Der Terror in mir. Nina Saro

Der Terror in mir - Nina Saro


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hinweggesehen hatte. Lars war in dieser Hinsicht der Besonnenere, er richtete sein Augenmerk mehr auf den Zustand der Dächer, die Beschaffenheit von Stall, Scheune und des Wohnhauses und kalkulierte die zu erwartenden Renovierungskosten. Auch er war von dem Anwesen begeistert, die Alleinlage faszinierte sie beide, aber nachdem Lars mit einem Gutachter alles durchgerechnet hatte, wollte er von der Kaufabsicht zurücktreten. Finanziell überstieg die gesamte Anlage das geplante Budget um mehr als 100000 € und da sie beide schon Mitte 40 waren, hatte er, der Vernünftige, Bedenken sich zu übernehmen. Doch hier hatte er nicht mit der Überzeugungskraft und der Energie seiner Ehefrau gerechnet. Sie war nicht leichtsinniger als er, doch erst einmal von einer Sache begeistert, entwickelte sie einen Ideenreichtum, der unschwer zu überbieten war. Innovation ist alles, war ihr Motto und letztendlich hatte sie ihren bodenständigen Lars davon überzeugt, den Schritt zu wagen, und sich diesen Traum zu erfüllen. Ihre Mädels waren begeistert gewesen, denn endlich konnten ihre Pferde bei ihnen zu Hause stehen und mussten ihr Dasein nicht in einem Pensionsstall verbringen, Tim dagegen fand es eher nervig so richtig aufs Land zu ziehen, noch nicht einmal Nachbarn zu haben, geschweige denn irgendwelche Freizeitaktivitäten wie Kino oder Eisdiele in der Nähe zu wissen. Er teilte die Liebe zu den Tieren nicht wirklich, Pferde machten ihm Angst, und er hatte manchmal schon Bedenken seine Eltern und Geschwister würden irgendwann einmal anfangen zu wiehern, besessen wie sie von diesen Tieren waren. Das einzig Positive an dem Hof war die Bushaltestelle direkt vor der Einfahrt, so dass Tim durchaus die Möglichkeit hatte, problemlos zur Schule und nachmittags zu seinen Freunden zu kommen. Seit zwei Jahren hatte sich die Situation für ihn noch immens verbessert, da er jetzt einen gedrosselten Motorroller sein eigen nannte und er mit stolzen 25km durch die Landschaft brausen konnte. Inzwischen war er 17 und gerade dabei seinen Führerschein zu machen, also die Zeit arbeitete für ihn. „So, Papa, da sind wir, schau hin, der Hof ist gekehrt, wie es sich gehört“, Tim wusste, dass sein Vater sehr viel Wert auf Ordnung legte und war heute sogar freiwillig nach draußen gegangen, um den Hof zu fegen. Lars stieg aus dem Auto und atmete erst einmal tief durch. Es war wirklich geschafft. Zum wiederholten Male an diesem Tag dachte er, endlich daheim, doch jetzt war er wirklich angekommen. Er schaute zum Stall, wo die Pferde ihre Köpfe aus den halboffenen Stalltüren hängen ließen und fühlte sich einfach nur glücklich. Sein Blick richtete sich auf das Wohnhaus, und er musste schmunzeln. Claudia hatte wieder einmal versucht, die Blumenkübel vor der Eingangstreppe mit Frühlingsblumen zu bepflanzen. Sie bewunderte immer wieder die saftig blühenden Pflanztröge anderer Bauernhäuser und startete alljährlich einige Versuche, ein Blütenmeer zu zaubern. Seine Frau hatte bestimmt viele Talente, die Hege und Pflege von Pflanzen gehörte aber mit Bestimmtheit nicht dazu. „Na Schatz, du hast aber wunderschöne Osterglocken in deinen Schalen, das ist ja eine wahre Pracht“, Lars kniff seiner Frau in die Seite und lachte. Claudia blickte zu ihren mageren Pflänzchen und entgegnete trocken: „Schön dass du wieder da bist, mein Schatz, ich habe extra dafür gesorgt, dass dich Blumen willkommen heißen und du weißt es nicht zu würdigen.“ Auch sie musste lachen. Lars ging zu einem der Töpfe und rupfte eine der wenigen Osterglocken ab. Er steckte sie seiner Frau ins Haar und sagte: „So ihr Lieben, nun seid mir bitte nicht böse, aber ich möchte jetzt erst einmal eine Hofrunde machen. Ich werde den Pferden Heu füttern, bei den lieben Hühnern vorbeigehen und einfach mal Heimat atmen. Ihr könnt ja schon mal rein gehen, ich komme dann nach“. „In Ordnung, lass dir Zeit, wir bereiten schon mal das Abendessen vor, du weißt ja wo du uns findest“. Claudia war über das Vorhaben ihres Mannes ein wenig irritiert, aber sie ließ sich nichts davon anmerken. Warum wollte er allein seine Runde machen, warum nahm er sie nicht mit? Schließlich stand ein neues Pony im Stall, das er noch nicht kannte und sie hätte es ihm gerne gezeigt. Auch Carolina wäre liebend gern mit in den Stall gegangen um ihrem Vater von ihrem Major Tom zu berichten, welches Training sie gerade mit ihm machte und wie er sich anstellte. Der 9jährige Wallach war ein wichtiges Bindeglied in der Beziehung von Lars zu seiner ältesten Tochter. Er war ein gutes Springpferd, das Carolina selbst ausgebildet hatte. In den Sommermonaten nahm sie mit ihm fast jedes Wochenende an Turnieren teil. Ihr Vater begleitete sie immer und obwohl er selbst nie geritten hatte, war er Carolinas bester Assistent und Helfer. Auch zuhause unterstützte er seine Tochter in ihrem