Der Terror in mir. Nina Saro

Der Terror in mir - Nina Saro


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und wartete ungeduldig auf ihre Mutter. Auch sie war aufgeregt, ihren Vater endlich wieder zu sehen, im Gegensatz zu ihrer Mutter allerdings die Ruhe selbst. Tim, ihr 17jähriger Bruder, stand schlaksig am Türrahmen angelehnt und ließ sich keine Gefühlsregung anmerken. Er fand es einfach nur lustig, dass seine sonst so abgeklärte Mutter heute einfach nicht in mal dazu in der Lage schien, eine Entscheidung bezüglich ihrer Hosenwahl zu treffen. In der vergangenen Stunde war sie ungezählte Male zwischen Schlaf- und Badezimmer hin- und hergependelt, mal war die Frisur anders, mal das Outfit. „Ich bin sofort da“, kam nun die Stimme Claudias aus dem Keller, in dem sich das Schuhregal befand, „was meinst du Caro, soll ich Pumps oder Sneakers anziehen?“ „Dazu müsste ich ja erst einmal sehen, was du anhast, das hat sich ja im Laufe des Nachmittags doch einige Male verändert“, Carolina lachte und schüttelte den Kopf, „ na Brüderchen, so habe ich unsere Mutter auch nicht erlebt, du würdest wohl eher sagen, die ist ja völlig durch, oder? Ich find´s vom Prinzip ja echt klasse, dass sie sich über Papas Rückkehr so freut, aber jetzt können wir wirklich mal los“. „Ok, ok, ich bin ja schon da, kein Grund zur Panik, es dauert bestimmt noch eine Stunde bis der Bus in Fritzlar ankommt.“ Claudia eilte die Treppe herauf „Meint ihr nun, ich kann so gehen?“ Carolina und ihr Bruder schauten sich an und mussten lachen. „Eine Frage, was hast du eigentlich die ganze Zeit gemacht, du siehst doch aus wie immer, oder Schwesterherz?“ Tim wie immer herrlich direkt öffnete die Haustür und ging schon mal voran zum Auto. Claudia schaute betroffen an sich herab und wartete auf eine Antwort ihrer Tochter „Söhne sind doch echt eine Plage, oder Mama, hör nicht auf ihn, du siehst gut aus und genau so, wie Papa dich mag, also komm, steig ein.“ Die beiden Frauen gingen gemeinsam zum Wagen und Claudia nahm auf der Beifahrerseite Platz „Ist doch in Ordnung wenn du fährst, oder Caro, ich habe jetzt keinen Kopf dafür“. „Klar, Mama, entspann dich, für was hast du denn eine große Tochter.“ Carolina und ihre Mutter hatten schon immer ein sehr gutes Verhältnis zueinander gehabt. Carolina war immer ein unkompliziertes Mädchen gewesen, selbst in der Pubertät hatte sie ihren Eltern selten Kopfschmerzen bereitet. Die üblichen Zickereien und „Ihr habt mir gar nichts zu sagen-Kampagnen“ waren meist glimpflich verlaufen und recht schnell kam man immer wieder am Familientisch zusammen und konnte die aufkommenden Schwierigkeiten bereden. Auch Lars und Carolina standen sich sehr nah und obwohl die nun fast 24jährige ein relativ eigenständiges Leben führte, war ihr die Meinung ihrer Eltern und das Zusammensein mit ihnen immer noch sehr wichtig. „Los jetzt, holen wir den Vadder aus dem Krieg, dass der mal endlich wieder was Ordentliches zu essen bekommt und mich von meiner Holzholpflicht befreit“. Tim saß im Fond des Autos und brachte die beiden Frauen zum Lachen. „Ja echt, du armer Tropf, musstest ein halbes Jahr den Mann im Haus mimen und hast dich bestimmt überarbeitet“, Carolina schüttelte den Kopf, „meine Güte, 17jährige Kerle sind echt nicht so ganz einfach. Irgendwie hat man immer das Gefühl, man müsste dich mal schütteln, dass deine Synapsen so langsam wieder in die richtige Position wandern“. „Hört auf ihr zwei, heute bitte keine geschwisterlichen Reibereien, jetzt lasst uns einfach nur fahren und uns auf Papa freuen“. Eine halbe Stunde später kamen sie auf dem Militärgelände in Fritzlar an. Eine kleine Menschenmenge hatte sich bereits versammelt, alles Familienangehörige von Heimkehrern, alle nervös, gespannt und aufgeregt. „Hi, Claudi, na haben wir es endlich geschafft, ist doch echt der Wahnsinn, das unsere Männer gleich hier ankommen. Willst du auch noch schnell ne Zigarette, ich glaub, ich muss noch eine rauchen, ich halte das Warten sonst nicht mehr aus“. Marie, die Ehefrau von Sven, Cockpit- und Containerpartner von Lars, hielt ihr die Schachtel Zigaretten vor die Nase. „Nein danke, Marie, aber ich habe keine Lust beim Willkommenskuss nach Aschenbecher zu schmecken, Lars raucht doch nicht und da muss es wirklich nicht sein, dass ich jetzt qualme“. „Okay, du hast Recht, das ist ein Argument, also gewöhnen wir uns gleich mal wieder daran, dass unsere Männer wieder da sind und uns so manche Entscheidung abnehmen.