Rabenlieder. Janine Senkel (geb. Günther)
und erschöpft von dem wilden Treiben, dem sie sich gerade hingegeben hatten, schliefen sie gemeinsam Arm in Arm ein.
4
Ein brennender Schmerz ließ Saya wach werden und als sie aufsah, wurde sie von hellem Licht geblendet, dass durch die Ritzen der Jalousie hindurch drang. Die Sonne brannte in ihren Augen und sie kniff sie schmerzerfüllt zusammen. Sie konnte spüren, wie die Strahlen, die auf ihren linken Oberarm fielen, diesen langsam verbrannten. Sie spürte, wie die Haut verkohlte, konnte den Geruch von verbranntem Fleisch förmlich auf ihrer Zunge schmecken, so intensiv war der Gestank und sie fühlte, wie das bloße Fleisch hervortrat.
Sie schrie auf – es war vielmehr ein Fauchen – sprang aus dem Bett und verkroch sich darunter. Dort, wo keinen Sonnenstrahlen hinkommen konnten. Verdammt, dachte sie, sie hätte daran denken müssen, dass es bei Kris nicht vampirgerecht eingerichtet war und sie hätte rechtzeitig abhauen müssen. Es kam ihr jetzt alles wieder in den Sinn.
Die letzten Stunden mit ihrem Geliebten. Sie waren so schön gewesen. Sie hatten sich geliebt, heiß und innig und verschmolzen miteinander. Schmerzlich wurde ihr bewusst, dass das der Abschied war. Das allerletzte Mal durfte sie ihn spüren. Ihr stiegen Tränen in die Augen. Alles war vorbei.
Ihr verbrannter Arm pochte heftig und sie drückte mir ihrer anderen Hand dagegen, was nur noch mehr brannte. Sie schrie erneut auf. Sie konnte hier nicht weg, sonst würde sie komplett verbrennen, doch wenn sie hierbliebe, wäre sie bis Sonnenuntergang den Schmerzen ausgesetzt. Saya musste zugeben, dass sie sich in einer Zwickmühle befand, aus der sie nicht so einfach herauskommen würde. Sie hörte ein Knarzen und spürte, wie sich über ihr im Bett etwas bewegte. Sie hörte ein Gähnen und wie jemand aufstand.
Kris musste von ihrem Schreien aufgewacht sein. Es war ungewöhnlich, da er, wenn er einmal schlief, so fest schlief, dass ihn normalerweise nichts und niemand aufwecken konnte. Er war wie ein Stein. »Saya? Saya, wo bist du? Ich habe dich schreien gehört? Was ist los?« Nervös lief Kris am Bett entlang und rief nach seiner Geliebten, mit der er die Nacht verbracht hatte. Angst kroch in ihm hoch, als er sie nirgends entdecken konnte. Der Angstschweiß stieg Saya in die Nase und sie war verwundert, wie sehr er doch um sie besorgt war. Sie keuchte leise. Ihr Körper war zu geschwächt und sie war nicht in der Lage, nach ihm zu rufen, ihm zu sagen, wo sie war. Sie versuchte es, doch kein Ton kam heraus. Sie hob ihren gesunden Arm ein wenig, doch dieser zitterte wie verrückt. Mit aller Kraft streckte sie ihn nach oben und klopfte gegen die Bettkante. Kris, der immer noch im Zimmer auf und ab lief, wie ein aufgescheuchtes Huhn, hörte das leise Hämmern und kam aufs Bett zugerannt. Saya sah seine Füße direkt vor sich. Sie streckte ihren Arm ein wenig und berührte seinen großen Zeh. Erschrocken fuhr er zurück, doch dann ging er auf die Knie und beugte sich hinunter, um unter das Bett zu sehen, wo er Saya entdeckte, die zusammengekauert da lag und am ganzen Leib zitterte.
Ihre Wangen waren nass und das Make-up verschmiert von den Tränen, die ihr übers Gesicht liefen. Kris sah sie erschrocken an. Saya spürte, wie sein Herz schneller schlug, als sein Blick auf ihre Brandwunde fiel. Er sah hinüber zum Fenster, wodurch immer noch kleine Sonnenstrahlen fielen und er schien zu begreifen. Er sprang auf, rannte hinüber zum Schrank und zog ein großes Bettlaken hinaus. Damit eilte er wieder zu Saya und warf es so gut er konnte, über ihren Körper, der fast regungslos unter dem Bett lag. Als sie komplett abgedeckt war, nahm er die unter dem Laken verborgenen Arme und zog sie hervor. Er wickelte sie dann vollkommen darin ein, um sie vor dem Sonnenlicht zu schützen und warf sie über seine Schulter, um sie in einen komplett abgedunkelten Raum zu bringen. Also rannte er mit ihr die Treppen hinunter in den Keller. Er zog einen Stuhl aus der Ecke, nahm das Laken wieder von ihr ab und setzte sie dann vorsichtig auf einen alten, halb vergammelten Holzstuhl. Saya war kaum ansprechbar. Der Schmerz hatte sie so sehr überwältigt, dass ihr Körper, um sie zu schützen, in eine Art Koma verfiel. Es war eher ein tranceähnlicher Zustand. Kris untersuchte Saya auf weitere Schäden, konnte aber auf dem ersten Blick nichts erkennen. Er rannte die Kellertreppe wieder hinauf. Saya fühlte sich erschöpft und wollte schlafen, doch sie wusste, dass sie das nicht durfte. Es war für einen Vampir nicht normal, tagsüber wach zu sein, aber wenn sie jetzt einschliefe, wusste sie nicht, ob sie je wieder aufwachen würde. Sie hörte ein Trampeln und Kris kam wieder die Treppe hinab gerannt. In seiner Hand ein Messer und ein feuchtes Tuch. Er wickelte das Tuch um ihren verbrannten Arm. Hätte sie genug Kraft gehabt, hätte sie geschrien. Das Tuch war so nass und kalt und als es die Wunde berührte, brannte es wie Feuer. Es war fast schlimmer, als die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Doch dann hörte es endlich auf zu brennen und ein wohltuendes Gefühl machte sich in ihrem Körper breit. Kris griff nach dem Messer und fuhr dann damit über seinen linken Unterarm. Er ritze die Haut auf und eine rote dicke Flüssigkeit quoll hervor. Das Blut tropfte auf den Kellerboden hinab. Er hob seinen Arm an ihre Lippen und sie mobilisierte all ihre Kräfte um zu trinken. Sie hatte in manchen Nächten bereits von ihm getrunken, aber das war etwas anderes. Ob man jemanden biss, während man mit demjenigen intim war und es zum wilden Sexspiel gehörte oder ob man von jemand trank, um sich zu stärken, das konnte man nicht vergleichen.
