Rabenlieder. Janine Senkel (geb. Günther)

Rabenlieder - Janine Senkel (geb. Günther)


Скачать книгу
hatte und starrte bedrückt ins Leere. Kris wusste, wie ihr zumute war, denn auch er spürte diesen stechenden Schmerz in der Brust, als ob ihn jemand ein scharfes Messer hindurch gerammt hätte. Es fiel ihm genauso schwer, doch ihm blieb keine andere Wahl, nachdem sein Bruder schon auf die Führung verzichtet hatte. Es war seine Pflicht, die Nachfolge seines Vaters anzutreten und dazu musste er eine Frau des Rabenclans heiraten, so sehr er sich dagegen auch sträubte.

      Er wollte nur eine Frau und die stand gerade direkt vor ihm.

      Ihr rotbraunes Haar fiel ihr lässig über die Schultern, ihre honigbraunen Augen glänzten von den Tränen, die in ihnen standen und ihre Rundungen wurden von den engen schwarzen Klamotten betont, die sich an ihren Körper schmiegten. Er lächelte, trat an sie heran und streichelte über ihre Wange. Ihre Haut war zart und weich. Er wollte sie noch an anderen Stellen berühren, schüttelte den Gedanken aber ab, da es alles nur noch komplizierter und schwerer machen würde. Er ließ von ihr ab und bedeutete ihr, ihm nach oben zu folgen. Sie sah ihn mit einem Blick an, der ihn wie ein Pfeil durchbohrte. Der Schmerz, der in ihren Augen lag, war so groß, dass er ihn fühlen konnte. Sie lächelte, doch Kris wusste, dass es nur erzwungen war und sie innerlich weinte. Ihm ging es genauso und er hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Saya war die beste Freundin seiner zukünftigen Schwägerin und er würde ihr nicht aus dem Weg gehen können. Er würde sie auf der Hochzeit von Raven und Shania treffen, würde bei sämtlichen Feiern auf sie stoßen und immer wieder würde ihm bewusst werden, dass er mit der falschen Frau verheiratet sein würde. Vor einem Jahr wäre es ihm noch egal gewesen, irgendeine Frau zu heiraten. Er hatte mit Rebecca, seiner Exfreundin, die mittlerweile seine beste Freundin war, eine ziemlich schlechte Erfahrung in Sachen Beziehung gemacht. Sie hatte ihn öfters betrogen und letztendlich einfach sitzen lassen. Er hatte sich damals geschworen, nie wieder eine ernste Beziehung einzugehen, aber dann traf er auf Saya und die Gefühle überwältigten ihn. Dass er mit ihr jetzt nicht mehr zusammen sein konnte, weil er eine andere heiraten musste, war um einiges schlimmer, als das, was Rebecca ihm angetan hatte. Er dachte damals, sie hätte sein Herz gebrochen, aber jetzt wusste er, dass sie sein Herz nie wirklich besessen hatte. Er hatte es nur gedacht, weil er es nicht besser wusste. Weil er das Gefühl nicht kannte, richtig zu lieben, aber nun wusste er, wie sich das anfühlte und Saya zurücklassen zu müssen, das würde sein Herz tatsächlich brechen. Dennoch blieb ihm keine andere Wahl. Still und gedankenversunken stapfte er die knarzenden Stufen hinauf in die Küche, wo er zuvor den Tisch gedeckt hatte. Er wartete auf Saya, die mit starrem Blick hinter ihm her trottete, zog einen Stuhl zurück und schob ihn ihr hin, als sie darauf Platz nahm. Er setzte sich ihr gegenüber und nahm sich ein Croissant. Schweigend saßen sie da und aßen das von Kris vorbereitete Frühstück.

      Eigentlich war es schon zu spät, um zu frühstücken, da es in einigen Stunden wieder dunkel werden würde, aber durch die ganze Aufregung mit Sayas Verletzung hatte Kris keine Zeit einkaufen zu gehen und er hatte rein gar nichts mehr im Haus, um ein warmes Essen zuzubereiten. Kris hörte, wie ein Schlüssel ins Loch gesteckt wurde und sich umdrehte und dann ging die Haustür quietschend auf. Raven und Shania kamen lachend hereingestürmt und die Stille war verflogen. Als sie in die Küche kamen, sahen sie erstaunt von Kris zu Saya. Shania schmunzelte ein wenig und Raven runzelte die Stirn und sein Mund verzog sich, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. Kris wusste nicht, wie er den Blick seines Bruders interpretieren sollte, ging aber davon aus, dass er wohl weniger begeistert darüber war, was er hier vorfand. Raven wusste zwar, was Kris für Saya empfand und verstand es mehr, als jeder andere, da es ihm mit Shania genauso ging, aber dennoch war es ihm sehr wichtig, dass nun er den Posten als Clanoberhaupt antrat und genau das hatte er Raven versprochen. Kris stand vom Stuhl auf und ging auf die beiden zu. Er schloss sie fest in die Arme.

