Die Namenlosen. Уилки Коллинз

Die Namenlosen - Уилки Коллинз


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also ruhig hierbleiben.“

      „Kann er nicht“, sagte Magdalen. „Es hat auch mit ihm zu tun.“

      Mr. Francis Clare hatte sich bisher bescheiden im Hintergrund gehalten. Jetzt trat er mit einem Gesichtsausdruck der sprachlosen Verblüffung vor.

      „Ja“, fuhr Magdalen fort, wobei sie seinem leeren, fragenden Blick mit vollkommener Gefasstheit begegnete. „Du wirst auch mitspielen. Miss Marrable und ich haben es besprochen, und in fünf Minuten war alles erledigt. In dem Stück sind noch zwei Rollen zu besetzen. Die eine ist die Kammerzofe Lucy; das ist die Rolle, die ich übernommen habe – mit Papas Erlaubnis“, fügte sie hinzu, wobei sie ihren Vater heimlich in den Arm kniff. „Und er wird nicht nein sagen, oder? Erstens weil er ein Schatz ist; zweitens weil ich ihn liebe und er mich liebt; drittens weil es zwischen uns nie Meinungsverschiedenheiten gibt (nichtwahr?); und viertens weil ich ihm jetzt einen Kuss gebe, womit ihm der Mund verschlossen und sie ganze Frage geklärt ist. Du liebe Güte, ich schweife ab. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja! Ich wollte Frank erklären…“

      „Ich bitte um Verzeihung“, setzte Frank an in dem Versuch, an dieser Stelle seinen Protest anzubringen.

      „Die zweite Rolle in dem Stück“, fuhr Magdalen fort, ohne von dem Protest auch nur die geringste Kenntnis zu nehmen, „ist Falkland, ein eifersüchtiger Liebhaber mit einem schönen Redefluss. Miss Marrable und ich haben auf der Bank am Fenster im Vertrauen über Falkland gesprochen, während alle anderen sich unterhalten haben. Sie ist ein entzückendes Mädchen – so impulsiv, so empfindsam, so vollkommen unaffektiert. Sie hat mir vertraut und gesagt: ‚Wir sind in der misslichen Lage, dass wir keinen Gentleman finden, der sich mit den grässlichen Schwierigkeiten von Falkland auseinandersetzen kann.‘ Natürlich habe ich sie getröstet. Natürlich habe ich gesagt: ‚Ich habe den Gentleman, und er wird sich augenblicklich damit auseinandersetzen.‘

      ‚Du liebe Güte! Und wer ist das?‘

      ‚Mr. Francis Clare.‘

      ‚Und wo ist er?‘

      ‚Im Augenblick ist er hier im Haus.‘

      ‚Würden Sie so liebenswürdig sein, Miss Vanstone, und ihn holen?‘

      ‚Ich hole ihn, Miss Marrable. Mit dem größten Vergnügen.‘

      Ich bin von der Bank am Fenster aufgestanden…ich bin ins Frühstückszimmer gelaufen…Es hat nach Zigarren gerochen…Ich bin dem Geruch gefolgt…und da bin ich.“

      „Ich weiß, es ist eine Ehre, dass ich gefragt werde, ob ich mitspielen will“, sagte Frank in höchster Verlegenheit. „Aber ich hoffe, Du und Miss Marrable werdet mich entschuldigen…“

      „Ganz sicher nicht. Miss Marrable und ich sind von einer bemerkenswerten Charakterfestigkeit. Wenn wir sagen, Mr. Soundso wird in jedem Fall die Rolle des Falkland spielen, dann meinen wir es auch so. Komm’ rein, ich werde dich vorstellen.“

      „Aber ich habe noch nie Theater gespielt. Ich weiß nicht, wie man das macht.“

      „Das ist nicht von der geringsten Bedeutung. Wenn du nicht weißt, wie man es macht, komm’ zu mir und ich bringe es dir bei.“

      „Du!“, rief Mr. Vanstone. „Was verstehst du denn davon?“

      „Bitte, Papa, im Ernst! Ich habe die stärkste innere Überzeugung, dass ich in dem Stück jede Rolle spielen könnte – auch den Falkland. Ich möchte es nicht noch einmal sagen, Frank. Komm’ mit, ich stelle dich vor!“

      Sie nahm den Arm ihres Vaters und ging mit ihm zur Tür des Gewächshauses. Auf der Schwelle drehte sie sich um und wollte sehen, ob Frank ihnen folgte. Es war nur die Handlung eines Augenblicks, aber in diesem Augenblick mobilisierte ihre natürliche Willensstärke alle ihre Kräfte – sie stärkte sich mit dem Einfluss ihrer Schönheit – befehligte – und eroberte. Sie sah reizend aus: Das Rot ihrer Wangen war von einer zarten Helligkeit; die helle Freude leuchtete und glitzerte in ihren Augen; die Haltung ihrer Gestalt, die sich plötzlich von der Taille aufwärts umdrehte, offenbarte ihre zarte Kraft, ihre geschmeidige Festigkeit, ihre verführerische, schlangengleiche Anmut. „Komm!“, sagte sie mit einer kokett auffordernden Kopfbewegung. „Komm, Frank!“

      Die wenigsten Männer von vierzig Jahren hätten ihr in diesem Augenblick widerstehen können. Franks letzter Geburtstag war sein zwanzigster gewesen. Mit anderen Worten: Er warf die Zigarre weg und verließ hinter ihr das Gewächshaus.

