Die Namenlosen. Уилки Коллинз
Notfälle an“, erwiderte Mr. Pendril, „die so schäbig und erbärmlich unzureichend ist, dass ich mich schäme, sie überhaupt zu nennen.“
„Und nichts für die Zukunft?“
„Absolut nichts.“
Als er diese Antwort gab, ging der gleiche Gedanke im gleichen Augenblick sowohl Miss Garth als auch Norah durch den Kopf. Die Entscheidung, die beide Schwestern der Finanzmittel des Vermögens beraubte, war für die Jüngere der beiden noch nicht alles. Michael Vanstones gnadenlose Entscheidung hatte praktisch das Urteil über Franks Entsendung nach China gesprochen und damit vorerst alle Hoffnungen auf Magdalens Heirat zerstört. Als die Worte über die Lippen des Anwalts kamen, blickten Miss Garth und Norah ängstlich zu Magdalen. Ihr Gesicht wurde noch eine Spur blasser – aber ihre Züge regten sich nicht. Nicht ein Wort entschlüpfte ihr. Norah hielt die Hand ihrer Schwester und spürte, wie sie einen Augenblick lang zitterte und dann kalt wurde – das war alles.
„Lassen Sie mich kurz darlegen, was ich getan habe“, fuhr Mr. Pendril fort. „Mir ist sehr daran gelegen, dass Sie nicht denken, ich hätte irgendetwas unversucht gelassen. Als ich das erste Mal an Michael Vanstone schrieb, beschränkte ich mich nicht auf die übliche formelle Erklärung. Ich legte ihm geradeheraus und mit großem Ernst alle Umstände, unter denen er in den Besitz des Vermögens seines Bruders gelangt ist, im Einzelnen dar. Als ich die Antwort erhielt, mit der er mich an seine schriftlichen Anweisungen und seinen Anwalt in London verwies – und als mir eine Abschrift dieser Anweisungen übergeben wurde –, lehnte ich es, als ich mich damit vertraut gemacht hatte, nachdrücklich ab, die Entscheidung des Verfassers als endgültig zu betrachten. Ich veranlasste den Anwalt der Gegenseite, uns einen weiteren Zeitraum des Aufschubs zu gewähren, und ich bemühte mich, in London mit Mr. Noel Vanstone zusammenzutreffen mit dem Ziel, mich seiner Fürsprache zu versichern; als mir dies nicht gelungen war, schrieb ich selbst zum zweiten Mal an den Vater. Die Antwort verwies mich mit unverschämt schroffen Worten an die bereits mitgeteilten Anweisungen und lehnte jede weitere Korrespondenz mit mir ab. Das war der Beginn und das Ende der Verhandlungen. Wenn ich irgendein Mittel übersehen habe, mit dem man diesen herzlosen Mann rühren könnte – sagen Sie es mir, und das Mittel soll zur Anwendung kommen.“
Er sah Norah an. Sie drückte ihrer Schwester ermutigend die Hand und antwortete für beide.
„Ich spreche nicht nur für mich selbst, sondern auch für meine Schwester“, sagte sie. Ihr Gesicht hatte ein wenig Farbe angenommen, und die natürliche Sanftheit ihres Betragens wurde nur von einer stillen, geduldigen Traurigkeit gestreift. „Sie haben alles getan, was man tun konnte, Mr. Pendril. Wir haben uns bemüht, uns allzu zuversichtlicher Hoffnungen zu enthalten; und wir sind Ihnen zutiefst dankbar für Ihre Freundlichkeit in einer Zeit, in der wir beide der Freundlichkeit so dringend bedürfen.“
Magdalens Hand erwiderte den Druck ihrer Schwester – zog sich zurück – hantierte einen Augenblick ungeduldig an der Ordnung ihres Kleides – und zog dann den Stuhl plötzlich näher an den Tisch. Die Hand fest zur Faust geballt, stützte sie einen Arm darauf und sah hinüber zu Mr. Pendril. Ihr Gesicht, stets bemerkenswert wegen seines Mangels an Farbe, war jetzt in seiner fahlen, blutleeren Blässe verblüffend anzusehen. Aber das Licht in ihren großen grauen Augen war so hell und stetig wie immer; und ihre Stimme war, wenn auch in leisem Ton, in der Aussprache klar und entschlossen, als sie sich mit folgenden Worten an den Anwalt wandte:
„Ich habe Sie so verstanden, Mr. Pendril, dass der Bruder meines Vaters seine schriftlichen Anweisungen nach London geschickt hat und dass Sie eine Abschrift davon besitzen. Haben Sie diese aufbewahrt?“
„Natürlich.“
Haben Sie sie bei sich?“
„Ja.“
„Kann ich sie sehen?“
Mr. Pendril zögerte. Unbehaglich blickte er von Magdalen zu Miss Garth und von Miss Garth wieder zu Magdalen.
