Mord im Zeppelin. Ulli Schwan
schon einen Spitznamen, dieser Flug, weil die einen ganzen Haufen übernatürlicher Promis an Bord haben.«
Ben warf einen Blick auf die Liste in seiner Hand. Tatsächlich, die Autoren von diesen wissenschaftlichen Büchern zur Geisterauffindung, die Cabes, standen darauf. Ein Medium. Ein Zauberer. Interessante Mischung, dachte Ben.
»Und was hat das jetzt mit meinem Verdacht zu tun, dass irgendwer an Bord krumme Geschäfte macht?«
»Nichts. Aber wenn es gut läuft, kommen Sie mit zwei Riesenknüllern nach Hause: dem Tatsachenbericht über die Fahrt auf dem Geisterzeppelin und einer Story über die Fluglinie. Und die Geistergeschichte ist der Grund, warum ich die Spesen durchgekriegt habe. Das hat Hatch besonders gut gefallen.«
O’Brian lehnte sich zurück und faltete die Hände über seiner gut ausgefüllten grauen Weste.
Der Reporter sah seinen Chefredakteur nachdenklich an. Das war wirklich die Chance seines Lebens. Und wenn der Chefredakteur sagte, dass da ein Knüller drinsteckt, dann hatte er in der Regel auch Recht. Der Mann war gut, das musste man ihm lassen. Er hatte so einige große Stories geschrieben zu seiner Zeit als Reporter. Na ja, dachte er, er hat ja auch beim Chef persönlich gelernt.
»Na los, Ben, gehen Sie an Bord, rütteln sie an ein paar festen Gewissheiten und bringen sie ein wenig Leben in die Bude.« O’Brian kaute an der Zigarette in seinem Mundwinkel herum.
Ben nickt. »Geht in Ordnung, Chef. Was ist denn offiziell mein Auftrag?«
»Kein Auftrag. Sie sind offiziell nicht für uns unterwegs, sondern Geschäftsmann. Am besten irgendwas Vages wie Einkauf oder so. Wir sollten es nicht unnötig kompliziert machen.« Das sonst so ernste Gesicht des Chefredakteurs erhellte sich mit einem jungenhaften Grinsen. »Die Buchhaltung wird das hassen.«
Irgendwann, dachte Ben, muss ich mich mal mit dem Alten unterhalten. Wenn ich zurück bin und die Story veröffentlicht ist, trinke ich einen Whisky mit ihm und frage ihn nach seinen eigenen Abenteuern.
O’Brian fuhr fort: »Egal was Sie machen, Ben, kommen Sie gefälligst mit einem Knüller zurück! Einem, den Sie auch beweisen können. Und jetzt legen Sie los. Ich bin mit Hatch zum Mittagessen verabredet. Kann es einfach nicht lassen, sich einzumischen.«
Mit diesen Worten erhob sich der Chefredakteur schwungvoll von seinem Stuhl und hielt Ben zum Abschied die Hand hin. »Viel Glück, Truman.«
»Glück brauche ich dafür nicht, Chef. Geben Sie Gloria ein Küsschen von mir.«
»Übertreiben Sie es nicht, Truman.«
Für einen Groschen Mord
Sonntag, 22. April 1923, gegen Mittag, San Francisco, Amerika
Miro genoss entspannt die für April recht warmen Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht, während er am Wagen auf seine Frau wartete.
Sie hatten einen kurzen Stopp an einem Zeitungsstand in der Nähe des Hotels eingelegt, um sich für die Reise mit Lektüre zu versorgen: er mit aktuellen Zeitungen, Becky mit ihren heißgeliebten Detektivgeschichten. Er hoffte, sie fand genug davon für die fünf Tage, die sie auf dem Zeppelin unterwegs sein würden. Nachdem ihr Fahrer netterweise und absolut verkehrswidrig direkt in der Straße neben dem Stand angehalten hatte, wartete er nun geduldig auf der anderen Seite des Wagens und drehte sich eine Zigarette.
Der Zeitungsstand sah aus wie ein buntes Papierungetüm, das gerade eine Straßenecke vertilgt hatte. Von der Häuserfront war nicht mehr viel zu sehen, stattdessen ragten Regale daran entlang bis auf den Gehweg hinaus. Sie waren vollgestopft mit aktuellen Tageszeitungen, farbenfrohen Magazinen mit Mode für die Damen und eher konservativ wirkenden Illustrierten für den sportlichen Gentleman. Ganz hinten, neben der Kasse fanden sich dann auch die nicht minder bunten und beliebten Blättchen mit Abenteuer- und Detektivgeschichten. Auf dem schmalen Stückchen Weg, dass zur Straße hin noch blieb, stand eine Gruppe von Männern vor den Regalen, die offensichtlich ihre Schicht beendet hatten und heftig diskutierten.
