GIFT geschädigt. Maxi Hill
»C/A-Wandler bedeutet, dass dieses Gerät die auf CD codierte digitale Information liest und sie dann in Schallsignale umwandelt. Also auch in Musik. Deshalb steht das Gerät in der Aula.«
Sein schräger Blick traf Aaron, der bei Veranstaltungen für die Musik zuständig war. Aaron verschmähte dieses Gerät. Er brauchte es nicht. Nicht umsonst hatte er mit einiger Mühe eine kleine Kammermusik-Gruppe ins Leben gerufen und leidenschaftlich geprägt. In kaum einer Schule waren es die Schüler selbst, die jeder Veranstaltung einen festlichen Rahmen verliehen. Zum Leidwesen der jüngeren Lehrer saß Aaron zuweilen auch selbst am Klavier und spielte Klassik.
Schrimp schüttelte seinen Kopf: »Wenn ich dich richtig verstehe, heißt das, der CD-Spieler spielt CDs ab?«
Einige der Kollegen, die das Geschehen verfolgten, grinsten diabolisch, andere lästerten ob der gewaltigen Logik.
»Richtig«, bestätigte Bär und änderte seine erhabene Position.
Aus dem Hintergrund löste sich Maddy Browns helle Stimme: »Wenn du verstanden werden willst, gebrauche für gewöhnliche Dinge niemals ungewöhnliche Worte. Mach es lieber mal umgekehrt.«
Bär machte eine zackige Bewegung. In seinem Alter konnte man das erwarten, nicht aber die Anstandslosigkeit, mit dem Heiner Bär gegen Fräulein Brown zurückschlug.
»Wenn Sie jemanden zum Bevormunden brauchen, warum heiraten Sie nicht einfach.«
Schrimp mischte sich ein. Die Worte waren nicht sehr deutlich, aber seine Stimme gegen Heiner Bär war etwas lauter als bisher: »Wenn du Aggressionen abbauen willst, fahr einfach Auto.«
»Geht nicht. Zu viele aggressive Lehrer mit Autos unterwegs.«
Bär zog es vor zu verschwinden und gab sein Unverständnis mit lautem Schlagen der Tür zu verstehen. Kurz darauf war man sich einig, es sollte wieder mehr Anstand im Lehrerzimmer herrschen.
Aaron hatte eine Springstunde. Er wusste nichts vom Glück der Ausfallstunden, das Schrimp getroffen hatte, und er wunderte sich, dass der so ruhig sitzen blieb, obwohl der Rest des Kollegiums noch vor dem ersten Klingelzeichen auf dem Weg in die Klassen war. Sie redeten belangloses Zeug, doch die Worte kreisten irgendwie um Bär, der von Krüger den Auftrag hatte, das Geheimnis aufzuspüren, zu dem sich Aaron Barthels und Ole Fedder nicht bekennen würden. Schrimp wusste es von der Putzfrau Frau Hammermüller, die gerne übersehen wird, aber deren Ohren überall sind.
In Wahrheit gab es kein Geheimnis zwischen Schrimp und Aaron, jedenfalls nichts, was die Professur von Aaron erklären könnte. Schrimp hatte vor Krüger geblufft und es Aaron inzwischen gebeichtet.
»Der hat 's nicht anders verdient. Soll er ruhig glauben, du wirst zum Professor ernannt.«
Aaron hatte damals nur müde gelächelt. Jetzt saßen sie still beieinander. Kaum, dass sie sich wahrnahmen. Jeder hing seinen Gedanken nach.
»Arroganz verdirbt den Anstand«, sagte Aaron nach unendlichem Schweigen, als hätte er so lange gebraucht, um diesen Satz loszuwerden. Schrimp nickte. Auch er brauchte wiederum lange für eine Antwort.
»Heute ist Anstand eine völlig andere Kategorie. Wenn ein Unternehmer sagt, er habe anständige Preise, dann müsste der sich eigentlich für seine Unverschämtheit schämen. Wenn du deiner Frau sagst, du möchtest endlich mal wieder was Anständiges auf den Tisch, dann ist gerade das sehr unanständig.«
Schrimp wollte Aaron nicht direkt nach Hanna fragen und er tat es auch nicht. Es ging ihn nichts an wie die beiden zurechtkamen. Aber irgendwie hatte Aaron verstanden. Sein Kopf wippte schwer und ebenso schwer fiel ihm das Reden:
»Hanna hat gemeint, wenn die nichts sagen, dann ist auch nichts. Nun haben die aber etwas gesagt.«
Aaron schluckte nervös und Schrimp ermutigte ihn zu nichts. Dass ihm jetzt die Moralpredigt in den Sinn kam, die er seinen Schülern gewöhnlich hielt, war nicht verwunderlich.