„Bitte erweisen Sie mir einen Gefallen und beharren Sie nicht auf Ihrer Bitte“, sagte er. „Es reicht doch sicher aus, dass Sie das Ergebnis der Anweisungen kennen. Warum wollen Sie sich beunruhigen, indem Sie sie zweckloserweise lesen? Sie sind so grausam formuliert und zeigen einen so abscheulichen Mangel an Gefühl, dass ich es wirklich nicht über mich bringen kann, sie Ihnen zu zeigen.“
„Ich weiß Ihre Freundlichkeit zu schätzen, Mr. Pendril, dass Sie mir den Schmerz ersparen wollen. Aber ich kann Schmerzen ertragen; ich verspreche, dass ich niemandem Kummer bereiten werde. Würden Sie es mir nachsehen, wenn ich meine Bitte wiederhole?“
Sie streckte die Hand aus – jene weiche, weiße, jungfräuliche Hand, die noch nichts berührt hatte, was sie beschmutzen oder hart machen könnte.
„Ach, Magdalen, überlege es dir noch einmal!“, sagte Norah.
„Du bereitest Mr. Pendril Kummer“, fügte Miss Garth hinzu. „Du bereitest uns allen Kummer.“
„Damit ist kein Nutzen zu erzielen“, beschwor sie der Anwalt. „Bitte verzeihen Sie mir, dass ich es sage, aber es ist wirklich kein nützliches Ziel damit zu erreichen, wenn ich Ihnen die Anweisungen zeige.“
(„Dummköpfe“, sagte Mr. Clare zu sich selbst. „Haben sie denn keine Augen um zu sehen, dass sie ihren Kopf durchsetzen will?“)
„Irgendetwas sagt mir, dass damit doch ein Nutzen zu erzielen ist“, beharrte Magdalen. „Dies ist eine sehr ernste Entscheidung. Für mich ist sie noch ernster…“ Sie drehte sich um und sah Mr. Clare an, der sie genau beobachtete, und erwiderte augenblicklich seinen Blick. Es war bisher das erste Mal, dass sie nach außen hin Gefühle verriet. „Sie ist aus privaten Gründen für mich noch ernster als für meine Schwester“, fuhr sie fort. „Ich weiß bisher noch nicht mehr als dass der Bruder unseres Vaters uns unser Vermögen weggenommen hat. Für ein solches Benehmen muss er seine eigenen Beweggründe haben. Es ist ihm gegenüber und uns gegenüber nicht fair, diese Beweggründe zu verheimlichen. Er hat Norah absichtlich beraubt, und er hat mich beraubt; ich glaube, wir haben ein Recht, zu wissen warum, wenn wir es wissen wollen.“
„Ich will es nicht“, sagte Norah.
„Ich schon“, sagte Magdalen und streckte wieder die Hand aus.
Als es so weit war, erhob sich Mr. Clare und mischte sich zum ersten Mal ein.
„Sie haben Ihr Gewissen erleichtert“, sagte er, an den Anwalt gewandt. „Gewähren Sie ihr das Recht, das sie fordert. Es ist ihr Recht – wenn sie es haben will.“
Mr. Pendril zog schweigend die schriftlichen Anweisungen aus der Tasche. „Ich habe Sie gewarnt“, sagte er – und reichte die Papiere ohne ein weiteres Wort über den Tisch. Eine Seite des Schriftstücks war an einer Ecke umgeknickt; auf dieser gefalteten Seite öffnete sich das Manuskript, als Magdalen die Seiten zum ersten Mal umblätterte. „Ist das die Stelle, die von meiner Schwester und mir handelt?“, fragte sie. Mr. Pendril neigte den Kopf; und Magdalen strich das Manuskript vor sich auf dem Tisch glatt.
„Entscheide du, Norah“, sagte sie zu ihrer Schwester. „Soll ich es laut vorlesen oder soll ich es für mich lesen?“
„Für dich“, sagte Miss Garth; sie antwortete für Norah, die sie in stummer Ratlosigkeit und Verzweiflung ansah.
„Wie Sie wünschen“, sagte Magdalen. Mit dieser Antwort wandte sie sich wieder dem Schriftstück zu und las folgende Zeilen:
„…Sie sind jetzt im Besitz meiner Wünsche in Bezug auf das Eigentum in Form von Geld sowie auf den Verkauf von Möbeln, Kutschen, Pferden und so weiter. Der letzte Punkt, zu dem es notwendig ist, Ihnen Anweisung zu erteilen, betrifft die Personen, die in dem Haus wohnen, und gewisse lächerliche Ansprüche zu ihren Gunsten, die von einem Anwalt namens Pendril erhoben werden. Dieser hat zweifellos eigene interessierte Gründe, sich an mich zu wenden.
Ich nehme zur Kenntnis, dass mein verstorbener Bruder zwei uneheliche Kinder hinterlassen hat; beide sind junge Frauen und alt genug, um sich selbst ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Von dem Anwalt, der diese Personen vertritt, wurden verschiedene gleichermaßen regelwidrige