Ein beleibter Arbeiter, der sich immerfort Stirn und Hals mit einem quittengelben Taschentuch wischte, sagte gerade leidenschaftlich: »Ich sach dir, des wird immer schlimmer hier in der Stadt. Des ist der Alkohol. Hab immer schon gewusst, dass des nur des Schlimmste innen Leuten rausbringen tut ...«
»Nee, nicht der Schnaps, dat der fehlt is dat Problem ...«, hielt ein dunkelhäutiger Schlacks klug entgegen. »Nur deswegen kriegen so 'ne Gangster so viel Kohle dafür.«
»Aber et jeht trotzdem nich', dat se allet un' jeden umbringen können, ohne dat da jemand wat tut ...«
Der Besitzer der Schlagzeilen-Zentrale, schien der dritte Mann im Debattierclub zu sein: Er hatte noch einen Stapel des aktuellen Chronicle auf dem Arm.
»Ich sag Euch, das war irgendeine von diesen Banden und die haben sich einen Dreck darum geschert, ob in dem Laden wer draufgeht, der nur in Ruhe sein Feierabendbier trinken wollte.« Der Besitzer des Standes sah seine Kunden herausfordernd an.
»Klar waren das 'n paar Große, da brauchste kein Hellseher nicht sein«, meinte der Schlacks.
Der Korpulente wedelte sein Tuch trocken. »Wo kann man’nen noch den Feierabend in Ruhe anfangen, wenn selbst die Kneipen lebensgefährlich sind? Im Park kassieren einen die Bullen. Und zu Hause hockt die Alte.«
Becky ließ sich von dem Gespräch nicht weiter stören, sie blätterte am Regal mit den Pulp-Magazinen in den angebotenen Heften. Sein Geschäftssinn gewann offensichtlich die Oberhand, denn der Besitzer riss sich von der Diskussion los und fragte Miro: »Kann ich Ihnen helfen? Sie suchen bestimmt die aktuellen Nachrichten. Ich hab den Chronicle hier, druckfrisch, Mister, und die New York Times oder den Daily New Yorker. Oder lieber die London Times?«
»Einmal den Chronicle bitte, die London Times und haben Sie auch die Berliner Woche?«
»Aber sicher doch.«
Während Miro sich um die aktuellen Neuigkeiten kümmerte, hatte Becky sich ihre bevorzugten Detektivmagazine auf den Arm geladen.
»Hier, Miro, die müssen wir auch noch mitnehmen. Die neuen Ausgaben von Black Mask und den Detective Stories. Hoffentlich ist wieder was von Peter Collinson dabei!« Sie legte ihre Ausbeute schwungvoll auf den Stapel an Zeitungen, den Miro bereits trug.
Der Zeitungsverkäufer warf Becky einen überraschten Blick zu. »Sie lesen das, Misses? Aber das ist doch nichts für eine Dame.«
Becky lachte nur: »Ach was, ein wenig aufregende Lektüre schadet auch Damen nicht.«
»Na wennse meinen.« Der Mann schien nicht überzeugt.
Miro bezahlte, gekonnt den Packen Druckerzeugnisse balancierend, und ging dann mit Becky zurück zum Wagen, während sich der Zeitungsmann wieder zu seiner Diskussion begab. Es dauerte allerdings eine Weile, bis die beiden eine Lücke zwischen den fahrenden Automobilen fanden. Seit Ford das Land mit billigen Autos versorgte, waren Kutschen und Karren von den Straßen fast verschwunden, anders als in Berlin, wo sie immer noch einen guten Teil des Straßenverkehrs ausmachten.
»Jetzt geht es zum Flugplatz die Herrschaften, ja?!« Ihr Fahrer sah in den Rückspiegel und nickte ihnen dabei höflich zu.
»Zuerst müssen wir noch einen kleinen Umweg machen, um eine Freundin abzuholen.« Becky öffnete ihre Handtasche und begann darin zu suchen. »Irgendwo hier müsste der Zettel ... ah ja, da habe ich ihn ja. Wir müssen in die Lombard Street 7.«
»Lombard Street? North Beach?« Der Fahrer sah nicht besonders glücklich aus. »Ich weiß nich' ob das so 'ne gute Idee ist, mit dem Wagen hier nach North Beach reinzufahren. Is’n Lincoln L-Series, neuestes Modell.«
Miro war sofort beeindruckt. »Ein L-Series? Wie fährt er sich? Was haben die Fords mit ihm angestellt, nachdem der alte Lincoln verkaufen musste?«
Der Fahrer grinste breit. Er erkannte eine verwandte Seele, wenn sie sich so präsentierte.