Schwesterkomplex. Mandy Hopka

Schwesterkomplex - Mandy Hopka


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      Besser zu sein.

      Perfekter.

       Und dafür hatten unsere Eltern fast 5000 Euro hingeblättert …

      Warum sie das alles machen?

      Glaubt mir, das frage ich mich schon all die Jahre, aber es ist sinnlos, dass zu verstehen. Es ärgert mich einfach, dass sie ihr das Geld hinterher schmeißen, ohne etwas dafür zu verlangen. Das sie Jess so verziehen, dass sie sich wohl schon selbst für die Königin dieser Welt hielt. Wenn ihr sie erst einmal kennenlernt, werdet ihr das besser verstehen. Ihre Art und weise lässt sich wirklich schwer in Worte fassen. Wer weiß, ansonsten war sie ja immer ihr Engel. Lieb, nett, konnte Gut mit den Augen betteln. Eine typische vorzeige Tochter eben. Sie hatte immer das aller beste Zeugnis und auch im Studium war sie unter den besten Studenten überhaupt. Vielleicht war es eben einfach nur ihr Stolz auf sie. Vielleicht wollten sie meine Schwester damit loben und weiter anspornen, ihr Bestes zu geben.

      Meine Schwester hatte mir schon früh eingeredet, wie hässlich und fett ich doch war und ja, zu Grund- und Mittelschulzeiten war ich das wohl auch gewesen. Wenn man von nichts und niemanden akzeptiert wurde, war Schokolade manchmal das einzige Mittel um Trost zu finden. Ich habe ihr geglaubt, da selbst meine Schulkameraden das von mir dachten. Sie gaben mir merkwürdige Spitznamen, schlugen mich im Sommer, im Winter steckten sie mich in den Schnee. Im Unterricht bewarfen sie mich mit Gegenständen. Ich hatte schon früh einsehen müssen, dass mein Leben anders sein würde, als das von meiner Schwester, als das von so vielen Kindern dort draußen. Ich hatte früh gelernt, manches einfach zu akzeptieren.

       Wie hätte ich meinen Eltern auch noch sagen können, dass ich gemobbt und ausgegrenzt wurde? Dann hätten sie sich Sorgen gemacht und wären erst recht nicht stolz auf mich gewesen, wo meine Schwester doch die beliebte Klassenkönigin gewesen war. Die, die immer Freunde mit nachhause brachte, während ich allein in meinem Zimmer saß, mit einer Packung Kinder Riegel, während eine Folge Sailor Moon über meinen damaligen Fernseher flimmerte.

      Dann, mit dem Beginn des Berufslebens, der Beginn eines neuen Lebensabschnittes, hatte sich meine Welt zumindest in einen Grauton verfärbt. Ich hatte Freunde gefunden, zu denen ich hatte flüchten können, wenn es mir Zuhause wieder einmal zu viel wurde. In den Augen meiner Eltern waren sie Nerds, Loser, Außenseiter, vielleicht sogar einfach nur ein paar verrückte Idiotien. Aber sie verstanden mich, teilten meine Hobbys und Leidenschaften. Wir hatten uns damals getroffen, um einfach nur abzuhängen, Serien gesuchtet und waren auf fast jeder Nerd Convention in der Gegend gewesen. Genau deshalb war ich wohl in ihren Augen der Rebell, im Gegensatz zu meiner engelsgleichen Schwester, die für so einen Kinderkram keine Zeit in ihrem Leben hatte. Aber wer weiß, vielleicht holte ich nur meine nicht vorhandene Kindheit nach? Für meine Eltern war es einfach unvorstellbar gewesen, dass ich mir nicht auch ein paar Busenfreunde anschaffte, Pyjamapartys schmiss, mir mit ihnen ebenfalls die Nägel lackierte und über Promis tratschte, die in der Bravo abgebildet waren. Warum wir nicht wie normale Teenager in Klubs und Bars abhingen. Eben normale Dinge für unser Alter taten. Aber was war schon normal in dieser Welt? Wer legte den bitte fest, was für unser Alter schon normal gewesen war?

      Wie auch immer, deshalb war Sie ihr Engel und ich das böse, versagende Gegenstück. Wahrscheinlich war das heute auch noch so. Was hatte ich schon zu bieten? Zumindest waren mir diese Freunde selbst nach der Ausbildung geblieben. Im Grunde sind es sogar mehr geworden. Ganz so einsam war ich deshalb nicht mehr. Zurück betrachtet war die Berufsschule wohl die schönste Zeit meines Lebens. Dort gab es noch so wenig Verantwortung, weniger Probleme. Ich wurde akzeptiert, gemocht und nicht beschimpft und gehasst.

       Dort hatte ich Hoffnungen gehabt. Hoffnung, dass ich all das Grauen überlebt hatte und nun alles besser werden würde. Diese hatte ich zumindest ganze zwei Jahre in mir verspüren dürfen. Bis zum letzten Jahr. Bis Er aufgetaucht war …

       Er, der meine Welt aufs Neue eingerissen hatte.

