Adler und Leopard Gesamtausgabe. Peter Urban
paar Tage nach dem gemeinsamen Abend mit Sarah bat der britische Premierminister William Pitt Arthur in die Downing Street. Diese formlose Einladung zum Frühstück und zu einem Gespräch unter vier Augen verwunderte und beunruhigte den Offizier. Pitt nahm sich sogar die Zeit, ihm zu erklären warum man seinen Bruder als General-Gouverneur von Britisch-Indien abberufen hatte. Es klang fast wie eine Entschuldigung. Genauso wie Castlereagh versuchte auch Pitt ihn zu überzeugen, sich aus dem Konflikt zwischen Richard und der Ostindischen Kompanie herauszuhalten: "Wellesley, es wäre das Beste, diese Geschichte einfach auszusitzen. Der Kampf in der Leadenhall Street ist nicht Ihr Krieg!“ Arthur legte den Kopf schief und blickte den Premierminister misstrauisch an. Egal wem er über den Weg lief, jeder versuchte ihm auszureden, sich in Richards Ärger mit „John Company“ einzumischen. Lord Clive, der Gouverneur von Madras und Sir Alured Clarke, sein ehemaliger Vorgesetzter in Indien hatten damit angefangen. Castlereagh investierte viel Zeit und Energie in dieses leidige Thema. Sogar Georgiana, die Herzogin von Richmond versuchte ihn zu überzeugen, seinen ältesten Bruder dem Schicksal zu überlassen. Nicht etwa, dass Arthur, Richard innig liebte oder sich ihm in irgendeiner Weise verpflichtet fühlte. Eher das Gegenteil war der Fall. Aber er wollte trotzdem verstehen, worum es ging. Er wollte wissen, was zwischen Kalkutta und London gelaufen war, während er im Herzland des indischen Subkontinents mit den Marattha gekämpft hatte: “Sir, gestatten Sie mir ein Frage.“, unterbrach Arthur den Premierminister, „Bis zum heutigen Tage habe ich eigentlich keine Anstalten gemacht, mich in diese sonderbare Geschichte einzumischen. Wie können die Direktoren in der Leadenhall Street gerade dem Mann Misswirtschaft vorwerfen, der ihr Einflussgebiet in Indien in wenigen Jahren verfünffacht hat. Kalkutta und London trennen neun Monate beschwerlichen Seeweges. Es ist sicher nicht ganz einfach aus der Ferne zu verstehen, warum vor Ort ad hoc bestimmte Entscheidungen gefällt werden?“
„General, halten Sie mir bitte nicht einen Ihrer berüchtigten gelehrten Vorträge über die politische Lage am anderen Ende der Welt“, bremste der Premierminister Arthur barsch. “ich weiß, dass die Entscheidung den Marattha den Krieg zu erklären richtig war und äußerst profitabel für die Ostindische Kompanie und die Krone. Doch außer Macht, Einfluss und Handelskonzessionen existieren auch noch andere wirtschaftliche Faktoren.“ Arthur sprang entrüstet aus seinem Sessel hoch:“Wirtschaftliche Faktoren? Gütiger Himmel! Mylord, als Soldat kann ich auf dieses Argument der Krämerseelen aus der Leadenhall Street nur enttäuscht und verbittert reagieren. Wir haben ‚kostendeckend‘ gearbeitet. Ich habe tonnenweise Beutegut nach Mumbai, Kalkutta oder Madras verschickt...“
Der Premierminister brach in schallendes Gelächter aus. Er lachte so laut, dass Arthur zusammenschrak, augenblicklich verstummte und sich wieder ganz brav hinsetzte.
„Kostendeckend. Natürlich waren Sie kostendeckend, mein lieber General. Und dann? Was ist dann geschehen? Denken Sie einmal nach. Benutzen Sie ihren Kopf und wenn das nicht weiterhilft, nehmen Sie einen Abakus zur Hand.“ Pitts Gesichtsausdruck hatte sich plötzlich verändert: Die Züge waren kalt und hart geworden. Eine böse Fratze starrte Arthur durch die ersten Strahlen der Morgensonne hindurch an. Der Premierminister hatte Englisch mit ihm gesprochen. Trotzdem verstand er nicht.
„Wenn Sie sich schon unbedingt in diese traurige Geschichte einmischen müssen, ohne überhaupt zu verstehen, worum es geht, Arthur“, fuhr Pitt fort, “dann tun Sie es gefälligst in einer durchdachten Art und Weise, anstatt einfach blindlings und mit gezogenem Schwert vorwärts zu stürmen. Man kann nicht jedes Problem mit einem großen Holzknüppel lösen! Entweder Sie bemühen sich um einen Sitz im britischen Unterhaus und unternehmen etwas auf politischer Ebene mit Unterstützung einer Partei, oder Sie sitzen den Ärger, den Ihr Bruder hat einfach aus. Keiner, auch nicht der übelste Kritiker Lord Morningtons stellt Sie, Ihre Leistungen als Offizier oder Ihre Verwaltung der Provinz Mysore in Frage."
