Adler und Leopard Gesamtausgabe. Peter Urban
zurückzukehren und zu Menschen, die ...“
Georgiana legte ihm freundschaftlich den Arm um die Schultern und führte ihn zu einem kleinen Wintergarten mit Blick auf die Themse. Sie kannte Arthur, seit er das Licht der Welt erblickt hatte und sie empfand für ihn eine ähnliche Zuneigung, wie für ihre eigenen Kinder. Ganz leise und kaum hörbar für Sarah, die ein paar Schritte hinter ihnen ging, konstatierte sie wissend. “Du hast eine schwere Zeit hinter Dir mein Junge, nicht wahr? Du hast Dich äußerlich sehr verändert, aber Deine Augen sprechen immer noch Bände!“ Arthur nickte und lies die anfängliche Förmlichkeit der Herzogin gegenüber fallen. „Georgiana, ich habe Dir und Charles schon immer vertraut und Ihr ward für mich ...nach Vaters Tod... Ach, Du weißt schon. Bitte lass gut sein.“ Sein Körper verkrampfte sich plötzlich und seine Bewegungen verloren ihre übliche Geschmeidigkeit. Das Auffälligste allerdings war diese plötzliche, offenkundige Erschöpfung. „Du brauchst nicht darüber zu sprechen, mein Lieber! Hier wird Dich niemand mit Fragen quälen, die Du nicht beantworten möchtest! Gib Dir Zeit. Atme ein paar Mal tief durch.“ Sie verstand, was ein Soldat, der einen langen Krieg gekämpft hatte am Ende durchmachte, wenn die Gefahr überstanden war. Als der Herzog von Richmond noch Lord Charles Lennox gewesen war, war er auch aus einem Krieg zu ihr zurückgekommen und es hatte viele Monate gedauert, bevor er den Mut fand, sich ihr anzuvertrauen. Sie wandte sich ihrer ältesten Tochter zu.“ Sarah, ich muss mich noch um ein paar Dinge kümmern und überlasse Arthur jetzt Deiner Fürsorge.“ Das verschwörerische Lächeln das zwischen Mutter und Tochter ausgetauscht wurde, entging dem Offizier.
Ein Dienstmädchen tauchte im Wintergarten auf. Sarah bat darum, Tee und Gebäck zu bringen, dann schlenderte sie zu einem kleinen, mit Kissen überfüllten Rattan Sofa unter einer üppigen Bananenstaude und lies sich ausgesprochen lässig und wenig damenhaft hinein plumpsen. “Hier müsstest Du Dich doch richtig wohl fühlen. All unsere komischen Grünpflanzen, die einem die Sicht hinunter auf die Themse versperren und diese feuchte Wärme, wenn die Sonne durch das Glas scheint. Nur Schlangen, Skorpione und andere Ungeheuer, an die Du gewöhnt bist, können wir Dir leider nicht bieten.“
Arthur zog einen Sessel neben den von Sarah. “Ob Du es glaubst, oder nicht! Ich habe mich zwar dauernd im Dschungel herumgetrieben, aber ich habe in zehn Jahren in Indien nicht eine einzige lebendige Schlange zu Gesicht bekommen und einem Skorpion bin ich auch nie begegnet. Abgesehen von Krokodilen, gigantischen Kakerlaken, riesigen Stechfliegen und Blutegeln hatte ich mit diesem bissigen Viehzeug wirklich Glück.“ Er betrachtete Sarah ziemlich unverfroren. Sie thronte seitlich auf den Polstern, was bei den meisten Frauen unmöglich ausgesehen hätte, bei ihr jedoch vollkommen natürlich und entspannt wirkte. Ihr dunkles, von Natur aus stark gewelltes Haar entsprach ganz und gar nicht der Mode, die er bei den Damen der Londoner Gesellschaft beobachtet hatte. Es war wirr und kunterbunt mit irgendwelchen Nadeln hochgesteckt und überall sprangen ihre ungezogenen, kleinen Locken ins Gesicht. Sarahs Modebewusstsein schien nicht sonderlich stark ausgeprägt. Ihr Rock war zweckdienlich, etwas in dem man bequem arbeiten konnte, ihre Bluse schlicht. Der einzige Schmuck den sie trug, war eine hübsche Brosche am Kragen: Der Stab und die Schlange des Äskulap. Sie hatte etwas Burschikoses an sich, wirkte weder kokett noch geziert, einfach nur unglaublich offen und selbstbewusst. Sarahs Gesicht war länglich und ihre Züge derart beweglich, dass sie jeden ihrer Gedanken widerspiegelten. Und mitten drin, auf der schmalen, etwas zu lange geratenen Nase saß eine zierliche, runde Brille.
“Sie ist Charlottes Ebenbild!“, ging es Arthur mit einem Mal durch den Kopf. Er verzog das Gesicht zu einem eigenartigen, halb wehmütigen, halb ironischen Lächeln und schluckte trocken. “Erzähl mir von Deinen Studienjahren in Frankreich.“, sagte er rasch um Abzulenken. Arthur hoffte, dieses Thema würde Stunden in Anspruch nehmen, Stunden in denen er einfach nur dasitzen und sie beobachten konnte. Es war endlos lange her, dass er sich in der Gesellschaft einer Frau so gut aufgehoben gefühlt hatte. War es nur wegen ihrer Ähnlichkeit mit Charlotte oder hatte Lady Lennox ihren ganz eigenen Reiz und er doch den Mut, einen Schritt im Leben nach vorne zu tun?
