Veränderungen von Verhaltensstandards im Bereich familialer Erziehung und Sozialisation seit 1945. Winfried Wolf
doch „patriarchalische Distanz“ und „unverletzliche Autorität“ sind nach wie vor notwendig, denn Kinder brauchen und wollen „eine feste Hand“ (vgl. 8/56/483).
Der „moderne Mann“ legt nun aber „keinen unbedingten Wert (mehr) darauf, allein die Autorität in der Familie auszuüben“. Er entdeckt für sich in der Familie neue Betätigungsfelder: er „interessiert sich für die Inneneinrichtung seiner Wohnung (ehemals eine Domäne der Frau), er beschäftigt sich mit Erziehungsproblemen, hilft im Haushalt und führt Reparaturen aus.“ (6/59/547) Zwar ist die Pflege und Erziehung der Kinder noch immer Angelegenheit der Frau, doch bleibt der Mann nicht mehr ganz unbeteiligt: beim neugeborenen Kind beschränkt sich seine Mithilfe noch darauf „still das Kleine zu betrachten“, denn „er fühlt sich etwas ratlos und weiß nicht recht, was er mit dem Säugling anfangen soll.“ (11/57/784) Auch beim Kleinkind erschöpfen sich die „Aufgaben des Vaters... noch im Umhertragen oder –führen und im gelegentlichen Spielen.“ „Die Macht, die er aufgrund seiner Vaterstellung besitzt“, hindert ihn zuweilen daran, eine gute Beziehung zu seinem Kind aufzubauen, denn im Kind kann das Gefühl erweckt werden, „dass es dem Vater hilflos ausgeliefert ist.“ (11/57/785)
Mit dem größer werdenden Kind nimmt dann die Bedeutung des Vaters als Erzieher zu. Er wird zur „richtenden Autorität“, dem am Ende eines Tages die Sünden der Kinder vorgetragen werden. Doch soll sein Strafgericht nicht „in Prügeln ausarten“. Der gute Vater zeigt sich vielmehr interessiert: „Wenn er sich die Pantoffeln bringen lässt, auf das kindliche Geplauder eingeht und den vielen Fragen standhält, gar noch etwas basteln hilft oder vorliest, werden sich die Kinder auf sein Heimkommen freuen.“ (11/57/785)
Das Vater-Sohn-Verhältnis
Eine besondere Aufgabe wächst den Familienvätern noch in der geschlechtsspezifischen Erziehung der Kinder zu. Vater und heranwachsender Sohn besprechen die ernsten Dinge des Lebens: Beruf, Politik, unter Umständen auch die Freundschaften des Sohnes und erste Liebesabenteuer. In der „Männerecke“ unterbreitet der Vater dem Sohn seine Pläne und Vorstellungen über dessen Zukunft. Der Sohn wird mit den Absichten des Vaters nicht immer einverstanden sein; dann gilt für den Vater: „Geduld haben, beraten, zuhören und wenn nötig, einlenken.“ (vgl. 3/55/149) „Natürlich wäre es schön, wenn Hans unseren Betrieb weiterführte, und in den allermeisten Fällen“, meint der Ratgeber, „wird es auch das Vernünftigste sein. Wenn er aber eine ausgesprochen andere Begabung und Neigung zeigt, so sollte er (der Vater, d. V.) ihn nicht zwingen...“ (3/55/148)
Der Mann im Haushalt:
Neben der Erziehung der Kinder ist der Vater und Ehemann der fünfziger Jahre auch schon bei der Mithilfe im Haushalt gefordert. Noch gilt vielen Vätern und Söhnen jede Haushaltsarbeit als zutiefst „unmännlich“ und – wie der Ratgeber zu berichten weiß – nicht „wenige Mütter unterstützen diesen ‚Antihaushaltskomplex’“. Es scheint sich jedoch die Überzeugung durchgesetzt zu haben, dass „auch das Haushaltsjoch zwei- und dreispännig getragen“ werden muss (vgl. 9/56/553). Genügt es doch schon, „wenn er wenigstens im Haus die Schwerarbeit verrichtet und je nach seinem individuellen Vermögen... da und dort mit das Geschirrtuch und den Staubsauger schwingt, den Teppichklopfer bedient, die Heizung versorgt, die Kehrrichtkübel fortbringt...“ (9/56/553)
Sollen Männer auch kochen können? Ja, wenn Not am Mann ist und „nur als festliche Ausnahme... etwa am Sonntag oder im Ferienhaus, auf der Skihütte oder als Junggesellenhobby“. Und es gibt noch eine Rechtfertigung für die kochenden Männer: „Frauen mögen ausgezeichnet kochen können, Phantasie und eine feinere Zunge haben wir (Männer)“ (11/55/698)
II. Erziehungsgrundsätze
Von welchen Grundsätzen der Erziehung sollten sich nun die Eltern der 50er Jahre im Allgemeinen leiten lassen? Zunächst einmal sollten Eltern wissen, dass die Erziehung der Kinder nicht erst mit dem dritten Lebensjahr beginnt, sondern bereits im Säuglingsalter. Der Ratgeber sieht sich genötigt gelegentlich darauf zu verweisen; vor allem, wenn man vermeiden will, dass sich unbeabsichtigte Folgen einstellen. Die „Grundlage der Erziehung“, rät er seinen Lesern, „muss in dieser Zeit (im Säuglingsalter, d. V.) gelegt werden, wenn man vermeiden will, dass Kinder sich zu Haustyrannen oder zu ungeordneten Schwächlingen entwickeln“ (8/54/375).
