Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt


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auf Ihren Apparat!«, sagte ich. »Das Ding wird abgeschaltet.«

      »Wie Sie wollen.«

      Ich zog den Stecker aus der Dose. Gleich darauf gab es einen schrillen Läuteton, der sich anhörte, als brause die Feuerwehr durchs Zimmer – nur nervtötender.

      Kofler kam aus dem Raum. »Was ist denn passiert?«, fragte er verdutzt. Ich schob den Stecker zurück in die Wandsteckdose. Augenblicklich verstummte das Läuten. Die Explosion, wenn das Ding wegen Überhitzung hochging, würde auch nicht viel lauter sein.

      »Eine technische Panne. Gehen Sie nach unten und verständigen Sie F.«, sagte ich, zu Kruschinsky gewandt. »Er soll einen Techniker herüberschicken. Und wir, Professorchen, setzen uns an den Tisch und unterhalten uns ein wenig über Ihre Vergangenheit.«

      »Ich würde gern an meinem Buch weiterarbeiten«, wandte Kofler ein.

      »Verschieben Sie‘s auf später.«

      Er musterte mich von der Seite, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich kopierte seinen Kopftick und ging voran (manchmal konnte ich das gleiche Ekel sein wie F., und mir war klar, dass es sich dabei um eine Art Flucht nach vorn handelte – Vorwärtsstrategie –‚ wenn etwas gegen meine Neigung und mein Gefühl ging. Ich hatte ein ungutes Gefühl, den Mann zu verhören, so etwas, wie Vorahnung.

      Als wir in sein Zimmer kamen, sah ich, dass ein Laurel & Hardy-Film lief. Kofler hatte eine der Kassetten in das Videogerät eingelegt.

      So dringend konnte es mit der Arbeit also nicht sein. Er machte keine Anstalten, den Film auszuschalten, als wir uns setzten, obwohl die Fernbedienung vor ihm lag.

      »Also gut, machen wir da weiter, wo wir aufgehört hatten. Wie war Ihre ideologische Position – ich meine, die Auffassungen, die Sie öffentlich vertraten –‚ ehe man Sie in die DDR abschob?«, fragte ich. »Was warf man Ihnen vor?«

      »Nun – zunächst sprach mir das Professoren-Kollegium einen Verweis aus. Man unterstellte meinem Zirkel, er sei gewalttätig.«

      »Wie übrigens auch hier im Westen. Man munkelt von einer Verbindung zum terroristischen Untergrund.«

      »Davon weiß nicht nichts.«

      »Wir könnten Ihnen Beweismaterial vorlegen.«

      »Ich besitze keinen Einfluss auf jene Gruppen im Westen, die unter meinem Namen einen sogenannten ‘Dritten Weg’ ins Leben rufen wollen«, erklärte er ärgerlich. »Vermutlich handelt es sich um ein Missverständnis, eine Fehlinterpretation meiner Lehre.«

      »Oder geben Sie sich nur als Taube, weil Sie befürchten, man könne Ihnen sonst die Einreise verwehren? Dieser Verdacht wäre unbegründet. Wir sind ein freies Land. Es gibt einen Rechtsanspruch auf politisches Asyl.«

      »Die Öffentlichkeit wird meine Einreise erzwingen«, sagte er. Zum ersten Mal glaubte ich so etwas wie den Originalton-Ost aus seiner Stimme herauszuhören. Gegen den fast liebenswert-großväterlichen Eindruck, den er vorher gemacht hatte, wirkte es wie eine kalte Dusche. Falls es sich überhaupt um Kofler handelte, war er eine schillernde Persönlichkeit.

      »Könnten Sie Ihre Position erläutern?«

      »Ich vermeide es nach Möglichkeit, mich ideologisch festzulegen.«

      »Dann allerdings verstehe ich nicht, warum man drüben solchen Wert darauf legte, Sie loszuwerden.«

      »Oh, das hat wohl eher persönliche Gründe«, sagte er.