Sarah rückte sich ein Kissen zurecht, schenkte ihm ein hinreißendes Lächeln und fing mit ihrer Geschichte an. Viele Stunden später, es war draußen schon dunkel und sie hatten unendlich viel Tee getrunken, bremste sie plötzlich ihren Redefluss und legte den Kopf schief: “Also wirklich, Du ziehst mir alle Würmer aus der Nase und quetscht mich aus, aber über Dich erfahre ich gar nichts! Wenn Du schon absolut nichts über Indien erzählen möchtest, dann sag mir wenigstens was Du für Vorstellungen von Deiner Zukunft hier in England hast, mein Freund?“
Arthur seufzte ergeben und zog die Schultern hoch: "Beruflich kann ich Dir da nicht viel sagen. Wir Offiziere müssen dem Oberkommando und dem Kriegsminister gehorchen. Wo man mich eben hinschickt."
"Und der Rest? Dein Leben besteht ja nicht nur aus der Armee."
“Im Augenblick leider schon, Sarah. Ich sollte vielleicht nach einer netten, kleinen Lady Ausschau halten und endlich eine eigene Familie gründen. Finanziell steht dem ja nichts mehr im Wege, aber..."
"Aber Du weißt nicht, wie Du das anstellen sollst?“, Sarah schmunzelte und fuhr, so wie ihr der Schnabel gewachsen war fort,“ Sei ohne Sorge! Meine Mutter wird das in die Hand nehmen! Zeit hast Du ja und London ist voller junger Damen aus anständigen Familien, die nur darauf warten, von einem unbesiegbaren General geheiratet zu werden. Außerdem bist Du verträglich. Deine Siege sind Dir nicht zu Kopf gestiegen, den Alkohol scheinst Du Dir in Indien abgewöhnt zu haben, genauso wie die Spielerei und Aussehen tust Du inzwischen auch ganz ordentlich. Zieh Deine rote Uniform an, hefte Dir den Bathorden an die Brust und lasse Dich von Georgiana durch London schleppen. Die Ballsaison hat gerade erst angefangen. Und wenn ich Zeit habe, begleite ich Dich." Arthur seufzte leise. Sarah beurteilte ihn, wie ein Pferd: Gesund, robust, mit glänzendem Fell, glänzenden Augen und feuchter Nase. Tauglich für die Zucht. Den Rest würden dann die rote Uniform und die Orden erledigen. "Dr.Lennox“, beschwerte er sich amüsiert," ich bin kein Gaul, den man in Haymarket zur Auktion führt.
" Habe ich auch nicht behauptet, mein lieber Arthur.“, erwiderte sie schlagfertig,“ Ich wollte Dir nur Mut machen. Mama wird Dich schon unter die Haube bringen und in kürzester Zeit hast Du einen ganzen Stall voller Kinder zuhause."
„Warum bist Du eigentlich noch nicht verheiratet?“, erkundigte Arthur sich hinterlistig. Ein kleiner Teufel ritt ihn. Sarah war nicht nur ausgesprochen niedlich. Sie hatte auch einen klugen Kopf auf den hübschen Schultern. Und dann war da noch diese Ähnlichkeit.
„Um Gottes willen! Arthur, was für ein grausiger Gedanke. Mit einer ungezogenen Rasselbande am Hals an Haus und Herd gekettet zu sein, während der reizende Herr Gemahl sich unbefangen draußen in der großen, weiten Welt vergnügt. Das ist nichts für mich. Außerdem sind die meisten Männer dumm, borniert und schrecklich langweilig.“ Sarah stockte. Ein Anflug von Misstrauen überkam sie. Jetzt wo sie darüber nachdachte; Arthur hatte sie den ganzen Abend über so sonderbar angesehen, irgendwie als ob er doch ein paar Hintergedanken mehr hatte, als er je offen zugeben würde. Sie war sich plötzlich nicht mehr ganz so sicher, dass dieser Sepoy-General, wirklich so ungefährlich war, wie sie angenommen hatte. Natürlich kannten sie und Arthur sich seit der Kindheit, aber das hieß nicht viel. Er hatte schon immer einen ganz eigenartigen Charme gehabt und er war so anders, als die anderen Männer, denen sie bis zu diesem Tag begegnet war. Sie spürte, dass sie anfing, eine beunruhigende Form der Zuneigung für ihn zu entwickeln. Als er ihr am Nachmittag aus dem Sattel geholfen hatte, hatte sie sich in ihrem Reitrock verheddert und war ihm in die Arme gefallen. Dabei hatte sie seine körperliche Nähe als sehr angenehm empfunden. Genauso, wie im Verlauf des Abends… Ihre kleine, schmale Hand verschwand in der Tasche ihres Rocks und sie zog eine goldene Uhr heraus. “Na so was.“, schwindelte sie unverfroren, „es ist bereits weit nach Mitternacht! Sei mir nicht böse, mein lieber Arthur, aber Ärzte sind Frühaufsteher!“ Es war die beste Idee die sie hatte, um schnell und unauffällig Abstand zwischen sich und diesen potentiellen Angreifer auf ihre heißgeliebte Freiheit zu bringen.
Arthur schmunzelte. Er hatte Sarahs unterschwelligen Hinweis durchaus verstanden: „…Soldaten auch, Sarah. Ich danke Dir für diesen schönen Abend.“ Er stand auf, verbeugte sich leicht und ging dann zur Tür.