesen. Ihr kennt doch sicherlich diese Personen, um die sich immer alle scharren? Die der Mittelpunkt jeder Schulklasse sind, weil jeder zu ihm oder ihr gehören will. Na ja, genau so jemand war Sie. Der Mittelpunkt dieser Scheiß Welt, die in genau zwei Klassen aufgeteilt war. Verlierer und Gewinner. Loser und Champions.

      Glücklicherweise waren wir 4 Jahre auseinander und so hatte ich ihre Beliebtheit nicht lange ertragen müssen.

      Jedenfalls, gut für mich war ihr Wunsch, eine erfolgreiche Anwältin zu werden und damit haufenweise Kohle zu verdienen. Dieser Job passte zu ihr, denn Jess hatte wahrlich eine gute Intuition. Sie besaß eine gute Menschenkenntnis und die Fähigkeit, sich jeden gefügig zu machen. Damit stand ihr eine große Karriere bevor.

      Die Zeit verstrich und alles bewahrheitete sich.

      Jess arbeitete an ihrem Ruf und ich schaffte irgendwie meinen Abschluss. Suchte mir eine Lehre und verdiente mein eigenes Geld. Ihr ahnt nicht, wie froh ich damals gewesen war, von diesen Menschen endlich wegzukommen. Mit der Lehre begann auch für mich ein neues Leben. Tja und danach, weitere Jahre später, wohnte ich bereits in meiner eigenen Wohnung, während meine Schwester jeden Tag mit ihrem hübschen kleinen Neuwagen durch die Stadt fuhr. Wohlgemerkt von Mami und Papi gesponsert. Als würde sich die Prinzessin mit einem gebrauchten zufriedengeben … Hätte ich noch ein Jahr länger zu Hause wohnen müssen, hätte ich mir definitiv ein Beispiel an Hannah Baker genommen. Denn tote Mädchen lügen nicht. Aber so weit war ich noch lange nicht an dem Abgrund aus Selbsthass und Selbstmitleid angekommen, dass ich mich in eine Badewanne setzen und mir die Pulsader aufritzen würde. Ansonsten könntet ihr das hier ja auch nicht lesen, nicht war? Ich schweife ab …, wo war ich? Ach ja, ich hatte endlich meine Sachen packen und aus diesem Irrenhaus ausziehen können. Es war das Erste, was ich getan hatte, nachdem ich auch die Berufsschule absolviert hatte. Weit weg von meinen blinden Eltern, weit weg von dieser Angebertussi die mich ohnehin nur beleidigte und niedermachte. Jess hat sich wirklich zu einer Furie entwickelt, wenn ich nun an früher dachte. Ich liebe meine Eltern, wie könnte ich sie auch nicht lieben? Und ich weiß, dass sie auch mich – wenn auch auf ihre Art und Weise, liebten. Vermutlich wollten sie einfach nur schon immer mein bestes, so wie es über fürsorgliche Eltern eben tun. Aber ich war eben – Gott weiß warum, nie wie meine Schwester. Ich wollte von Anfang an mein eigenes Leben. Ich wollte unabhängig sein, nichts von ihnen geschenkt und finanziert. Das, was ich von ihnen immer nur gewollt hatte, war ihre Liebe und Zuneigung. Nein! Das, was ich von ihnen am meisten hören wollte, war das sie stolz auf mich waren. Aber warum sollten sie das auch sein? Ich wollte nicht studieren, wahrscheinlich hätte ich es dank meinem IQ auch ohnehin nicht geschafft.

      Vielleicht lag es auch einfach daran, dass es für mich in der Schule mehr ums Überleben gegangen war, als darum etwas zu lernen. Aber meine Schwester hatte den Weg vorgezeichnet und ich hatte ihr zu folgen. Leider tat ich dies eben nicht. Zum Unglück unserer besorgten Eltern.

       Sie merken einfach nicht, wie sie von ihr tagtäglich um den Finger gewickelt werden und genau das ärgert mich, versteht ihr? Während ich mir aus dem ersparten Geld einen Gebrauchtwagen gekauft hatte, war für meine Sis klar, so etwas wäre unter ihrer Würde. Wie sähe das auch aus? Eine Jura Studentin, mit einem kleinen VW-Golf, oder einem Opel? Nein, sie mussten ihr extra einen hübschen, funkelnden Mini kaufen, der so rot war, wie ihre immerzu geschminkten Lippen. Sie braucht ständig Geld für Klamotten und Partys und ich glaube, 100 Euro im Monat wären für sie nicht mal annähernd genug. Ich verstehe ja, dass sie als Studentin noch kein Geld verdient, aber es gibt doch so viele, die sich mit Nebenjobs etwas dazu verdienen. Die nicht immer Klamotten von teuren Marken tragen mussten und damit ihren Eltern noch mehr Geld aus der Tasche zogen, als sie für das Studium ohnehin schon hinblätterten. Jeder andere würde zumindest einen Funken Dankbarkeit dafür ausdrücken, was unsere Eltern da für sie tun! Aber wahrscheinlich kannte sie nicht einmal das Wort und deren Bedeutung, ganz gleich, wie hoch ihr Intelligenzquotient auch war. Nein, sie wollte ihre Freizeit lieber dafür nutzen, sich die Nägel – oder besser gesagt Krallen, zu lackieren. Mit ihren Freunden durch die Klubs zu ziehen, Männer abzuschleppen und in ihrem Zimmer von ihnen flachgelegt zu werden wie eine billige Nutte. Und mal im Ernst, wer wünscht sich zu seinem 25 Geburtstag von seinen Eltern eine Brustvergrößerung? Wenn sie psychische Probleme damit gehabt hätte okay, aber das Einzige,


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