      »Glückwunsch, ihr beiden!« Raven hatte ihm erzählt, dass sie heiraten würden, aber er hatte noch keine Gelegenheit gefunden, ihnen zu gratulieren. Shania lächelte ihn an und dann sah sie zu ihrer besten Freundin herüber, die apathisch auf dem Küchenstuhl saß und die Haut vom Croissant abzupfte. Kris sah, wie sie auf sie zuging und sich zu ihr setzte. Saya sah nicht einmal zu ihr auf. Kris fühlte sich schuldig und es tat ihm weh, sie so zu sehen. Er war an allem schuld. Er hätte sich nie auf sie einlassen dürfen, dann wäre das alles nicht so schwer, doch wie hätte er sich von dieser Wahnsinnsfrau fernhalten sollen. Sie gab ihm das Gefühl, endlich angekommen zu sein. Sie war seine Seelenverwandte, seine Luft zum Atmen, sein Herz, das ihm am Leben hielt. Doch all das musste er aufgeben. Er wandte sich wieder seinem Bruder zu und dieser sah ihn mit ernster und zugleich besorgter Miene an. Seine Augen, waren schwarz, wie die eines Raben und Kris spürte den Drang, sich zu verwandeln und einfach hinfort zu fliegen. »Ich stehe zu meinem Entschluss«, flüsterte er seinem Bruder zu, doch dieser sah ihn noch immer zweifelnd und mit hochgezogenen Augenbrauen an. Seine golden glänzende Stirn war in Falten gelegt und er stemmte die Arme in seine Hüften. »Ich hoffe, das bleibt auch so.« Die kalten Worte seines Bruders machten Kris ziemlich zu schaffen. Wie konnte es ihm so egal sein, was er dabei fühlte? Geknickt nickte er. »Es fällt mir nicht leicht, aber es ist meine Pflicht.« Es wäre Ravens Pflicht gewesen, aber der Auserwählte kann die Bürde an den zweiten Nachfolger abgeben, wenn er Gründe hatte, die es verhinderten, den Posten anzunehmen. Der zweite musste sich dann fügen und konnte keinen Schritt zurück machen. Das war der Nachteil daran. Er seufzte innerlich. Ravens Miene wurde entspannter und es lag ein leichter Hauch von Mitleid in seinen Augen.

      »Ich weiß.« Leise murmelte er diese Worte Kris zu und ging dann zu seiner zukünftigen Frau, die Saya gerade tröstend im Arm hielt. Erneut spürte Kris dieses Stechen in der Brust, als er Saya so verzweifelt sah. Sie strich sich die restlichen Tränen aus dem Gesicht und stand dann auf. Sie drehte sich zu Kris um und setzte ein erzwungenes Lächeln auf. »Die Sonne geht gerade unter. Ich denke, ich werde langsam gehen. Danke für das Essen und für-« Sie sagte nichts mehr, sondern sah nur auf ihren Arm, der vor kurzem noch halb verkohlt war. Von der Wunde war rein gar nichts mehr zu sehen. Kein Kratzer. Nichts. Kris schluckte schwer, als ihm bewusst wurde, dass das ein Abschied für immer war und er konnte ihr nicht einmal richtig Lebewohl sagen, da Shania und sein Bruder anwesend waren. Er nickte ihr zu und sah ihr traurig hinterher, als sie aus der Tür verschwand.

      Shania trat zu ihm und legte ihre Hand auf seine Schulter.

      »Das Leben ist hart.« Ohne seinen Blick von der reizenden Vampirlady abzuwenden, die gerade die Straße hinunter zur Bushaltestelle trottete, seufzte er verzweifelt und symbolisierte Shania mit einem Kopfnicken, dass er ihr zustimmte. Als Saya außer Sichtweite war, schloss er die Tür und ging stumm die Treppe zu seinem Schlafzimmer hoch.

       5

      Die Sonne war vollständig vom Himmel verschwunden.

      Kein einziger Lichtstrahl war zu sehen, kein roter Streifen am Himmel, nur Dunkelheit. Das einzige Licht, waren die Laternen am Straßenrand, die unheimlich flackerten und die Straße dennoch in ein angenehmes Licht hüllten, so dass man was erkennen konnte. Saya hätte natürlich auch ohne zusätzliches Licht alles sehen können, denn wie auch Katzen, besaßen Vampire gute Augen, die bei Nacht und allgemein bei Dunkelheit sehen konnten. Das musste auch so sein, denn Vampire waren nur nachts unterwegs und jagten auch zu dieser Zeit. Saya ernährte sich hauptsächlich von Verbrechern, denn damit war allen geholfen. Die Bösewichte waren beseitigt und sie war satt und griff keine Unschuldigen an. Es profitiere somit jeder. Doch leider hielt das nicht jeder Vampir in dieser Stadt so. Gerade in London war es besonders schlimm. Viele kamen hierher, weil sie meinten, in einer so großen Stadt wie London würden sie nicht auffallen und dann benahmen sie sich wie wilde Tiere.

      Den Dreck konnten Saya und ihre Freunde hinterher wieder wegmachen. Schließlich war Shania, ihre beste Freundin, als Hexe dafür zuständig, dass keiner was von der Existenz der übernatürlichen Wesen herausbekam. Sie unterstützte sie dabei natürlich und so kam es, dass sie schon öfters zusammen auf Jagd gegangen waren. Es war natürlich ein wenig merkwürdig, Artgenossen zu jagen, aber wenn sie sich nicht benehmen konnten und sich nicht an die Regeln hielten, mussten sie mit den Konsequenzen leben. So war das nun einmal. Saya fuhr sich mit der Hand durch ihr langes, leicht welliges Haar. Sie überlegte, in nächster Zeit wieder öfters mit auf Jagd zu gehen. Sie hatte das in den letzten Wochen ein wenig vernachlässigt, aber als Ablenkung würde ihr das sicher gut tun. Leise seufzte


Скачать книгу