Fatale Manipulation. Duri Rungger
wird dir drei Monatslöhne überweisen und dich von der Gehaltsliste streichen. Adieu!»
«Das kannst du mir nicht antun, Fred. Ich finde so schnell keine neue Stelle.»
«Wir sind hier weder an einer Universität noch in einer grossen Firma, wo solche Vorkommnisse so lange wie möglich vertuscht werden. Vielleicht findest du eine Stelle in einem Institut, das nichts Rechtes zustande bringt. Davon gibt es ja einige. Ein sogenanntes Forschungsinstitut hat ja letzthin einem vermeintlich grossen Namen Unterschlupf gewährt, der gefälschte Resultate publiziert hat, und das ist bereits bekannt gewesen. Die Institutsleiter haben wohl gehofft, mit diesem famosen Zuzügler ihre mangelnde Reputation aufzupolieren. Aber für solche Aktionen bist du leider nicht berühmt genug.»
Otto stand auf und schlich aus dem Raum. Sutter winkte Juri zu, ihn zu begleiten, um zu verhindern, dass er Plasmide oder anderes wichtiges Material mitlaufen liess.
Sutter entliess die Sekretärin mit einer undankbaren Aufgabe: «Frau Widmer, Sie haben wohl einiges damit zu tun, drei Monatslöhne für Otto zusammenzukratzen, aber sie schaffen das bestimmt. Sonst müssen sie Herrn Draghi fragen, ob er Ihnen einige von den Banknoten abgibt, die er in Unmengen drucken lässt. Das merkt kein Mensch. Dafür lade ich Sie heute Abend zum Nachtessen im ‹Dolder› ein. Ich hole Sie um sieben bei Ihnen ab.»
«Du willst das Festessen nicht absagen?», fragte Céline überrascht, nachdem die anderen gegangen waren.
«Enttäuschungen spült man am besten mit einem guten Wein hinunter», meinte Sutter leichthin und fügte bei: «Zudem habe ich von Basel aus telefonisch einen Tisch für uns reserviert, und das Hotel Dolder ist im Moment in. Heute ist Nikolaustag und da gehen viele Leute auswärts essen. Wenn ich unsern Tisch leer lasse, komme ich auf die schwarze Liste, und als ehemaliger Star der Zürcher Cüpli Society kann ich mir das nicht leisten. Einen Grund zu feiern haben wir trotzdem: Die ‹RareMed› hat ein Gebrauchsrecht für unseren Shuttle erworben, um Proteine in Wachteleiern produzieren. Das gibt uns für ein paar Monate Luft.»
Nach einer kurzen Pause fasste er seine Kollegin am Arm. «Danke für dein knallhartes Einschreiten, Céline. Du hast uns vor dem Abgrund gerettet. Es wäre nur nett gewesen, wenn du mich vorgewarnt hättest.» Er schnitt ihre Entschuldigung mit einer Handbewegung ab. «Nein, es ist besser gewesen, einen Überraschungsangriff zu lancieren. Otto hätte vielleicht Wind davon bekommen, dass sich etwas gegen ihn zusammenbraut, und die Sache noch vertuschen können. Zudem wäre deine Intervention nicht so atemberaubend spannend gewesen.»
Juri kehrte zurück. «Otto ist gegangen. Jetzt brauche ich dringend einen Kaffee? Nehmt ihr auch einen?»
Nachdem sie den Espresso heruntergestürzt hatten, kam Sutter zur Sache: «Wir haben einiges zu besprechen. Nach dieser Pleite müssen wir uns neu orientieren. Juri, du übernimmst den Posten von Otto, und ich engagiere einen Tierpfleger. So kannst du, dich endlich voll einem eigenen wissenschaftlichen Thema widmen.»
Sutter hatte nicht mehr damit gerechnet, dass Ottos Versuch funktionieren würde, und sich schon lange zurechtgelegt, wie die Forschung der «KOKI» weitergehen sollte. Den Gentransport bei Säugern würden sie vorläufig ruhen lassen, bis ein Protein beschrieben wurde, das im Verlauf der Entwicklung in die Eizellen einwanderte. Célines bereits angelaufenes Projekt, Gene gezielt in adulte Körperzellen und vor allem kanzeröse Hautzellen zu transportieren, sollte fortgeführt werden. Das Ziel war, Krebszellen zu eliminieren, indem sie ein Gen einschleuste, das den programmierten Zelltod auslöste. Alternativ dazu wollte sie das P53 Gen einführen, das in vielen Krebszellen defekt war oder ganz fehlte. Durch das Einsetzen einer normalen Kopie dieses Gens konnte bösartiges Wachstum in vielen Fällen gehemmt werden. Sutter schlug nun vor, dass Juri mit dem gleichen Ansatz versuchen sollte, Brustkrebs zu heilen. Mausmodelle für diese Krankheit waren vorhanden und konnten angefordert werden. «Die Techniken sind ähnlich. So könnt ihr eng zusammenarbeiten und benötigt fast dasselbe Material, was uns hilft, Geld zu sparen. Aber jeder ist für sein eigenes Projekt verantwortlich.»
