Fatale Manipulation. Duri Rungger
einer von zehn Investitionen einen grossen Coup landen könne, habe man Glück gehabt – und ausgesorgt. Du musst eben weiter investieren», riet ihm sein Begleiter.
«Dazu fehlt mir langsam das Kapital. Aber ich habe eine Möglichkeit, mich gesundzubeten. Die ‹RareMed› hat kürzlich vielversprechende Fortschritte gemacht, kommt aber anscheinend nicht mehr dazu, ihre interessanten Projekte fertigzustellen, bevor sie Pleite geht. Der Besitzer versucht nun, sich von Jaccard finanzieren zu lassen.»
«Und da willst du mitmischen? Gegen den sind wir doch Zwerge.»
Sutter hörte aufmerksam mit, was der hinterhältige Investor im Schilde führte. Immerhin war der Chef der «RareMed» ein Freund von ihm und erst noch an seinem Shuttle Protein interessiert.
«Ich habe Jaccard heute vorgeschlagen, die ‹RareMed› nicht zu sanieren. Wenn die Bude keine Finanzspritze erhält, könnte ich ihre Resultate günstig übernehmen und mit riesigem Gewinn weiterverkaufen. Ich habe Jaccard angeboten, ihm einen Anteil abzugeben.»
Sutter war nahe daran, diesem Dreckskerl seine Meinung zusagen. Er wurde von seinem Vorhaben durch eine junge Unbekannte abgehalten, die sich bei ihm einhängte. «Halte mich fest, sonst kratze ich diesem Aasgeier die Augen aus.» Sie sagte dies so laut, dass der Angesprochene es hören musste.
Sutter kam der Bitte nach und fasste die Aufgebrachte am Oberarm. Während sie weitergingen, musterte er seine neue Bekanntschaft verstohlen. Sie war klein und zierlich. Ihr krauser, schwarzer Haarschopf liess vom Gesicht nur die kleine, leicht aufgeworfene Nasenspitze sehen. Er wollte sie eben ansprechen, als er hörte, wie hinter ihnen der Begleiter des Intriganten diesen anfauchte: «Sie hat recht mit dem Aasgeier. Du bist ein mieser Spekulant und eine Schande für unsere ganze Gilde. Such dir eine andere Gesellschaft.»
Sutters Begleiterin stiess ihn mit dem Ellbogen derart heftig in die Seite, dass er sich krümmte. «Es tut gut zu hören, dass es noch ehrliche Leute gibt. Jetzt kannst du mich loslassen, aber darf ich eingehängt bleiben? Ich bin Silvia Grossmann.»
«Fred Sutter,» stellte er sich seinerseits vor. «Bist du in der Forschung tätig?» Aus ihrer vorherigen Reaktion nahm er dies als gegeben an.
Sie lächelte verlegen. «Wenigstens vorläufig. Ich weiss bloss nicht, wie lange noch.»
«Postdoc ohne Resultate, Assistentin auf limitiertem Posten, Angestellte eines Pleite-Unternehmens, oder Geburt des ersten Kindes und kein Platz in der KITA?», fragte Sutter unverblümt.
«Mit dem zweiten Vorschlag liegst du richtig. Es geht um einen auslaufenden Forschungskredit, von dem auch mein Lohn bezahlt wird.» Sie zögerte nicht, Sutter ihre Lage zu schildern: Nach ihrer Dissertation in Immunologie wollte sie neue Antibiotika entwickeln. Ein Assistenzprofessor in Basel hatte die Idee aufgenommen und zusammen mit ihr einen Forschungskredit beim Nationalfonds beantragt. Sie arbeitete zwei Jahre an diesem Projekt, als ihr Chef eine Professur in Deutschland erhielt. Er wollte sie zwar mitnehmen, doch ihr Thema passte nicht ins Programm des dortigen Instituts, und sie wollte es nicht fallen lassen. Wenigstens durfte sie an der Uni weiterarbeiten, bis der Kredit in knapp einem Jahr auslief. Eine Verlängerung war ausgeschlossen, weil ein Gesuchsteller beim Nationalfonds nicht den eigenen Lohn beantragen durfte und die Universität keine Verpflichtungen eingehen wollte.
«Ich habe ähnlich Sorgen. Meinem Start-up geht das Geld auch bald einmal aus. Darauf müssen wir nachher anstossen! Aber erzähl mir von deiner Suche nach neuen Antibiotika. Das ist heute vordringlich und niemand will sich damit beschäftigen.»
Silvia erklärte, dass sie aus allen möglichen und unmöglichen Organismen Pilzen, Algen, Pflanzen und afrikanischen Froscheiern Extrakte hergestellt habe. Nun sei sie daran zu prüfen, ob der eine oder andere dieser Stoffe fähig war, das Wachstum von Bakterien zu hemmen.
