Raju und Barbara. Wilhelm Thöring
der Wohnung – dafür gäbe es in Indien reichlich Leute, die dankbar für den hier üblichen Lohn wären.
„Und dieser Lohn, Bärbel, wird uns nicht zu Einschränkungen zwingen“, das sagte er mit seinem Lächeln, das seine Wirkung noch nie auf sie verfehlt hat. „Du hast deinem Bruder geschrieben, dass er dir Knollen und Samen schickt. Gut. Aber so etwas muss in die Erde, es muss täglich gepflegt werden, es muss gegossen, muss gedüngt und aufgebunden werden – und das, Bärbel, ist grobe und anstrengende Gartenarbeit. Die kann ein anderer machen!“
Daraufhin sind der Koch Pran und Ashim als Gärtner ins Haus gekommen. Mit Ashim ist vereinbart worden, vorerst nur zu kommen, wenn es nötig ist und er gerufen wird. Wie die Memsabib sich den Garten dachte, das begriff Ashim sehr schnell. Er entwickelte sogar den Ehrgeiz, voraus zudenken, wie sie sich dieses oder jenes vorstellt, wo ein Kübel mit einer Blume mit dieser oder jener Farbe stehen könnte – Ashim tat es von sich aus, weil Barbara daran ihre Freude hatte und ihn durch Raju loben ließ. Dagegen verkroch sich Pran in der Küche. Er zeigte an nichts anderem als an der Küche Interesse, nicht an den anderen Räumen, nicht an den Hunden, nicht einmal am Auto. Auch er gab sich Mühe, doch anfangs weigerte er sich, Speisen zu kochen die er nicht kannte; und es dauerte lange, bis er dazu bereit war und damit zurande kam. Er hatte eine Abneigung gegen Gerichte, die Barbara und auch Raju gelegentlich auf dem Tisch sehen wollten. Wenn deutsch gekocht werden sollte, dann standen die Hausfrau als Köchin und Raju als Dolmetscher in der Küche; schließlich konnte Pran sich überwinden und er versuchte, sich alles zu merken, was der Sahib, sein Herr, ihm sagte und erklärte.
Pran ist arm und hat sich deswegen nicht verheiraten können. Zudem lebt keiner mehr aus seiner Familie, durch den ihm eine Frau hätte vermittelt werden können. In seiner vorherigen Kochstelle, es soll bei einem Beamten der Bezirksregierung gewesen sein, hätte er sein Essen und eine Schlafmöglichkeit in einem schmalen Raum gehabt, in dem die Herrschaften alle möglichen Gerätschaften abstellten. Gelegentlich hätte er ein paar Rupien bekommen, um ausgehen zu können. Raju hat ihm einen festen Lohn versprochen, wenn er zu ihm käme und der Memsabib in der Küche helfen würde. Später würde er mit ihm die Mahlzeiten absprechen, dann würde ihm auch das Reich in der Küche überlassen. Erst hatte Pran Zweifel, schließlich willigte er ein. Und jetzt kauft er statt Raju ein: er läuft zu Shaha, dem Fischhändler, oder zum Gemüsehändler Dutta, die beide etwas weiter oben in der Straße ihren Stand haben. Hinterher rechnet er mit Raju ab. Es zeigt sich, dass Pran ehrlich ist.
Der Einzug von Rajus Eltern in Barbaras und Rajus neues schönes Haus hatte hinausgeschoben werden müssen. Und wie es schien, war es dem alten Vater nur recht gewesen. Ihm hat es überhaupt nicht gefallen, seine gewohnte Umgebung und die Menschen zu verlassen, die ihn hin und wieder um ärztlichen Rat fragten. Aber jetzt ist im prächtigen Haus hinter der weißen Mauer alles soweit geordnet, wie Raju und Barbara es sich vorgestellt und gewünscht haben, und nun können sie daran denken, die alten Eltern zu holen. Deren Zimmer in der oberen Etage sind eingerichtet. Barbara hat Ashim am Morgen angewiesen, ein paar schöne Blüten zu schneiden, die sie zur Begrüßung der Schwiegereltern in Schalen legen will. Und die beiden Hunde soll er, wenn die alten Herrschaften kommen, im Garten anbinden, denn der alte Sahib kann es nicht ertragen, beleckt oder angesprungen zu werden.
Vor dem großen Tor wartet Kali neben dem glänzenden Wagen. Gestern Nachmittag hat er ihn noch gewaschen, dann sofort in die Garage gefahren, damit er für heute, dem großen Tag, blitzsauber ist. Am Tor haben sich alle versammelt: Die Ninu, der Gärtner Ashim und Pran, der Koch. Als der Wagen im Staub verschwunden ist, meint Pran zur Ninu und dem Ashim, es würde Zeit, dass durch die beiden Alten dieses Haus zu einem echten indischen Haus werde.
