Mord im Zeppelin. Ulli Schwan
Aus dem Publikum rollten Rufe wie »Komm schon«, »Noch eins, Mädchen« oder »Zugabe« durch den Raum, aber sie lächelte nur und schüttelte entschuldigend den Kopf. Die Band legte mit einem schnellen Tanzstück los. Die Rufe verklangen und das Tanzen ging weiter.
Während Miro zielstrebig ihren Tisch ansteuerte und umgehend eine neue Runde Getränke bestellte, verschwand Becky für einen Moment in der wogenden Menge. Als sie wieder auftauchte, war sie nicht allein – hinter ihr ging die junge Sängerin, die sie gerade so begeistert hatte.
Becky strahlte. »Ich habe tolle Neuigkeiten«, rief sie und ließ sich auf ihren Stuhl fallen, während sie mit einer Hand noch einen weiteren vom Nebentisch heranzog. »Annett wird uns nach Berlin begleiten und im Hotel Rose singen! Ist alles besprochen!«
»Aber Becky«, sagte Miro, obwohl er wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihr etwas auszureden, wenn sie es sich in den Kopf gesetzt hatte, »wie soll das gehen? Wir reisen morgen ab und abgesehen davon, dass sie erst packen muss, hat sie vermutlich ein Engagement hier in San Francisco.«
»Nein, nein, das ist alles geklärt und kein Problem«, Becky zwinkerte der Sängerin gut gelaunt zu. »Annett hat gerade kein Engagement und wir fliegen ja erst übermorgen in aller Herrgottsfrühe los. Selbst wenn wir morgen Nachmittag zeitig am Zeppelin sein wollen, hat sie genug Zeit, um zu packen und sich zu verabschieden, wenn wir sie mit dem Auto abholen. Und ich werde morgen früh als Allererstes Mister Barker von der Luftschifffahrtsgesellschaft so bezirzen, dass er uns mit Freuden noch eine weitere Kabine gibt!«
Miro lachte und beugte sich zu Annett hinüber: »Ich hoffe, meine Frau hat sie damit nicht völlig überfahren. Es ist schließlich keine Kleinigkeit, einen anderen Kontinent zu besuchen.« Die letzten Worte sagte er mit einem strengen Blick zu Becky.
Seine Frau winkte ab. »Ach was, papperlapapp, es ist doch nur ein Engagement und nicht gleich für das ganze Leben. Und es ist ein Abenteuer, nicht wahr Annett?«
Die Sängerin nickte. »Also ich freue mich über das Angebot. Es rettet mir sozusagen das Leben!«
Becky strahlte erst sie, dann Miro an. »Siehst du, ich bin eine Lebensretterin, was sagt man dazu!«
Miro schüttelte amüsiert den Kopf. »Nehmen Sie meine Frau nur nicht allzu ernst, Miss ...«, er stoppte, weil ihm auffiel, dass er ihren Namen gar nicht kannte.
»Jennings, Annett Jennings, aber sagen Sie Annett zu mir«, erklärte sie daraufhin.
Dann übernahm Becky wieder die Initiative. »Ein neuer Vertrag, das müssen wir nun wirklich feiern! Miro«, sie drehte sich zu ihrem Mann, »bitte besorge Annett doch auch etwas Anständiges zu trinken. Und Sie, Annett, müssen mich Becky nennen. Ihr Auftritt war übrigens wirklich wundervoll.«
»Dein Wunsch ist mir Befehl.« Mit diesen Worten erhob sich Miro, um einen Kellner zu suchen.
Becky wandte sich dagegen noch einmal an die Sängerin: »Ich hoffe, mein Mann hatte nicht Recht und ich habe sie völlig überfahren mit meinem Angebot. Aber ich war so begeistert und wir könnten in Berlin ein wenig frischen Wind gebrauchen.«
»Nein, ich meinte das ernst. Liebe Misses Berlioz«, sie korrigierte sich, »Becky, ihr Angebot kommt zu einem perfekten Zeitpunkt. Mein Verlobter ist gerade … ich meine zurzeit …«
In diesem Moment kam Miro wieder an den Tisch zurück – mit echtem Champagner und drei Gläsern.
»Seht mal, was ich Gutes auftreiben konnte.« Triumphierend hob er die Flasche mit dem edlen Gebräu in die Höhe.