Arthur versuchte Pitt zu erklären, dass er kein Politiker war. Er war davon überzeugt, dass Offiziere politisch neutral sein sollten und nur König und Vaterland dienen sollten. Doch der erfahrene ältere Mann widersprach seinem jüngeren Gegenüber heftig: "Sie müssen Ihre Seite wählen, General“, sagte er scharf, “die Whigs sind gegen den Krieg mit Frankreich. Sie wollen die Streitkräfte auf ein absolutes Mindestmaß reduzieren. Das Geld, das wir heute in eine Berufsarmee investieren, möchten sie lieber in die Weiterentwicklung und Verbesserung der Wirtschaft stecken. Dabei übersehen sie allerdings Bonapartes Kontinentalsperre. Wir tun uns im Augenblick schwer mit dem Zugang zum europäischen Markt und die Whigs tendieren traditionell zum Isolationismus. Das ist, wie Sie sich denken können, für eine kleine Insel mitten im Atlantik verhängnisvoll.“ Der Premierminister ließ seinem ganzen Unmut freien Lauf. Dann senkte er endlich die Stimme. “General, die Armee braucht einen energischen Fürsprecher im Unterhaus, einen Mann vom Fach, nicht irgendeinen interessierten Amateur. Dort könnte es Ihnen vielleicht sogar gelingt, mit den richtigen Argumenten die Kritiker der indischen Politik Ihres Bruders umzustimmen." Arthur sah Pitt lange an. Er hatte das Gefühl, dass sowohl Castlereagh, als auch der britische Premierminister versuchten ihn zu manipulieren. Den Streit zwischen Richard und der Ostindischen Kompanie benutzten sie dabei lediglich als Aufhänger.
"General, ich kann Ihnen im Namen meiner Partei einen Wahlkreis anbieten und Ihnen so die Möglichkeit geben, im Unterhaus nicht nur für die Soldaten zu sprechen, sondern auch für eine konsequenten Politik gegen den französischen Erzfeind und Bonaparte."
Pitt ließ wirklich nichts unversucht! Arthur schüttelte energisch den Kopf: "Keinesfalls, Sir. Das ist gegen die Ehre eines Soldaten. Ein Offizier kann nur der Krone dienen. Man darf die Armee nicht zu einer politischen Kraft in unserem Land machen. Sehen Sie nur, wohin es die Franzosen geführt hat…"
Der Premierminister setzte sich hinter seinen schweren Mahagonischreibtisch und ließ den Kopf in die Hände sinken: "General, sind Sie weltfremd oder borniert?“
"Weder das Eine, noch das Andere, Sir“, erwiderte Arthur ungerührt, „ich bin nur kein Politiker. Dafür besitze ich weder die Ausbildung, noch die notwendige Überheblichkeit. Ich bin Soldat!” Pitt zog seine Uhr aus der Tasche und öffnete sie. An der goldenen Kette hingen ein kleiner Stechzirkel und ein fein gearbeitetes Dreieck, mit einem Auge in der Mitte. Der Premierminister verbarg die seltsamen Anhänger nicht vor seinem Gegenüber. "Es ist bereits 11 Uhr, General! Ich muss den Außenminister und meinen Kriegsminister treffen. Sie sollten den Brüdern in den nächsten Tagen unbedingt einen Besuch abstatten...", verabschiedete er seinen morgendlichen Besucher.
Arthur verließ die Downing Street mit einem unguten Gefühl im Magen. Der Termin mit Pitt hatte nur einen einzigen Zweck gedient: ‚Sie‘ wollte herausfinden, wer diese unbekannte Größe aus Indien wirklich war, denn irgendjemand hatte irgendwelche undurchsichtigen Pläne mit ihm. Er konnte sich nur noch keinen Reim darauf machen. Arthur verstand sehr gut, dass er gerade eben nicht Englands Premierminister getroffen hatte, sondern als Freimaurer von einem anderen Freimaurer an seine Pflichten und den Schwur erinnert worden war. Die britische Armee war durchsetzt mit Freimaurer-Logen. Vom gemeinsten Soldaten bis hinauf zu den höchsten Offiziersrängen verbargen sich hinter so gut wie jedem roten Uniformrock das Lot und der Stechzirkel. Arthur machte hier keine Ausnahme. Doch im Lauf der indischen Jahre hatte er ein distanziertes Verhältnis zum Freimaurertum entwickelt. Es missfiel ihm das ‚Sie‘ versuchten, sie auf allen Ebenen in die Politik des Landes einzumischen. Sie übten einen ungesunden Einfluss auf Großbritannien aus. Damit verrieten ‚Sie‘ in seinen Augen ihre Ideale und die Grundsätze der Alten Pflichten. Auf dem Rückweg nach Richmond Palace gingen ihm die Worte des Premierministers durch den Kopf und vor allem die von Castlereagh.
Arthur war seinen Freunden gegenüber nie misstrauisch. Castlereagh zählte er dazu, denn sie hatten schon als vier- oder fünfjährige Kinder zuhause, drüben in Irland miteinander gespielt. Und auch der Premierminister war jemand, der seit Arthurs Kindertagen zum engsten Umfeld der Familie zählte… und sie waren alle Iren. Trotzdem hatten Castlereagh und Pitt versucht, ihn zu manipulieren. Arthur fühlte sich bei diesem Gedanken plötzlich unwohl: Sein Soldatenleben in Indien war so einfach gewesen; er hatte sich nie mit politischen Spitzfindigkeiten und Ränkespielen aufhalten müssen. Seine Vorgesetzten hatten sich damit begnügt, ihm aus der Ferne ein paar Befehle zu erteilen. Dann hatten sie ihm die Entscheidung überlassen, wie er diese Befehle ausführte. Genauso war es gelaufen,