Saya war es unangenehm, ihn jetzt so als Kraftquelle zu missbrauchen, aber ohne sein Blut würde sie das Ganze eventuell nicht überleben. Sie saugte weiter an seinem Arm und spürte, wie sie von einer angenehmen Wärme durchflutet wurde. Ihr Oberarm kribbelte und als sie ihren Kopf leicht neigte, sah sie, wie die Wunde heilte. Es ging relativ schnell und sie war wieder vollständig bei Kräften.
Sie ließ von Kris ab. Es war nicht immer leicht, aufzuhören, aber Saya hatte in den letzten Jahren gelernt, sich zu beherrschen, auch wenn es viel Schmerz kostete, das durchzustehen. Es waren unbeschreibliche Qualen, die sie durchlitten hatte, um das zu erreichen. Sie nahm das feuchte Tuch herunter und tatsächlich war alles vollständig verheilt.
Das Tuch wickelte sie nun um Kris Unterarm, um die Blutung zu stillen. Fest band sie es darum. Ihr Körper zitterte noch leicht, aber sie war wieder bei Kräften. Sie stand auf und viel dem großen starken Mann um den Hals.
Er legte seinen rechten Arm um sie und mit dem verbunden Arm hielt er ihren Kopf. Ein erleichtertes Seufzen drang aus seiner Kehle. »Ich hatte mir solche Sorgen gemacht.« Er drückte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. »Ich hätte daran denken müssen, mit der Sonne. Es tut mir leid.« Saya schaute auf und sah in seine schuldbewusste Miene. »Mach dir keine Vorwürfe. Wir haben beide nicht daran gedacht.
Wir haben so überstürzt gehandelt und waren zu sehr beschäftigt damit - naja, du weißt schon -« Sie brach ab und sah auf den Boden. Es fiel ihr schwer, auszusprechen, was sie getan hatten, denn dann hätte sie auch sagen müssen, dass es jetzt vorbei war und das wollte sie sich immer noch nicht so richtig eingestehen, obwohl sie natürlich wusste, dass es nicht mehr so weitergehen konnte. Sie schmiegte sich ganz fest an seinen starken Oberkörper und genoss diesen Augenblick. Sie konnte jeden einzelnen Muskel fühlen und sein Geruch nach Tannennadeln, Moschus und etwas, das sie nicht genau einordnen konnte, stieg ihr in die Nase, als sie ganz tief einatmete. Sie sog den Geruch auf und fühlte sich für einen Moment frei und geborgen. Ein angenehmer Schauer durchdrang ihren ganzen Körper, von Kopf bis Zehenspitze. In jede einzelne Faser drang er vor.
Sie wollte so lange wie möglich an diesem Moment festhalten und drückte sich ganz fest an ihn. Kris drückte sie noch näher an sich, denn auch er spürte dieses wohltuende Gefühl und wollte, dass dieser Augenblick nie endete. Denn auch er wusste, dass es das letzte Mal war, dass sie zusammen sein konnten. Er unterdrückte die Tränen, die in ihm hochstiegen.
*
Einige Minuten später lösten sie sich aus dieser festen Umarmung und Kris schritt die knarzende Kellertreppe, die aus altem dunklen Holz bestand und schon ziemlich modrig roch, hinauf, um im restlichen Haus alles dicht zu machen und abzudunkeln. Er wollte schließlich nicht, dass Saya bis Sonnenuntergang im Keller festsitzen musste. Nachdem jede Ritze, jedes Loch verschlossen war, bereitete er ein kleines Frühstück vor. Saya war einer der wenigen Vampire, die ab und an auch normale Nahrung zu sich nehmen konnten. Er hätte ihr gerne Blut serviert, hatte aber seit ihrem letzten Besuch nichts mehr im Haus und er selbst hatte schon genügend Blut verloren. Sie musste sich also mit Waffeln und Croissants zufrieden geben, auch wenn es nicht sicher war, dass sie diese tatsächlich bei