»Oh wie schön«, seufzte Becky, »es geht doch nichts über ein Glas Champagner, wenn man etwas zu feiern hat. Und das haben wir ja in der Tat.« Sie nickte Annett zu. »Ich freue mich schon so darauf, mehr von Ihnen in Berlin zu hören, meine Liebe. Sie werden der Hit, da bin ich mir absolut sicher!«
Die Sängerin lächelte Becky an. »Das wäre wirklich toll.«
Miro hatte inzwischen die perlende Flüssigkeit in die Gläser gegossen, und reichte nun jedem ein Glas. »Wir freuen uns, dass Sie sich entschlossen haben, uns nach Deutschland zu begleiten. Ich hoffe, Sie werden Ihre Heimat nicht zu sehr vermissen.«
Annett sah ihre neuen Auftraggeber entschlossen an. »Ein wenig vielleicht, aber ein neues Land ist genau das Richtige, um den Gespenstern der Vergangenheit zu entfliehen.«
Sie musste die Stimme erheben, da im Hintergrund gerade »Toot, Toot, Tootsie« gespielt wurde, bei dem die Tänzer aus vollem Halse mitsangen. Vielleicht lag es an ihrer Stimme oder an ihrem Gesichtsausdruck, aber Miro spürte eine leichte Gänsehaut seine Arme hinaufkriechen bei diesen entschlossen vorgebrachten Worten. Sie hatten etwas Endgültiges an sich und schmeckten nach einem Abschied für immer. Etwas, das auch er schon kennen – und nur schwer akzeptieren gelernt hatte.
Becky sah ihren Mann mit einem kleinen Seitenblick an. Sie war immer schon gut darin gewesen, seine Stimmungen aufzufangen – und eine angespannte Situation zu entspannen.
»Dann mal hoch die Gläser, Ihr Lieben.« Mit diesen Worten hob sie Stimme und Glas und rief fröhlich: »Auf neue Anfänge!«
»Auf das Neue!«
»Auf neue Anfänge und auf die Reise!«, stimmte Annett ein. »Ich bin schon ganz aufgeregt, weil ich mit einem Luftschiff fahren werde!«.
»Ehrlich gesagt, wir auch ein wenig. Es ist auch für uns das erste Mal« antwortete Becky. »Andererseits stand in der Zeitung, dass man es sich eigentlich ganz wie eine Schiffsreise vorstellen muss. Es gibt Kabinen, einen Speisesaal und ein Promenadendeck, Romanzen und Intrigen. Nur eben in der Luft.«
In diesem Moment übertönten laute Stimmen die ohnehin ohrenbetäubende Musik. Am Eingang des Etablissements standen mehrere Kellner und diskutierten mit einigen Männern, die offensichtlich hinein wollten, aber nicht durften. Die immer hitziger werdende Diskussion lenkte die Aufmerksamkeit der Anwesenden jedoch nur kurz ab. Denn schon wurde das nächste schnelle Lied gespielt, dass wieder die Paare auf die Tanzfläche lockte.
Becky und Annett bemerkten die Störung nicht und unterhielten sich weiter. Miros Interesse hingegen war geweckt. Er sah interessiert zur Tür hinüber. Die wild gestikulierenden Männer sahen eigentlich aus wie die meisten anderen hier: Anzug, Hemd, Fliege oder Krawatte, den Hut noch auf dem Kopf.
Die Diskussion schien jedoch immer hitziger zu werden. Einer der Männer drängte sich an dem Türsteher vorbei, einen dunklen Gegenstand in der erhobenen Hand. War das eine Waffe? Wortfetzen waren jetzt zu verstehen.
»Hey, Sie, Moment mal …«
»Lassen Sie mich …«
»Sie können hier nicht so einfach …«
»Zurückkommen, sofort!«
»Wer …«
»Polizei, das ist Polizei glaube ich …«
»Mensch, raus hier …«
»Lass mich … schnell …«
Jetzt sah Miro genauer hin. Die Männer weiter hinten hatten tatsächlich Uniformen an und folgten einigen anderen in Straßenkleidung. Eine Razzia! Er erhob sich, um mehr Überblick zu bekommen.
Langsam wurden immer mehr Gäste auf die Vorgänge an der Tür aufmerksam, die Gerüchte trieben durch die Menge und dort, wo sie ankamen, wurde es hektisch. Männer und Frauen standen auf und reckten die Hälse, um zu sehen, was passierte.
Plötzlich stand auch seine Frau neben ihm. »Miro, was ist los?« Annett war ebenfalls aufgestanden.
»Ich fürchte, wir stecken mitten in einer Razzia fest, mon coeur«, antwortete Miro und hielt weiterhin Ausschau. Die Polizisten waren immer noch im vorderen Bereich des Raums, nahe dem Aufzug, von den Kellnern für den Moment aufgehalten.
»Wo?«, fragte Becky und stellte sich auf die Zehenspitzen. Ihre Stimme klang weniger besorgt, eher neugierig.
Miro zog eine