Sutter hatte selbst mit Xenopus gearbeitet und erkundigte sich, weshalb sie ausgerechnet in Eiern dieser Krallenfrösche nach Antibiotika suche. Sie erklärte, dass diese Tiere sich auch in verdrecktem Wasser entwickeln konnten und eine gute Abwehr gegen Infektionen besitzen mussten. Ob diese Resistenz einem Antibiotikum zuzuschreiben war, wusste sie noch nicht. Sie hatte schon aus verschiedenen Organismen Präparate herstellen können, die das bakterielle Wachstum hemmten. Nun musste sie nachweisen, dass es sich nicht bloss um Giftstoffe handelte, die man medizinisch nicht verwenden konnte. Solche Untersuchungen waren aufwendig und mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung standen, kaum zu bewältigen. Sie hoffte, an diesem Treffen ein Labor zu finden, mit dem sie zusammenarbeiten konnte.
Die junge Forscherin geriet in Rage: «Die Medizin hat nun neunzig Jahre lang Antibiotika für jede Kleinigkeit verwendet, Erkältungen, Ohrenschmerzen und andere Lappalien. Noch schlimmer, die Bauern füttern systematisch ihre Viecher damit. Jetzt haben sich resistente Keime entwickelt und immer mehr Leute sterben an banalen Infektionen. Natürlich werden die wenigen noch wirksamen Antibiotika jetzt vermehrt in der Schweinezucht eingesetzt und die pharmazeutische Industrie unternimmt wenig, neue Produkte zu entwickeln. Die sind nicht an Medikamenten interessiert, die leicht herzustellen sind und zu einem vernünftigen Preis abgegeben werden müssten. Pillen, die sie zu fünftausend Franken das Stück verkaufen können, sind da viel attraktiver.»
Sie waren vor dem Eingang des Hotels Les Trois Rois angekommen. In der Eingangshalle schlug Sutter vor: «Wollen wir zusammenbleiben, heute Abend? Ich sollte hier einen Freund treffen, der für dich interessant sein dürfte. Er teilt deine Ansichten und erforscht seltene Krankheiten, die für die industrielle Forschung anscheinend auch finanziell uninteressant sind. Vielleicht könnt ihr euch zusammentun.»
~
Die Ansprache zur Kongresseröffnung war kurz und knapp. Dafür war der Aperitif reichhaltig und der Champagner wurde freigiebig nachgegossen. Sutter fühlte sich wohl in der Begleitung seiner Zufallsbekanntschaft mit ihrem verschmitzten Kinderlächeln. Nur eines beunruhigte ihn. Sein Freund Peter Frei war nirgends zu sehen. Erst als er mit Silvia eine Runde durch das Vestibül drehte, sah er den Chef der «RareMed», der in Gesellschaft eines mächtigen Kolosses an einem Tisch an der Fensterfront zum Rhein sass. Sutter kannte den Giganten nur vom Sehen. Jaccard war in der Branche als zahlungskräftiger und weitsichtiger Investor bekannt. Das Gespräch schien beendet. Die zwei Männer verabschiedeten sich mit einem Handschlag. Sutter machte sich bemerkbar, und Peter steuerte sofort auf ihn zu.
«Fred, du glaubst es nicht. Jaccard hat mir soeben zugesagt, fünf Millionen in meine Projekte zu investieren – mit Aussicht auf weitere Darlehen. Wir haben schon lange davon geredet, doch er wollte sich erst später entscheiden. Doch heute, gleich bei meiner Ankunft hier im Hotel hat er mich angesprochen und erklärt, er wolle den Vertrag rasch abschliessen, natürlich vorbehaltlich einer genaueren Prüfung. Ein gewiefter Kenner der Branche habe ihm heute geschildert, wie weit die Forschung in der «RareMed» gediehen sei. Da habe er sich entschlossen, sofort einzusteigen.
Sutter glaubte, zu wissen, wer dieser Branchenkenner war, und bewunderte Jaccard für dessen Haltung. Silvia schien dasselbe zu denken und warf ihm einen verschwörerischen Blick zu. Erst jetzt wurde Frei auf sie aufmerksam und sah seinen Freund fragend an.
«Entschuldigt, dass ich euch nicht vorgestellt habe. Peter Frei, Silvia Grossmann. Ich glaube, ihr habt euch viel zu erzählen, aber zuerst stossen wir auf deinen Erfolg an, Peter. Dabei liefern Silvia und ich dir eine Hintergrundinformation zum raschen Sinneswandel deines Investors und über den gewieften Kenner der Branche, der ihn dazu bewogen hat.»
Die Teilnehmer wurden in den Speisesaal gebeten und, kaum hatten die drei sich gesetzt, kam Peter auf die Sache zu sprechen, die Sutter am Herzen lag: «Wir haben schon ein paar Mal darüber geredet, aber jetzt könnte ich es mir endlich leisten: Wie viel würdest du für die Nutzung deines anhängigen Shuttle Patents verlangen? Wir haben einige Gene isoliert, von denen wir vermuten, ihre Produkte könnten eine Krankheit positiv beeinflussen. Um ihre Wirkungsweise zu prüfen, müssen wir kleine Mengen davon herstellen. Dazu möchten wir deinen Gen-Transporter mit angehefteten Genen in den Blutkreislauf von Wachteln einspritzen, und könnten dann aus den Eiern die entsprechenden Proteine isolieren.
«Ich würde dir die Nutzung am liebsten gratis überlassen, zumindest bis du saftige Gewinne erzielst, aber ich kann mir das leider nicht