“ Marie zwinkerte Claudia verschmitzt zu, klappte die Schachtel zu und verstaute sie in ihrer Handtasche. Wie Recht Marie doch mit dieser Aussage hatte, dachte Claudia das Warten und Alleinsein ist nun vorbei, ein ganzes Stück Eigenständigkeit aber auch. „Schaut mal, wer da um die Ecke kommt und wie immer ganz schön ihren Schaff hat“, Carolina schaute fast mitleidig der heraneilenden Helena entgegen, die hektisch einen Zwillingsbuggy vor sich herschob, aus dem lautes Geschrei tönte. Dem Buggy und seiner Mutter folgte der vierjährige Simon, der beleidigt aussah und sich der Geschwindigkeit seiner Mutter um keinen Preis anpassen wollte. „Simon, bitte nun komm endlich, deine Schwester hat die Hosen voll, und ich muss sehen, dass ich sie noch schnell gewickelt bekomme, bevor der Papa wieder da ist. Du kannst in der Zeit gerne hier bei Carolina und Claudia warten, zeig ihnen doch mal dein tolles Bild, was du für Papa gemalt hast“. Helena nahm die kleine Sophie aus dem Buggy und machte sich auf den Weg in das Gebäude, um Sophie frisch zu machen. Carolina übernahm den Buggy und beugte sich zu Meike herab, die friedlich in ihrem Wagen saß und an einem Keks knabberte. „Na Simon, nun zeig uns mal dein Bild, der Papa wird sich bestimmt riesig freuen, wenn er ein Geschenk von dir bekommt“, Claudia ging auf den Kleinen zu, der sich aber bockig hinter dem Buggy versteckte und so gar keine Lust zu haben schien, Konversation zu betreiben. „Ok, kleiner Mann, dann warten wir eben gemeinsam bis die Mama wieder kommt, vielleicht hast du ja dann Lust mit uns zu reden“. Claudia konnte den Jungen sehr gut verstehen. Er war im Moment wohl völlig überfordert. Alle um ihn herum waren aufgeregt, jeder aus seiner Familie und aus dem Bekanntenkreis seiner Mutter hatte in der letzten Zeit nur davon gesprochen, dass der Papa nun endlich wieder kommt. Nur er selbst konnte wenig mit dieser ganzen Aufregung anfangen und war eher verwirrt als begeistert. Papa, wer war das noch mal? Ein halbes Jahr hatte er ihn nicht mehr gesehen, am Anfang hatte er viel geweint und nach ihm gefragt. Immer wieder hatte er zur Antwort bekommen, Papa kommt bald wieder, aber das dauert noch, du musst noch ein bisschen abwarten. Dann hatte er sich daran gewöhnt, dass eben kein Papa da war und nun auf einmal sollte Papa gleich mit einem großen Bus hier ankommen. Das war ihm alles zu viel, und so versteckte er sich hinter seiner Bockigkeit und verweigerte einfach die gut gemeinten Annäherungsversuche. Seine Schwestern waren noch viel zu klein, mit ihren 15 Monaten wussten sie so gar nicht, was hier eigentlich los war und nachdem Sophie wieder frisch gereinigt in ihren Buggy zurückgekehrt war, saßen die beiden Schwestern nun beide friedlich in ihrem Kinderwagen und blickten neugierig in die Welt. Helena war wirklich nicht zu beneiden. Sie alle hatten ihre Männer und Lebenspartner vermisst, aber Helena war die Einzige im Kreis der Wartenden, die noch so kleine Kinder hatte. Sie und ihr Mann Mike hatten sich erst vor sechs Jahren kennen und lieben gelernt, zügig mit der Familienplanung begonnen und nach der Geburt des ersten Sohnes waren sie sich einig gewesen, noch ein Kind zu bekommen. Das aus diesem einen nun zwei geworden waren, war eine Laune der Natur und komplettierte die Familie auf einen Schlag. Aufgrund seiner Familienkonstellation war Mike auch nicht dafür vorgesehen im ersten Kontingent der Tigerpiloten in den Einsatz zu gehen, aber dann hatte es personelle Schwierigkeiten gegeben, und er war nachgerückt. Helena hatte ihm versichert, sie werde die Zeit schon meistern, und so war er mit seinen Kollegen in die ungewisse Welt gestartet. Helena hatte Wort gehalten: Sie hatte die vergangenen sechs Monate durchgehalten und alles gegeben. Unterstützung erhalten hatte sie durch ihre Freundinnen Marie und Claudia. Die drei hatten sich erst in den letzten sechs Monaten wirklich kennen gelernt und jede der drei wusste, dass man sich aufeinander verlassen konnte. So hatten sie auch regelmäßig alle 14 Tage einen gemeinsamen Abend verbracht. Meistens im Haus von Helena, da sie immer einen Babysitter engagieren musste, wenn sie abends das Haus verließ. Ihre Eltern und Schwiegereltern lebten zu weit entfernt um ihr kurzfristig beistehen zu können. Diese Treffen wollten die drei nach der Rückkehr ihrer Männer auch beibehalten, denn wie hatte es Marie so treffend formuliert: Glaubt ja nicht, dass die Probleme aufhören, wenn unsere Lieben wieder da sind, die fangen dann erst richtig an. Die drei hatten gelacht und sich gegenseitig versichert, weiterhin für einander da zu sein. Auch jetzt standen sie beieinander und warteten ungeduldig auf den Bus. Allein schon äußerlich betrachtet, waren es drei völlig unterschiedliche Frauen, die sich aber in ihrem Wesen so herrlich ergänzten, dass es ihnen immer wieder Freude bereitete, die Zeit gemeinsam zu verbringen. Marie, die eleganteste der drei, liebte ihren Job als Werbezeichnerin, ging darin völlig auf, hatte keine Kinder und kein Problem damit wöchentlich auch mal 50 Stunden zu arbeiten. Sie ging niemals ungeschminkt aus dem Haus, trug gerne und meist Markenklamotten und Schuhe ohne Absätze waren ihr ein Greul. Sie hatte Stil, wie Claudia immer wieder feststellte, sah dabei aber nie overdressed aus, alles passte einfach zusammen.
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