Es ist dunkel geworden, als Rajus Wagen vor dem Eisentor hält. Himbeere, der wachsame Hund, hat ihn zuerst gehört und gleich zu bellen angefangen. Daraufhin hat Ashim das Tor weit geöffnet, dass die Herrschaft bis ans Haus fahren konnte. Barbara hilft der alten Mutter aussteigen. Der Vater lehnt ihre Hilfe ab. In allen Fenstern brennt Licht, und das sieht der alte Mann mit Unbehagen. Barbara eilt voraus auf die erste Stufe der Terrasse, um ihre Schwiegereltern in aller Form vor dem Haus willkommen zu heißen. Mit aneinander gelegten Händen und einem leisen: „Welcome, Abba, welcome, Maloos.“ (Sei willkommen, Vater/Mutter) beugt sie sich vor der Mutter, die als erste an der Terrasse ist, um deren Füße zu berühren, wie es die Sitte den Höherstehenden und älteren Menschen gegenüber verlangt.
Die Mutter ist darüber erschreckt; sie zieht Barbara in die Höhe, murmelt etwas zu Raju hin und nimmt das Gesicht der Schwiegertochter in ihre knöchernen Hände und sagt mehrmals eindringlich: „Jeeti raho, beti ...“
Immer noch Barbaras Gesicht haltend, flüstert sie: „Toba, beti ...“
„Was sagt sie“, wendet Barbara sich an Raju.
„Gott segne dich, Tochter“, antwortet er. „Und: dass du das nicht wieder machst. Du bist eine Europäerin, die kennt diesen Brauch nicht.“
Doktor Sharma weiß es zu verhindern, dass Barbara sich auch ihm ehrerbietig nähert; er beachtet weder seine Frau noch die Schwiegertochter, sondern betrachtet stumm und interessiert das Haus, in dem er fortan leben soll. Einmal geht sein Blick voller Abscheu dahin, wo die angebundenen Hunde bellen und winseln und an den Seilen zerren. Die Luft durch seine Zähne pressend, zischt er etwas gegen Ashim und die Hunde hin, so laut, dass alle es hören können, worauf die alte Frau den Schleier über das Gesicht zieht und sich abwendet.
Wenn sie alleine sind, will Barbara Raju fragen, was ihn so erzürnt hat, aber da hat sie es längst vergessen.
4
Seitdem Rajus Eltern in diesem Haus wohnen, ist Barbara still geworden, oft wirkt sie unsicher und bedrückt. Der Schwiegervater, der sich doch einmal ihr gegenüber verbindlich und freundlich gezeigt und auch mit ihr ein wenig geplaudert hatte, ist wieder in seine alte Verschlossenheit und Abneigung verfallen. Schweigend sitzt er in einem Sessel und beobachtet, was sich um ihn herum tut. Die Mutter hat ihre anfängliche Scheu abgelegt; wenn ihr etwas gefällt, oder wenn sie Barbara ermutigen will, dann lächelt sie ihr zu. Sie mag, dass die deutsche Schwiegertochter ihr allabendlich den Sari wäscht, den sie am Tage getragen hat. Vor allem freut es die alte Frau, dass die Schwiegertochter ihn eigenhändig bügelt und diese Arbeit nicht von einem Hausangestellten machen lässt. So gehöre es sich für eine indische Schwiegertochter, sagte sie dem Sohn, und es erstaune sie, dass seine deutsche Frau es ebenso halte. Mit dem indischen Personal spricht sie hin und wieder, auch mit den Hunden – mit der Schwiegertochter kann sie nicht sprechen, die versteht kein Bengali und sie selbst kann kein Englisch. Manchmal geht die alte Frau in die Küche, um nach dem Rechten zu sehen. Sie gibt dem Koch Anweisungen oder tadelt, wenn etwas nicht so gemacht wird, wie sie es kennt und für richtig hält. Lange hat Pran es hingenommen, bis ihm eines Tages der Geduldsfaden riss: Er ließ die halbfertige Arbeit stehen und setzte sich zum Gärtner Ashim in den Garten. Nein, mit der alten Memsahib wäre schwer auszukommen, brummte er, da arbeite es sich unter der jungen Frau doch besser, die ließe ihn gewähren und hätte nichts auszusetzen an seiner Arbeit und seinem Essen, sondern würde alles gut heißen, was er kocht und was er macht.
Barbara bat Raju, ihm gut zuzureden, wieder in die Küche zu gehen und seine Arbeit zu tun. Als die beiden Alten in ihren Zimmern waren, drängte sie Raju, der Mutter deutlich zu machen, dass in diesem Hause das getan wird, was sie anordnet, und dass sie sich zurückhalten möge.
„Sie ist eine alte Inderin, Bärbel. Sie glaubt, auch in diesem Haus das Sagen zu haben. So ist es in diesem Land, und so ist sie es gewohnt.“
„So? Savita, deines Bruders bequeme Frau, die lässt die Mutter in ihrem eigenen Haushalt gewähren – ja, sie bedient sie sogar und lässt es sich gefallen, von der Person herumgeschickt zu werden! Aber hier versucht sie die Dienstherrin zu spielen!“
Raju hat mit seiner Mutter gesprochen und die alte Frau hat begriffen, dass es in diesem Haus, dem eine Europäerin vorsteht, andere Regeln, andere Ordnungen gibt. Sie hat sich keine Verärgerung anmerken lassen, und in die Küche ist sie lange nicht mehr gegangen. Und wenn Ninu ein Zimmer, in dem die alte Frau saß, betrat, um ihre Arbeit zu tun, dann ist sie wortlos in ihre Wohnung hinaufgegangen.
Dafür