      »Die wären?«

      »Meine beiden Töchter. Sie setzten das Gerücht in die Welt, ich sei der maßgebliche polnische Dissident – Führer und Sprachrohr einer erst noch zu gründenden Opposition, die weit über die Ziele der Gewerkschaftsbewegung hinausgehen würde. Sie sind beide politisch ein wenig überengagiert. Was sie drüben publik machten, entsprach wohl eher dem Wunschbild ihres Vaters – so wurde ich ohne mein Zutun zu einem Zielpunkt der öffentlichen Kritik.«

      »Das alles geschah, nachdem Sie den Lehrstuhl für Sozialpsychologie übernommen hatten? – also nach dem Parteiaustritt, den ersten Verwarnungen, dem Ressortwechsel und Ihrem Eintritt in die Gewerkschaftsbewegung?«

      »Ja, es war später.«

      »Aber ahnten Ihre Töchter denn nicht, in welche Gefahr sie Sie damit brachten?«

      »Der Vater ist in den Augen von Töchtern entweder ein Held oder ein Schlappschwanz. Ist er ein Held, kann man ihm alles zumuten.«

      »Danach war Ihre Oppositionellen-Rolle eher harmlos? Sie waren ein Führer ohne Gefolgschaft – von Ihren Töchtern und diesen obskuren Zirkeln an der Universität einmal abgesehen? Doch allein während der Zeit Ihres DDR-Aufenthaltes entstanden in verschiedenen Teilen unseres Landes Gruppen, die Ihren Namen für sich reklamierten. In zwei Bundesländern bewarben sie sich als Partei und überwanden bei Nachwahlen die Fünfprozentklausel. Prognosen für die nächste Bundestagswahl sagen voraus, dass die Bewegung – Ihre Führung vorausgesetzt – stark genug würde, eine weitere koalitionsfähige Partei abzugeben. Etwas, das die Parteienlandschaft unabsehbar verändern könnte – verändern im Sinne des Ostens. In Anbetracht der Tatsache, dass Ihre ideologische Position anscheinend eher zweideutig ist – sie scheint eine Art Sammelbecken für alle möglichen linken Ideologien zu sein – ist dieser Erfolg bemerkenswert. Worauf führen Sie ihn zurück?«

      Er zuckte die Achseln. »Das alles geschieht nicht wirklich in meinem Namen. Ich habe keinerlei Verbindung zu diesen Leuten.«

      »Jede Revolution, die nicht von der Partei geführt wird, ist nach marxistisch-leninistischem Grundsatz eine Konterrevolution, selbst wenn sie auf dem Boden des Marxismus steht. Daher schob man Sie ab. Das ist nur plausibel. Doch ergab sich dabei für die Parteiführung nicht ein wünschenswerter Nebeneffekt?«, erkundigte ich mich.

      »Worauf wollen Sie hinaus?«

      »Was der Osten nicht akzeptieren konnte – im Westen musste es den Männern im Kreml als interessante Alternative erscheinen.«

      »Diesen Einfluss besitzen alle politischen Flüchtlinge, sofern sie sich nicht völlig von der marxistischen Weltanschauung distanziert haben. Ich sehe nicht recht, was daran ungewöhnlich sein soll?«

      »Um meine eingangs gestellte Frage selbst zu beantworten, worauf ihr bemerkenswerter Erfolg zurückzuführen war – es ist Ihre Persönlichkeit. Sie haben Führungsqualität. Sie können kontroverse Meinungen vereinigen, Kompromisse herbeiführen.«

      »Warum interessiert Sie das?«, fragte er. Sein Kopftick hatte sich plötzlich verstärkt. Die Spannung in seinen Zügen löste sich erst wieder, als es den beiden Komikern auf dem Bildschirm gelungen war, sich gegenseitig große Stücke Sahnetorte ins Gesicht zu werfen …

      »Routinefragen.« Ich schob die Papiere vor mir auf dem Tisch zusammen und erhob mich.

      Plötzlicher Abbruch, Neuaufnahme und Wiederholung von Fragen würden ihn noch einige Tage lang in Atem halten. Es war die altbekannte Verhörtaktik, die fast alle Delinquenten nervös machte. Man näherte sich mit unerträglicher Langsamkeit dem eigentlich Kern des Verdachtes. Und jedes Mal glaubten sie, nun sei es endlich soweit.

      »Ach, übrigens – wie geht es Ihren Töchtern jetzt?«, fragte ich von der Tür her.

      »Sie sitzen in einem Krakauer Gefängnis«, sagte er mürrisch.

      5

      Nachdem ich mich in meinem Zimmer aufs Bett gelegt hatte, warf ich einen Blick in die Papiere aus der Zentrale. Das Dossier stimmte mit den Daten aus dem L.D.A. überein.

      Die Nachricht aus der Roßstraße wiederholte nur, was wir schon wussten: Man würde eine wichtige Einschleusung vornehmen. Da es sich um einen »Messias« handelte, konnte man nicht auf die übliche Weise verfahren und ihn mit falschen Papieren ausrüsten oder als Doppelgänger einer bereits in der Bundesrepublik lebenden Person ausstaffieren. Um im Westen Fuß fassen zu können, musste


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