Er brauchte Juri, der vor Glück strahlte, nicht um Zustimmung zu bitten. Die Planung der technischen Details dauerte den ganzen Nachmittag, bis es Zeit wurde, sich für den vorgesehenen, den Umständen entsprechend reichlich grossspurigen Nikolausabend zurechtzumachen.
6 Vitamin B
Zur Feier des neunzigsten Geburtstags der Grossmutter hatte sich die Familie Durand in der «Domaine de Châteauvieux» in Satigny zu einem Festessen versammelt. Üblicherweise fanden solche Anlässe in bescheidenerem Rahmen statt, doch der neue Freund von Célines zehn Jahre älteren Cousine Eliane wollte seinen ersten Auftritt in der Durand Familie würdig gestalten und hatte die Geburtstagsfeier nach seinem Geschmack – und auf seine Kosten – organisiert.
Céline musterte neugierig Elianes sympathischen, ziemlich schwergewichtigen Freund, und ihre Mutter flüsterte ihr zu, er sei als Investor tätig und habe unglaublich viel Geld mit Immobiliengeschäften im Bassin lémanique gemacht. Gerüchten zufolge habe er einmal eine Liegenschaft am See für vierzig Millionen gekauft und zwei Monate später für das Dreifache wieder verhökert – und das sei nicht der einzige derartige Streich gewesen.
Das Essen war ausgezeichnet. Céline, die sich im Labor oft von Schinkenbroten ernährte, war es sich nicht gewohnt, reichhaltige Menüs zu verzehren und hatte das Bedürfnis, vor dem Dessert eine Zigarette zu rauchen. Im Hinausgehen zog sie ihr Feuerzeug und die Zigaretten aus der Handtasche. Der neue Freund Elianes bemerkte dies und folgte ihr. Im Raucherzimmer bat er den Kellner, zwei Armagnac zu servieren, und als Céline abwinkte, versicherte er: «Das ist gut für die Verdauung, und wenn du ihn nicht magst, trinke ich ihn.» Er setzte sich zu ihr, köpfte gekonnt eine Zigarre und zündete sie sorgfältig an. Nach den ersten Zügen brach er das Schweigen: «Wir sind noch nicht dazugekommen, uns kennenzulernen. Ich heisse Pierre Jaccard. Eliane hat mir gesagt, du seist Céline und würdest als Biologin in Zürich arbeiten, konnte mir aber nicht sagen, auf welchem Gebiet. Wie viele Aussenstehende nimmt sie wohl an, dass du Vögel beobachtest oder Ameisen zählst.»
«Nicht ganz! Ich bin Molekularbiologin und versuche mich in der biomedizinischen Forschung.»
«Das tönt interessant. Erzähl mir, worum es geht.»
«Ich arbeite in einem Start-up …» Céline zögerte und überlegte, wie sie einem völligen Laien ihre Arbeit erklären solle. Die Schwierigkeit bestand nicht darin, die Fragestellung und die Logik zu übermitteln, sondern in den vielen Fachausdrücken, die für die meisten Laien unverständlich waren und sie verwirrten. «Mein Chef hat ein Patent angemeldet betreffend ein Protein, das Gene selektiv in bestimmte Zelltypen transportiert», bemerkte sie einleitend.
Sie wollte zu einer längeren Erklärung ansetzen, doch Pierre unterbrach sie: «Dann heisst dein Chef Fred Sutter, und es geht um das Protein, das DNA bindet und in den Kern von Eizellen im Eierstock lebender Weibchen transportiert. Ich habe letzthin Sutters Patentanmeldung studiert, sehr interessant. Hat er inzwischen herausgefunden, wie er sein Gen-Taxi in Eizellen von Säugern hineinbringt?»
Céline brauchte eine Weile, ihre Überraschung zu überwinden. «Nein, wir haben es lange versucht, aber es ist uns noch nicht gelungen.» Sie hütete sich, Pierre von Ottos Betrug zu erzählen, und beschränkte sich auf die Aussage: «Es sind leider noch keine Liganden bekannt, die sich an Säuger Eizellen andocken und von diesen aufgenommen werden.»
«Schade, das wäre kommerziell wichtig. Die paar Franken, die Sutter von der ‹RareMed› für die Patentnutzung erhalten hat, sind ja nur ein Tropfen auf einen heissen Stein.»
«Du kennst dich besser aus als ich, zumindest in finanziellen Belangen. Wie kommst du dazu, Pierre?»
«Nun, ich finanziere bevorzugt biomedizinische Start-ups, und die ‹RareMed› ist eines davon.»
«Oh, da lade ich dich herzlich ein, uns einen Besuch in der ‹KOKI› abzustatten. Sutter sucht dringend einen neuen Investor.»
«Nicht so eilig. Zuerst möchte ich wissen, wie eure Projekte vorankommen. Die Unterlagen, die Sutter mir geschickt hat, sind schon ein paar Monate alt.»