       Wieso war nur alles so gekommen? Warum waren unsere Schicksale so Grund verschieden? Könnt ihr mir das vielleicht mal erklären? Immerhin sind wir doch von den gleichen Eltern aufgezogen worden? Sind im gleichen Umfeld aufgewachsen? Also warum dann? Als Kind hatte ich immer so sein wollen wie sie, nur um endlich akzeptiert zu werden. Um das haben zu können, was auch sie gehabt hatte. Mittlerweile war ich froh, dass es nicht so war. Dad hatte viel Geld, allerdings arbeitete er auch hart dafür und ja, natürlich hatten wir dadurch einen gewissen Standard. Aber musste man ihn deshalb gleich so ausnehmen, wie meine Schwester es tat?

      Ich sah, wie wenig Geld er für sich oder Mom ausgab. Wusste durch belauschte Gespräche, dass ihr Studium sein Geld fraß. Das und wohl ihr immens hohes Taschengeld. Vielleicht hatte ich auch ausziehen wollen, um ihnen nicht länger auf der Tasche liegen zu müssen. Aber wirklich richtig vertrieben hatte mich Charlie. Charlie Benz, ihr erster Freund. Grundgütiger, wie ich diesen Muskelprotz gehasst hatte. Ihr wisst doch, wie diese Schönlinge sind. Hübsch, sich selbst überschätzend und die reinsten Flachzangen. Aber so wie meine Schwester jede Nacht das Haus zusammengeschrien hatte – und ja, ihr Zimmer lag neben meinem, musste er ja zumindest im Bett richtig was drauf gehabt haben. Dumm nur, dass sie Schluss machte, kurz, nachdem ich ausgezogen war.

       Lange rede kurzer Sinn, ihr versteht jetzt, was ich meine oder, wenn ich euch sage, dass das Schicksal echt beschissen sein kann? Ich bin so vieles, was sie nicht ist, als wäre sie Yang und ich Yin. Wir waren für immer miteinander verbunden, obwohl wir doch so unterschiedlich waren. Ich war so viel Durchschnitt und sie so herausragend in allen Dingen. Egal ob beim Zeichnen, Sport, Spiele oder sonst irgendetwas. Alles, was sie anfasste, wurde perfekt, als wäre sie bei ihrer Geburt durch einen Engel gesegnet worden. Ich war da nur der Tollpatsch mit den zwei linken Händen.

       Ich war eben ich. Eine brünette Frau, die nicht dumm und nicht dick war. Die in nichts wirklich gut zu sein schien. Die gern mal Dinge fallen ließ, über ihre Füße stolperte oder Sachen schnell wieder vergaß. Ich stand schon immer in ihrem Schatten und ja in manchen Momenten hasste ich es. Ich wollte ja überhaupt nicht beliebt sein. Ich wollte nicht, dass diese Aufmerksamkeit, die ihr immer zuteilwurde, plötzlich auf mich traf. Ich wollte einfach nur, dass ich aufhörte, mich mit ihr zu vergleichen. Ich wollte akzeptiert und gemocht werden. Wollte, dass dieses elende Gefühl, meine Eltern und am meisten mir selbst nicht gerecht zu werden, endlich von meinen Schultern verschwand, welches auf mir lastete und mich zunehmend zu Boden warf. Und auch, wenn ihr mir das jetzt vielleicht nicht glauben wollt, möchte ich wirklich nicht mehr mit meiner Schwester tauschen. So sehr beneidete ich sie heute längst nicht mehr. Ich war 24, sie 28. Wir waren erwachsen geworden und jeder hatte sein eigenes Leben. Ich wollte nicht mehr so sein wie sie, denn auch ich hatte Dinge, die sie wohl niemals haben würde. Ich könnte euch jetzt haufenweise Gefühle aufzählen aber sagen wir einfach mal, dass sie einen miesen Charakter hat. Sie kennt kein Dank, kein Mitgefühl. Wahrscheinlich weiß sie nicht einmal, wie man wirklich liebt, immerhin wechselt sie die Männer, wie ihre Unterwäsche. In meinen Augen war sie ein kaltes, gefühlloses Miststück geworden. Egozentrisch, arrogant und selbstgerecht. Egal wie klug und hübsch sie auch war und egal, wie sehr das Glück auch an ihr haftete, wie an mir das Pech, niemals würde ich meinen Charakter gegen ihren Körper ersetzen wollen. Niemals mein Chaotisches, aber auch normales Vorstadtleben, mit dem ihres oberflächlichen Lebens tauschen. Niemals würde ich meine Freunde gegen ihre Schönheit eintauschen wollen.

      Eigentlich schon traurig, dass man so über seine Schwester reden muss und ich hoffe wirklich, dass das bei euch nicht auch so ist. Aber ich hatte eben noch nie das Gefühl gehabt, meine Schwester zu lieben. Wir beide waren einfach zu verschieden, als das wir uns lieben konnten. Meine ganze Familie war ein einziges Desaster. Vermutlich mehr meinetwegen.

       Es lag alles an mir.

      Selbst an diesem einen Moment, der mich erst recht zerstörte, war ich schuld. Aber das ist etwas, worüber ich jetzt nicht reden kann, nicht jetzt, wo dieses schwarze Loch über mir lag, wie düsterer Nebel. Daran zu denken, war die eine Sache, darüber zu reden eine andere. Es machte es … irgendwie real, versteht ihr? Ihr werdet schon noch früh genug erfahren, wie dumm und naiv ich im letzten Ausbildungsjahr gewesen war.

      Wie auch immer, man liegt, wie man sich bettet.

       Ich war eben da.

      Existierte.

      


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