      Als er sich umdrehte und die Tür schloss – und Magdalen für einen Moment aus den Augen verlor –, lebte seine Abneigung gegen eine Mitwirkung an privaten Theatervorstellungen wieder auf. Am Fuß der Treppe zum Haus blieb er stehen, pflückte von einer Pflanze in der Nähe einen Zweig, zerbrach ihn in der Hand und blickte unbehaglich um sich herum von einer Seite zur anderen. Der Pfad zur Linken führte zurück zum Haus seines Vaters – der Fluchtweg stand ihm offen. Warum schlug er ihn nicht ein?

      Während er noch zögerte, hatten Mr. Vanstone und seine Tochter die oberste Stufe erreicht. Wieder blickte Magdalen sich um – blickte sich um mit ihrer unwiderstehlichen Schönheit, ihrem alles erobernden Lächeln. Wieder winkte sie ihm; und wieder folgte er ihr – die Stufen hinauf und über die Türschwelle. Hinter ihnen schloss sich die Tür.

      Es war nur eine nichtssagende Geste der Einladung auf der einen Seite und ein nichtssagender Akt der Gehorsams auf der anderen: So schlugen sie – auf seiner Seite ohne jedes Wissen über das Geheimnis, das sich immer noch hinter der Reise nach London verbarg, auf ihrer ohne einen Gedanken daran – den Weg ein, der zur Aufdeckung des Geheimnisses führen sollte. Aber er sollte eine noch viel dunklere Wendung nehmen.

      Mr. Vanstones Erkundigungen über die vorgesehene Theaterunterhaltung in Evergreen Lodge wurden mit einer Erzählung über dramatische Katastrophen beantwortet. Darin verkörperte Miss Marrable die unschuldige Ursache, ihr Vater und ihre Mutter spielten die Rollen der wichtigsten Opfer.

      Miss Marrable gehörte zu den schlimmsten geborenen Tyrannen: Sie war ein Einzelkind. Ihren unterdrückten Eltern hatte sie kein ihnen zustehendes Privileg mehr eingeräumt, seit ihr erster Zahn durchgebrochen war. Jetzt stand ihr siebzehnter Geburtstag dicht bevor; sie hatte sich entschlossen, ihn mit der Aufführung eines Theaterstücks zu feiern und die entsprechenden Anweisungen gegeben; und ihre gefügigen Eltern hatten ihr wie üblich unausgesprochen gehorcht. Mrs. Marrable hatte das Wohnzimmer verloren gegeben, damit es durch eine Bühne und Zuschauersitze verwüstet werden konnte. Mr. Marrable hatte sich der Dienste einer angesehenen professionellen Person versichert, die mit den jungen Damen und Herren üben sollte und auch alle anderen Aufgaben übernahm, die sich mit der Schaffung einer dramatischen Welt aus häuslichem Chaos verbanden. Nachdem diejenigen, die dem Namen nach Hausherr und Hausherrin waren, sich außerdem daran gewöhnt hatten, dass Möbel zu Bruch gingen und die Wände verschmutzt wurden – an Rumpeln, Fallen, Hämmern und Schreien; an ständig knallende Türen und unaufhörlich treppauf-trepp­ab laufende Schritte –, glaubten sie, die hauptsächliche Unbill sei nun vorüber. Welch unschuldige, fatale Täuschung! Im privaten Kreis die Bühne aufzubauen und das Stück auszuwählen, ist das eine; ganz etwas anderes ist es aber, die Mitwirkenden zu finden. Bisher hatten sich in Evergreen Lodge nur die kleinen Unannehmlichkeiten gezeigt, die der Gelegenheit entsprachen. Aber Krach und ernsthafte Probleme sollten noch folgen.

      Nachdem man das Stück „Die Rivalen“ ausgewählt hatte, nahm Miss Marrable ganz selbstverständlich für sich die Rolle der „Lydia Languish“ in Anspruch. Einer ihrer Lieblingsverehrer sicherte sich den „Captain Absolute“, und ein anderer riss sehr energisch den „Sir Lucius O’Trigger“ an sich. Auf diese beiden folgte eine entgegenkommende blaustrümpfige Verwandte, die die schwere dramatische Bürde der „Mrs. Malaprop“ auf sich nahm. Jetzt aber geriet der theatralische Fortgang ins Stocken. Neun weitere Sprechrollen waren noch mit Schauspielern auszustatten; und mit dieser unausweichlichen Notwendigkeit begannen die Verwicklungen.

      Alle Freunde der Familie verwandelten sich plötzlich zum ersten Mal in ihrem Leben in unzuverlässige Menschen. Nachdem sie die Idee mit dem Theaterstück zunächst unterstützt


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