Hobby wann er immer es nötig war, er mistete und longierte den Wallach und konnte mit seiner Tochter zusammen stundenlang einzelne Parcours besprechen, Fehler erörtern und nach Verbesserungen suchen. Lars hatte sich im Laufe der Jahre ein hohes theoretisches Wissen angeeignet, war nach Möglichkeit bei Reitstunden und Lehrgängen immer dabei. Nur mit der Praxis hatte es nie geklappt. Carolina hatte zwar versucht, ihm das Reiten beizubringen, aber Lars hatte kapituliert. Seither bewunderte er alle Reiter noch mehr für ihr Können, denn bei seinen wenigen Versuchen hoch zu Ross, kam er sich eher vor, als würde er auf einer Rüttelplatte sitzen, als auf einem Pferd. Lars betrat den Pferdestall, griff zur Heugabel, die wie immer auf ihrem Platz stand und begann routiniert eine große Portion Heu von dem im Stall befindlichen Rundballen abzunehmen. Er schob das Futter vor den Boxeneingang von Major Tom und öffnete die Tür. Der Wallach war sofort bei ihm und schnaubte vertrauensvoll. Lars betrat die Box und klopfte dem Tier zärtlich den Hals „Na, alter Junge, kennst du mich noch?“. Das Pferd senkte den Kopf und begann genüsslich zu fressen. Lars liebte das Geräusch der malmenden Pferdezähne und fühlte sich unglaublich wohl. Er verharrte noch einen Augenblick bei dem fressenden Pferd und ein Gefühl der Zufriedenheit breitete sich in ihm aus. Würde es ihm gelingen, das Vergangene zu vergessen, konnte er es schaffen, das Erlebte zu verarbeiten, ohne viel darüber reden zu müssen. Er hoffte es so sehr, all diese Bilder in seinem Kopf zu vergessen, und in diesem Moment glaubte er fest daran, dass es ihm gelang. Ein aufgeregtes Wiehern und Scharren aus den Nachbarboxen riss ihn aus seinen Gedanken. „Okay, Jungs, ich komm ja schon, ist ja auch wirklich gemein, der Große mampft hier vor sich hin und ihr habt Angst, nichts abzubekommen. Er bereitete zwei weitere Mahlzeiten vor und fütterte die Ponys. Eines der beiden kannte er noch gar nicht, doch der kleine Schecke war ihm auf Anhieb sympathisch. „Na, du bist ja ein ganz Feiner, da muss ich doch gleich mal drinnen nachfragen, ob du mit deinen kleinen Reitern auch so nett umgehst, wie du aussiehst“. Lars verließ den Stall. Er schaute noch bei den Hühnern vorbei, kontrollierte die Tränke und gab ihnen einen Becher Körnerfutter. Alles war wie immer und doch so neu, die Ruhe in ihm verstärkte sich. Alles war so wie er es erwartet hatte, ordentlich und gepflegt. Nichts deutete darauf hin, dass hier in der jüngeren Vergangenheit etwas oder besser gesagt jemand gefehlt hatte. Lars wusste, dass er sich hierüber freuen musste, doch in ihm machte sich ein Gefühl der Entbehrlichkeit breit gegen das er sich nicht wehren konnte. Er schüttelte den Gedanken ab und machte sich auf, das Haus zu betreten. Auch hier war alles in bester Ordnung doch für seine Begriffe etwas zu aufgeräumt. In ihm entstand der Eindruck, seine Familie habe einen Besucher erwartet. Alles stand an seinem Platz und wirkte geordnet. Es gab ihm einen Stich ins Herz als er den Flur betrat. Dort wo immer die gemütliche Hundedecke gelegen hatte, stand nun eine neue Grünpflanze. Boomer, ihr treuer Gefährte, war kurz nach Weihnachten gestorben und diese Nachricht hatte ihn schon damals tief berührt. 14 Jahre hatte der Mischlingsrüde bei ihnen gelebt, ihn auf ungezählten Spaziergängen begleitet und ihn in regelmäßigen Abständen zur Weißglut gebracht, da Bommer gerne seine eigenen Wege ging und nicht immer zu seinem Herrchen zurückkehrte. Suchen musste man ihn allerdings nie, denn er fand den Weg nach Hause und begrüßte seine Menschen nach einer ausgiebigen Erkundungstour schwanzwedelnd auf dem Hof. Er war ein richtiger Filou, dem man einfach nicht böse sein konnte. Doch im vergangenen Winter war er eines Tages nicht von seiner Spritztour zurückgekehrt. Nachdem auch eine ganze Nacht vergangen war und es draußen ziemlich kalt war, hatte sich die Familie auf die Suche begeben. Stundenlang waren sie durch die Gegend gestreift und hatten ihn letztendlich leblos am Ufer der Eder gefunden. Er lag zusammengerollt im abgestorbenen hohen Gras, so als hätte er sich ausruhen wollen. Eine abschließende Obduktion durch den Tierarzt bestätigte, dass es kein Fremdverschulden am Tode des Hundes gab. Sein altes Herz hatte einfach nicht mehr mitgemacht, und er war im Schlaf gestorben, da wo er am liebsten war, in der freien Natur. Claudia und ihre Kinder waren sehr traurig gewesen, aber es beruhigte sie zu wissen, dass er ein friedliches Ende gefunden hatte. Seither war der Platz im Flur leer und Claudia hatte mit der neuen Pflanze ein wenig für Ablenkung sorgen wollen. Lars stand einen Moment im Flur und dachte an seinen Hund, als das Telefon läutete. „Papa, los komm, das ist sicherlich Mareike. Sie will doch auch endlich wissen, dass wir dich wieder haben“. Carolina drückte ihm den Hörer in die Hand und er nahm ihn freudig
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