Körperliche Züchtigung ist zur Erreichung dieses Zieles mitunter notwendig. Eine erfahrene Mutter rät ihrer Freundin: „Bei Kindern in den ersten Lebensjahren kommst du ohne Schläge oder sagen wir besser Klapse, aber nicht aus. Das Gehorchen ist ja eine Sache der Einsicht... ein kleines Kind besitzt aber diese Einsicht noch nicht... Wenn Du auf diese Weise deinem Kind beigebracht hast, zu folgen, erübrigen sich in späteren Jahren die Klapse von selbst“ (7/58/574).
Wie stellt sich der Ratgeber der Meinung seiner Leser, dass „eine Ohrfeige zur rechten Zeit oft besser“ sei, als „die heute hochgepriesene Humanitätsduselei“? Sein diplomatischer Kommentar: „Viele Eltern glauben auch heute, dass man mit Härte besser erziehe als mit Weichheit. Diese Einwände lassen wir gelten, stellen Ihnen aber die Tatsache gegenüber, dass sich ein ruhiges und stetes Lernen nur in einem Mantel der Geborgenheit und Sicherheit vollziehen kann“ (6/58/497).
Zwischen Strenge und Nachgiebigkeit muss in der Erziehung der rechte Weg gefunden werden, denn „allzu große Nachgiebigkeit aber auch Strenge führen oft zum Verlust der Liebe der Kinder für ihre Eltern (4/56/252). „Das Wort Respekt“, bedauert der Ratgeber, „hat heute oft sehr zu Unrecht, keinen guten Klang mehr. Denn ebenso wie Kinder eine feste Hand brauchen und wollen, ebenso haben junge Menschen Sehnsucht, zu ihren Eltern in Ehrfurcht aufsehen zu können. Es ist schon etwas an der patriarchalischen Distanz und der unverletzlichen Autorität des Eltern-Kind-Verhältnisses“ (4/56/252). Besorgt fragt sich der Ratgeber, ob sich der Vater auch wirklich noch bemüht „die ausgleichende Autorität“ in der Familie zu sein, „auf die man sich unbedingt verlassen kann“, denn gerade sie scheint nötiger denn je zu sein, ist doch bereits eine „zu große Nachgiebigkeit der ‚modernen’ Eltern“ zu konstatieren. „Bei aller Respektierung des freien Willens und der möglichst frühzeitigen Charakterbildung“, fährt der Ratgeber fort, „kann man nun einmal Kindern nicht alles erlauben...“ (3/58/220f).
Die Eltern werden immer wieder dazu angehalten ihre Kinder nicht zu „verwöhnen“. „Kindern“, so weiß der Ratgeber zu berichten, „werden Fehler oft zu gerne und zu schnell vergeben“, geboten aber ist vielmehr Konsequenz und gütige Strenge sowie eine frühe Erziehung zum Verzicht.
Ein unentbehrlicher Helfer in der Erziehung erwächst den Eltern im Gewissen der Kinder. „Weiß der Erwachsene es sich zu Nutze zu machen, wird er in seiner Erziehungstätigkeit durch das Kind selbst entlastet. Selbstverständlich erhält er weiterhin die Verantwortung für das Tun des Kindes. Mit der Erziehung zur Selbsterziehung kann schon frühzeitig begonnen werden, indem man sein (des Kindes) Gewissen zu seinem Richter über Gut und Böse macht... Gewohnt, sich selbst mit seinem Gewissen auseinanderzusetzen, wird ein solches Kind sein Verhalten auch gegenüber der Umwelt der Selbstkontrolle unterziehen“ (6/56/394). Ein anderer Ratschlag an die Eltern wie man durch „unmerkliche Lenkung“ die Kinder zum erwünschten Verhalten hin beeinflussen kann, bedient sich der psychologischen Einsicht, dass man durch wohldosierte Verabreichung von Lob und Tadel und selektive Verstärkung mehr erreichen kann, als durch eine allzu starre Erzieherhaltung. Selbstbeherrschung und Situationskontrolle ermöglichen erstaunliche Erfolge: „Eine kluge Mutter“, meint der Ratgeber, „kann ihre Kinder um den Finger wickeln, wenn sie sich soweit überwindet, eine kleine Unart ausnahmsweise gar nicht zur Kenntnis zu nehmen und im gleichen Augenblick eine ganz andere Sache lobend anzuerkennen“ (2/56/121).
„Richtig“ erziehen heißt für den Ratgeber der 50er Jahre vor allem: Konsequenz zeigen, Nachgiebigkeit gegenüber den Kindern vermeiden, die Kinder früh zur Selbstkontrolle anhalten – heißt „Führung“ aus dem Wissen um eine „unverletzliche Autorität“ der Eltern heraus. „Wir müssen uns zur Aufgabe machen“, schreibt der Ratgeber 1957, „diese Jugend an die Hand zu nehmen mit Geduld und Einsicht, mit Liebe und Vertrauen, mit Verständnis für die besonderen Probleme