Wer sich nicht traut zu fragen, hat Angst, etwas zu lernen.
Schrimp hatte Angst und er fragte nicht. Jahrelang hatte er keinen besonderen Gedanken an Aaron Barthels verwendet. Und nun, wo er den Menschen in ihm erkannte, begann etwas in ihm aufzubrechen, was er nicht anzunehmen gewillt war. Fatal. Er war auch nicht gewillt, es auszuschlagen.
»In dieser Schule tickt eine Zeitbombe.«
Beinahe verlor sich Aarons feine Stimme in der Weite des Raumes, in dem es ungewöhnlich still war. Schrimp war unentschlossen, etwas zu erwidern, wie stets, wenn er glaubte, etwas zu erkennen, aber hoffte, sich zu irren.
»Ich habe gearbeitet für ein zufriedenes Alter«, flüsterte Aaron. »Ich habe versucht, das Leben nicht zu verpassen. Und jetzt? Vielleicht verpasst es mich …«
»Rede mal Klartext.«
Aaron klagte nie jemanden an. Er beklagte allenfalls, selbst unvermögend zu sein, sich gegen die Widrigkeit des Lebens zu stemmen. Auch jetzt klagte er nicht, auch wenn Schrimp noch so fordernd schaute.
»Ole, ich habe keine Therapie hinter mir, die mich lehrt, dass man über alles reden kann. Ich kann das nicht.«
Hinter Aarons Worten lag eine unbestimmte Art, etwas auszudrücken, und Schrimp ahnte, was noch kommen würde. Diese Ahnung wühlte ganz unverhofft minutenlang in seinen Gedärmen.
»Ich habe Krebs.« Nur drei Worte, aber die schnitten scharf. Schrimp saß stocksteif. Kein Wort zwängte sich durch seine Lippen. Keine Frage. Kein Bedauern. Er war außerstande, über ein solches Thema zu reden. Krebs war bisher immer weit weg von ihm, niemals real. Jetzt saß etwas davon neben ihm wie ein Häufchen Unglück, real und doch so unglaublich. So steif, wie er dachte, blieb er sitzen, wortlos, und er schickte seinen Blick hinauf zur Decke.
»Was ist«, flüsterte Aaron.
»Ich suche die versteckte Kamera, verdammt.«
Noch niemals haben sie mit so widersinnigen Worten so absurde Dinge verdrängt. Noch niemals war Aaron in so schrecklicher Lage so gefasst gewesen. Irgendetwas stimmte nicht.
Wer Aaron Barthels kannte, der wusste es. Seine Lehrfächer brauchten ein wenig Theatralik und irgendwie hob er manchmal ab aus dem wirklichen Leben. Heute traf das offenbar wieder zu. Die Hände ungeschickt in die Taschen vergraben saß Schrimp neben Aaron. Er wusste nicht wie lange.
Auf einen Blick von Aaron hin verließen sie gemeinsam das Lehrerzimmer. Sie liefen durch das Treppenhaus, derweil Aaron wie nebenbei, vom Ergebnis dieser Untersuchung sprach. Und das klang nicht nach Theatralik.
»Nur fünf Prozent aller Fälle beruhen auf karzinogenen Umweltfaktoren. Warum ich? Warum hier?«
»Ist es denn ... « Schrimp beherrschte sich gerade noch zu fragen, ob es wahr sei und er war froh über das Wort, das ihm noch rechtzeitig einfiel: »Ist es … amtlich?«
»Sie haben eine Bronchoskopie mit Spülung gemacht.«
»Hört sich nicht gut an.« Schrimp blinzelte zwar, aber sein Gesicht spiegelte etwas von Bestürzung.
»Mit der Spülflüssigkeit bekommt man die Krebszellen, um sie mikroskopisch untersuchen zu können. Die feingewebliche Untersuchung von Lungenzellen war inbegriffen. Auch der Auswurf wurde …« Es waren nur drei Sätze, aber Aaron hustete erbärmlich, als habe er sich damit übernommen. Seine Erregung verstärkte den Husten und zwischendrin die Stimme von Schrimp: »Warum bist du dann noch hier?«
Eine Antwort kam nicht. Aarons Blick wurde stechend, beinahe böse und er fauchte ihn an, wie ihn Aaron niemals zuvor angefaucht hatte: »Du erzählst es niemandem. Klar?«
Als ob er das wandelnde Klatschblatt wäre. Hatte Aaron je nötig, ihre Freundschaft so infrage zu stellen?
»Erzähl du mir lieber, warum du nicht eher etwas unternommen hast.«
Aarons Augen schauten nicht mehr, sie suchten nach etwas in Schrimps Gesicht, das er nicht fand.
»Eher? Es wollte